Gauting:Knallharter Kasperl

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Die Kisten stehen schon bereit: Beim Umzug lässt Alfred Dorfer den Gedanken freien Lauf und hofft, auch das Publikum im Bosco zum Nachdenken anzuregen. (Foto: Arlet Ulfers)

Alfred Dorfer will mehr als nur Lacher ernten

Von Annette Jäger, Gauting

"Warum ist der Bub nur so ein Kasperl geworden", fragt die Mutter. Sie ist eine der Figuren, die Alfred Dorfer im Bosco zu Wort kommen lässt. Da sind aber auch noch ein Theaterdirektor, ein Student, ein Journalist: alles Protagonisten in Dorfers Gedankenspaziergang, den er angesichts eines anstehenden Umzugs unternimmt; die Kisten stehen schon bereit. Ein Umzug ist immer Veränderung, Aufbruch, setzt Gedanken in Gang, fordert ein Resümee - das ist Dorfers Rahmen, in dem er sich bewegt. Warum der Wiener so ein Kasperl geworden ist und kein Lehrer, wie seine Mutter es so gerne gehabt hätte, hat der Zuschauer am Ende des Stückes verstanden: Der Mann hat eine Botschaft und mit der ist es ihm bitterernst.

Es läuft gut für Dorfer und das schon lange. Der Wiener Satiriker ist zusammen mit seinem Freund Josef Hader wohl das Beste, was österreichisches Kabarett derzeit zu bieten hat. Das schätzt man auch im Nachbarland: Im Januar erhielt Dorfer den Deutschen Kabarettpreis, gleichzeitig brachte er sein neues Programm auf die Bühne. "Und" löst "Bis jetzt" ab, mit dem er sechs Jahre durch die Lande tourte. Bei Dorfer hat sich einiges angestaut und das raus muss. Das Weltgeschehen leistet seinen Beitrag zur Materialfülle: Grundpfeiler des gesellschaftlichen Miteinanders wanken, der demokratisch geschulte Mensch ist irritiert.

Zu Beginn rauscht Dorfer auf Bühne, das Handy am Ohr. "Mögen Sie das auch so gerne, wenn jeder seinen Privatscheiß öffentlich kommuniziert?" Da weiß der Zuschauer, dass auch er selbst, nur weil er Eintritt gezahlt hat, der beißenden Ironie des Kabarettisten nicht entkommt. Die abgehetzte Gesellschaft, die sich zum "Lönch" trifft, um dann den Kellner zu fragen, ob "da Nüsse drin sind". Die Digitalsüchtlinge und Stehpinkler, die ewigen Studienzitierer und die Intelligenzflüchtlinge, die aus Deutschland nach Österreich kommen, um Studienplätze zu belegen - sie sitzen alle mit im Publikum. Dorfer will aber nicht nur ein paar "Scherzerl" über Klischees fallen lassen: Er ist promovierter Satiriker und setzt so die Kunstgattung als Verpackung ein, um seine knallharte Botschaft anzubringen.

Dorfer provoziert, er will Gedankenströme in Gang setzen und ist manchmal dabei gar nicht mehr lustig. Etwa, wenn er leicht in die Hocke geht und dabei ganz ruhig, aber sehr deutlich wird: Wenn er feststellt, dass Personen, die mit Richterinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen nicht sprechen, weil sie Frauen sind, hier nichts zu suchen haben. Oder wenn er laut über die Daseinsberechtigung islamistischer Terroristen nachdenkt. Dann ist es mucksmäuschenstill im Publikum und obwohl dann das Licht kurz ausgeht, lacht keiner. Dorfer löst die Betretenheit im Publikum sofort auf: Mit einem spitzmündigen "No, No, No, No", das den Zuschauer, der das alles "in der Süddeutschen" aber anders gelesen hat, in seiner bildungsbürgerlichen Betroffenheit parodiert.

Über Trump, über Merkel, über Schulz hat Dorfer nichts gesagt, wie er in seiner Zugabe selbst analysiert. Und trotzdem war er hochpolitisch. Er wirft lieber Steinchen ins Wasser und sinniert den Kreisen nach, die diese auf der Wasseroberfläche verursachen. Er philosophiert über Demokratieverständnis; darüber, was Wahrheit ist; wohin es mit Europa geht. Er gibt Sätze mit auf den Heimweg, wie "Freiheit ist der Zwang zur Entscheidung" oder "Bildung ist Zuhören". Am Ende fragt Dorfer: "Wos dös?" (War es das?) "Ja, dös wos" - vorerst. Wie gut, dass der Bub so ein Kasperl geworden ist.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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