Gauting:In der Endlosschleife

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Sammler und Jäger der Schlagzeilen: Kabarettist Arnulf Rating beim Auftritt in Gauting. (Foto: Nila Thiel)

Der Kabarettist Arnulf Rating mit seinem politischen Parforceritt "Rating akut" im Gautinger Bosco

Von Gerhard Summer, Gauting

Diese Welt ist ein Tollhaus. Die Griechen tanzen wieder Flokati, in Köln gehen die sexuellen Übergriffe neuerdings nicht im Dom, sondern auf dem Platz vor dem Dom vonstatten, und im Gautinger Bosco will die Til-Schweiger-Stiftung Flüchtlinge unterbringen. Was natürlich schade wäre, wenn die Kultur raus müsste und Schweiger reinkäme. Wie soll der Mensch also diesen Irrsinn verkraften? Kann es eine Lösung sein, sich Pillen reinzupfeifen und sich von Krankenschwester Hedwig Spritzen geben zu lassen?

Letztlich nein. Aber zeitweise hilft es schon, und dann kommt Arnulf Rating wieder gestärkt auf die Bühne und macht da weiter, wo er vor ein paar Minuten aufgehört hat. Wenn man endlich dazu kommt, schaut man aufs Handy, es ist 20.37 Uhr, und denkt sich: Puh, hört der irgendwann auch auf mit dem schnellen Reden. Nein, tut er nicht. Rating prescht gut zwei Stunden lang voran, ohne Punkt und Komma, ohne Äh und fast ohne jedes Stolpern. Was natürlich auch der Wahnsinn ist. Wahrscheinlich redet der noch, wenn die Erde längst verglüht ist.

Sein Programm "Rating akut" ist denn auch so etwas wie eine Endlosschleife mit kleinen Wiederholungen, eine Mischung aus Nachrichtenjonglage, Predigt, Volksgesang, Anklage und leicht absurdem Theater, gesegnet mit rauem Witz. Der 65-Jährige aus Mülheim an der Ruhr wirft scheinbar alles, was ihm durch den Kopf geht, auf einen Haufen, um zu zeigen, wie hoch der Berg an Irrsinnigem schon ist. Und klar: Warum sollte er das alles hübsch geordnet und in mäßigem Tempo darbieten, wenn die Welt doch so unüberschaubar und chaotisch ist?

Weil Rating auf die ganze Bandbreite an Themen und Ansichten aus ist, beschränkt er sich in diesem Parforceritt nicht auf eine einzige Person. Er hat eine Art Rahmenhandlung und vier andere Figuren dazu ersonnen. Feine Idee, aber auch kühn, denn dieser urpolitische Kabarettist mit den blendend roten Schuhen ist als Schauspieler eher unauffällig. Der geschasste Enthüllungsjournalist Karlheinz Stangl, der jetzt im Gartenteil der Wochenendausgabe blumig schreiben soll über Mist, und der Feldbettenaufbauer Kalkowsky, der von seinem Sohn lernt, was "kalte Prozession" ist, unterscheiden sich von Rating im Wesentlichen dadurch, dass sie eine Mütze mit Haaren dran, respektive Hut und Blaumann tragen. Guido Groll, der Pressesprecher der Schweiger-Stiftung mit den elastischen Beinen, hebt sich als Karikatur deutlicher ab. Er faselt im schönsten PR-Slang von der "lukrativen Nachnutzung" von Asylbewerberheimen als Stadtlofts . Um 22.30 Uhr muss dann leider im Bosco Schluss sein, dann kommen die Flüchtlinge an. Mehr konnte Schwester Hedwig, die ein Flügelhäubchen und Zöpfe trägt, nicht ausrichten.

So merkwürdig das Konstrukt ist, es passt in seinem Aberwitz zu diesem Programm, das Schlagzeilen, Gequassel, Klatsch, News und bittere Wahrheiten miteinander verquirlt. Rating lässt rein gar nichts aus und setzt dabei auf Verdrehungen und Doppeldeutigkeiten: Er redet über die "papierlose Generation", die nicht mehr Zeitung liest und das "Taschentuch als App auf dem Handy" hat. Er kommt auf das Burka-Verbot zu sprechen und den VW-Skandal. Auf das gescheiterte NPD-Verbot, den Mechanismus der Kriegspropaganda und die Tricks der Politiker, die erst mal abwarten, ob es Proteste gegen eine Entscheidung gibt und dann weitermachen. Und auch darauf, dass der einzige Wert dieser Wertegesellschaft das Öl ist.

Die schönsten Gags des Abends sind womöglich die harmlosesten, aber eben auch wirklich komisch, das kann Rating nämlich auch. Der Nachrichtenjunkie, der nicht nur TAZ, FAZ und Berliner Morgenpost, sondern auch Hürryjet liest oder erahnt, hat nämlich wunderbare Bild-Schlagzeilen in seinem Alukoffer mitgebracht. Oma Hilda (80) jobbt demnach als Hure, und der Opa muss als Osterhase arbeiten und seine Eier verstecken. Ja, sagt Rating, es braucht Verrückte, man sieht ja, "wohin uns die Normalen gebracht haben". Genauso wird es wohl sein. Rauschender Applaus.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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