Gauting:Einfach nur wohlfühlen

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Meisterhaft lässig und trotzdem souverän: Die Formation "Straighter Jazz" rund um Henning Sieverts (am Bass) im Gautinger Bosco. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Formation "Straighter Jazz" überzeugt im Bosco

Von Berthold Schindler, Gauting

Für einen Musiker ist sein Instrument heilig. Es gibt eigens konstruierte Roboter für Hammerflügeltransporte, im Flugzeug wird ein Extrasitz gebucht für das Cello, und nicht wenige Instrumentalisten würden ihre Geige keinem anderen in die Hand geben als sich selbst. Der New Yorker Tim Collins gibt sich da weniger zimperlich. Sein Vibraphon ist sichtlich ramponiert; der Rahmen weist mit seinen vielen Kratzern Ähnlichkeiten mit einem Kickertisch auf. Und irgendwie passt die Vorstellung von Tischfußball gut in die Atmosphäre im Gautinger Bosco. Collins und seine drei Kollegen um den komponierenden Kontrabassisten Henning Sieverts schaffen mit Jazzklängen eine relaxte Stimmung, die einen vergessen lässt, dass man in einem Konzertsaal sitzt. Die Stücke stammen allesamt aus Sieverts' Feder oder sind von ihm arrangiert - gerne nimmt er Begebenheiten oder Beobachtungen zum Anlass, einen Song zu schreiben.

Helligkeit etwa kann man eigentlich nicht hören, das stört die vier aber wenig. "Das helle Hören" heißt das erste Stück, und wirklich meint man, eine Helligkeit im Klang mit den Ohren einfangen zu können. Luzide fädeln sich die Melodien durch die Soloinstrumente, während Sieverts und Drummer Matthias Gmelin ein wohliges Klangbett unterlegen, in das man sich hineinschmiegen möchte. Überhaupt fällt es schwer, Augen und Gehör in Einklang zu bringen. Die Musiker sehen aus wie Kraut und Rüben: hier ein bordeauxfarbenes Hemd, dort ein blaues, der dritte trägt ein Jackett und der vierte kommt pechschwarz daher. Sieverts, auch Moderator, interagiert im Plauderton mit dem Publikum; Vibraphonist Collins lässt dermaßen lässig die Mallets über die Platten tänzeln, als würde er sich ein Butterbrot streichen; der Schlagzeuger guckt beim Spielen entweder freundlich Richtung Bassist oder zum Notenständer; den Notenständer wiederum fixiert der introvertierte Gitarrist Peter O'Mara, man meint, der Erfolg des Konzerts hänge davon ab, nur in die Noten zu schauen. Der Klang erzählt freilich eine andere Geschichte;diejenige eines Ensembles, das perfekt aufeinander eingespielt ist. Die Vamps grooven auf einem unbestechlichen Rhythmusgefühl der Vier. Die aus dem Ärmel geschüttelten, harmonisch wie rhythmisch vertrackten Soloimprovisationen bedeuten eher eine logische Fortsetzung der gemütlichen Jagd in die musikalische Unendlichkeit, denn eine Zurschaustellung eigener Virtuosität, die man quasi als Ad-On gratis bekommt. Sieverts lässt seinen Kontrabass bei seinen Soli auch mal in höheren Lagen wimmern, beabsichtigt oder nicht, nimmt er es mit der Intonation nicht immer so genau. Der in seiner Welt spielende O'Mara fordert sich selbst heraus, jeden Riff in ein melodisches Feuerwerk zu verwandeln und die Vibraphonkünste von Tim Collins lassen sich am ehesten so beschreiben: Er veranstaltet mit vier Schlägeln Akkordgewitter, die so mancher Pianist, Jazz hin, Klassik her, mit zehn Fingern nicht hinbekommt.

Hinzu kommt noch die meisterhaft unprätentiöse Souveränität: Wenn zusammen musiziert wird, nimmt man sich zurück, wird zum Rhythmusinstrument, das nur kühne Harmonien sprechen lässt. Wie in der tonal wilden Walzer-Karikatur "One for Q", wo das Vibraphon im Intro erst neben einem bewusst schwammigen Beat herumtorkelt, ehe sich, eingeleitet durch Schlagzeuger Gmelin, das bekannte Laid-Back-Gefühl einstellt. Absolut hinreißend geschrieben ist die Nummer "Baumruine Rainhardswald", wo mit ruhigem Riff zu sanften Besen-Beats in den Drums ein Kinderlied in Jazzharmonien gekleidet wird, dem Vibraphon gehört die kantable Melodie. Das Wohlgefühl bleibt den ganzen Abend lang.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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