Gauting:Die Utopie der Befriedung

Lesezeit: 2 min

Die Bühne glich einem Anatomie-Lehrsaal, in dem die menschlichen Unzulänglichkeiten gnadenlos zerlegt werden. (Foto: Georgine Treybal)

Das Theater Erlangen führt "Nathan der Weise" auf - und zeigt aktuelle Bezüge

Von Reinhard Palmer, Gauting

Das Drama spielt im Jerusalem des ausgehenden 12. Jahrhunderts - Lessing schrieb "Nathan der Weise" Ende des 18. Jahrhunderts - Boccaccios Vorlage dazu stammt aus dem 14. Jahrhundert - der Inhalt mutet an, als ginge es um die Gegenwart. Trotz der - gemessen an der Verbissenheit der Fronten - Leichtigkeit der Aussöhnung bei Lessing bleibt die Zwietracht der Religionen also eine Never-ending-Story und die Befriedung eine Utopie.

Dennoch ließ Regisseurin Katja Ott am Schluss Lessings Friede-Freude-Eierkuchen stehen, auch wenn sonst die Inszenierung des Theaters Erlangen im Gautinger bosco nichts vom Historienschinken hatte und mit einigen Texteingriffen auch ausdrücklich auf Aktualität abzielte. Der von Ralph Jung gespielte Nathan, der reiche Weise, war nicht der lebenserfahrene, greise Philosoph, als vielmehr ein junggebliebener, eloquenter Diplomat und umtriebiger Geschäftsmann im schicken Anzug (Kostüme: Ulrike Schlemm), gewandt in strategischen Schachzügen. Der Handlungsort auch nicht Villa, Tempel oder Palast. Der Bühnenaufbau glich einem Anatomie-Vortragssaal mit hoch aufragenden Rängen, in dem die einzig geltende Wahrheit - der Mensch mit seinen Unzulänglichkeiten - auf dem Sektionstisch lag.

Zugleich erinnerte das Bühnenbild an ein antikes Tribunal, in dessen Arena die Protagonisten vor Publikumsgericht traten. Wer Gewichtiges sprach, stieg meist ins Rund herab. Dennoch wurden die Zuschauer niemals über Örtlichkeiten und Situationen im Unklaren gelassen. Die Transparenz der Dramaturgie (Lina Best) war vor allem deshalb so ausgeprägt, weil Nebenschauplätze und -handlungsstränge auf die Grundinformation geschrumpft waren, um dem Wettstreit der Religionen volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Rollen in Lessings Stück in die Gegenwart zu transportieren, war freilich nicht unproblematisch. Den Patriarchen (per Videoeinspielung gnadenlos von Steffen Gräbner gegeben) ins katholische Würdengewandt zu stecken, war naheliegend. Die Schwester Sultans Saladin, die von Linda Foerster selbstbewusst gegebene listige Sittah, in Kopftuch und langes Kleid zu verhüllen, nicht minder. Ebenso das strenge Hosenkostüm bei Daja, der christlichen Gesellschafterin Nathans Zögling Recha, die als moderne Gouvernante das Scheitern aller Prinzipien verkörpert bekam. Die jugendliche Frische von Recha ist indes von Lessing zu sehr in Unschuld getaucht, als dass Violetta Zupančič irgendwas hätte falsch machen können. Die als Jüdin erzogene Christin und Tochter eines Muslims hatte ja nichts mehr zu tun, als "nur" die Frage nach der wahren Religion mit ihrer natürlichen Versöhnlichkeit ad absurdum zu führen. Beim Ritter des Templerordens, der sich als Bruder Rechas entpuppen sollte, wurde es schon schwieriger. Draufgänger? Held? Dann aber verwirrt, als seine Verfeindungen in den Grundfesten erschüttert werden? Benjamin Schroeder nahm die Herausforderung an und minimalisierte seine Emotionen. Nur der Derwisch Christian Wincierz durfte sich als Aussteiger ausgeprägtere Reaktionen erlauben, zumal er als Asket auf dem Posten des Schatzmeisters leerer Kassen ohnehin die Absurdität an sich verkörperte.

Vorgeblich spaßig kam Martin Maecker in der Rolle des Klosterbruders daher. Mit teils Vorurteile schürenden, scheinbar harmlosen Witzen provozierte er hinterhältig. Mit dem Kaffee-Kanon, der mitunter bei Pegida-Aufmärschen gesungen wird und in den das Publikum gedankenlos einstimmte, zog er die deutlichste Verbindung zur Aktualität. Begeisterter Applaus und hoffentlich nachhaltige Wirkung.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: