Feldafing:Freiraum für Übermut

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Standing Ovations, auch wenn das Publikum zur Matinee nicht so zahlreich erschien, wie gewohnt: Kit Armstrong und Andrej Bielow in Feldafing. (Foto: Anne Kirchbach (OH))

Kit Armstrong und Andrej Bielow nutzen die Intimität der Feldafinger Peter-und-Paul-Kirche, um Ungewöhnliches auszuprobieren und das Publikum im Sturm zu erobern

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Mittlerweile brechen viele international renommierte Musiker ein gewisses Tabu und genießen die Vorteile ländlicher Auftritte. Schließlich war ja auch Kammermusik bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht für große Konzertsäle gedacht. Die Peter-und-Paul-Kirche, in der nun schon zum vierten Mal die Musiktage Feldafing stattfanden, bietet vorteilhafte Intimität, reizvolle Kulisse und ein enthusiastisches Publikum für außergewöhnliche Konzerterlebnisse. Einen Vorteil lieben die Musiker dort besonders: Jenseits der großen Feuilletons, des Agenturendrucks und der unmittelbaren Vergleichbarkeit können sie ungewöhnliche Programme erproben und auch nach Herzenslust drauflosmusizieren.

Von dieser Freiheit machten der Geiger Andrej Bielow und der seit einigen Jahren weltweit für Furore sorgende, erst 25-jährige Pianist Kit Armstrong bei der sonntäglichen Matinee reichlich Gebrauch. Zweifelsohne traten sie an, um das Publikum hemmungslos im Sturm zu erobern, obgleich der Bayerische Rundfunk mitschnitt und deshalb doch ein interpretatorischer Rahmen gewahrt bleiben musste. Im Kompromiss verzichtete das Duo zwar auf allzu Extravagantes, prägte jedoch das Gestaltungsspektrum bis in die Extrema aus. Vor allem in den virtuosen Höhepunkten ging es schon fast orchestral zu, was die Substanz betraf.

Ein spannendes Experiment wagten Bielow und Armstrong in der Gegenüberstellung von zwei Werken Bachs, die der Altmeister sowohl in Violin- wie Klavierfassung maßgeschneidert anbot. Der Vergleich hinkte hier allerdings etwas, weil Bach doch fürs Cembalo komponierte, hier brachte Armstrong am Flügel mit ausgeprägter Dynamik und Pedaleinsatz die Problematik der zeitgemäßen Ästhetik mit ins Spiel. Das Adagio C-Dur BWV 1005 und 968 sowie Grave und Fuge a-Moll BWV 1003 und 964 kamen sich auf diese Weise näher, als Bach es wohl geplant hatte - zumal auch Bielow die vielen Ebenen dieser Werke transparent zu differenzieren verstand.

Ruhiger im Fluss blieb die Klavierfassung, weil das Tasteninstrument auf Vielstimmigkeit ausgelegt ist - was indes auf der Violine viele Akkordbrechungen bedeutete. Bielow aber bewältigte sie brillant und geradezu spektakulär in der Giaccona der d-Moll-Partita BWV 1004 für Violine Solo, deren 30 Variationen der Geiger reichhaltig gegeneinander absetzte.

In den beiden Duo-Werken sorgte der fulminante Zugriff geradezu für ein Feuerwerk großer Gesten und effektvoller Wendungen. Übermütig heranzugehen war bei Beethoven nicht falsch, waren doch die drei Sonaten op. 12 die ersten Werke des Komponisten, die er selbstbewusst in Wien publizieren ließ. Noch an Mozart angelehnt, zeugt auch die dritte Sonate in Es-Dur vom impulsiven Charakter des Autors. Der Geist kam dennoch nicht zu kurz, vor allem in filigranen Rücknahmen oder wenn Lyrik warmtonig dahinfloss, insbesondere im trillerreich perlenden Adagio. Das kontrapunktische Rondo-Finale, ein mitreißendes Wirbeln mit mächtigen Akzenten, hätte nicht vitaler inszeniert werden können.

Trotz der symphonischen Größe waren die beiden Musiker dabei noch nicht in die Vollen gegangen. Eine Steigerung bewahrten sie sich für die Sonate d-Moll op. 75 von Saint-Saëns mit einem spannungsgeladenen, suggestiven Szenario auf. Dieses Werk, das aufgrund seiner Effektfokussierung mit Beethovens Kreutzersonate verglichen wird, lag dem Duo sehr, weil es einer musikalischen Inszenierung bedarf. Bielow und Armstrong vermochten das Auf und Ab mit vielen überraschenden Wendungen nahtlos in die weitere Entwicklung einzufügen: Scharfe Rhythmisierung, fließende Melodik, düsteres Klotzen, spritzig leichtes Wirbeln, sinnierende Anspannung und geistvolle Rücknahmen führten letztendlich auf ein eruptives Feuerwerkfinale in packender Wucht zu. Frenetische Standing Ovation blieben nicht aus.

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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