Feldafing:Freigeschaufelt

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Den Meister auf die Schippe nehmen? Nein. Performerin Erika Stucky hat die Schneeschaufel zum Krachmachen dabei. (Foto: Nila Thiel)

Die Schweizerin Erika Stucky und ihre Band machen aus der Hendrix-Hommage in Feldafing eine Performance

Von Reinhard Palmer, Feldafing

An diesem Abend fand in Feldafing und Umgebung gewiss noch so manches Luftgitarrenkonzert statt. Der 75. Geburtstag von Jimi Hendrix war zweifelsohne Anlass genug, ein Solo hinzulegen. Aber hätte überhaupt jemand daran gedacht, wenn "Jazz am See" nicht die schräge Schweizer Performerin Erika Stucky eingeladen hätte?

Wie auch immer: Stucky machte aus dem Jubiläum auf alle Fälle etwas Besonderes für die Fans, die offenbar bis heute noch zahlreich sind. Der Bürgersaal im Feldafinger Rathaus hatte sich jedenfalls ordentlich gefüllt, als Stucky mit der Schneeschippe auftauchte. Was die mit Hendrix zu tun hat, blieb zwar ein Rätsel. Doch an den Bodenfliesen gerieben und mit dem Schlagzeug-Stick angeschlagen machte das Ding schon mächtig Lärm. Jedenfalls eignete sich die Schneeschippe durchaus dafür, ein indianisches Geisterbeschwörungsritual zu bestreiten. Konsequent in monotonem Groove bis zur Ekstase. Hendrix erschien zwar nicht, ließ sich aber durch Stucky und ihre Mannen überzeugend vertreten, mit Songs wie "Hey Joe" oder "Foxey Lady".

Christy Doran, Gitarrist mit irischen Wurzeln, hatte alles drauf, was Jimi Hendrix berühmt gemacht hatte. Ohnehin gehören die Klassiker längst zum Pflichtrepertoire eines jeden Gitarristen. Die Rolle des heute 76-jährigen Hendrix- Bassisten Billy Coxübernahm der extrem vielseitige Japanologe Thomy Jordi, der in diversen Formationen von Free-Funk über Rock bis hin zu Pop (Rosenstolz) reichlich Flexibilität beweist. Schlagzeuger Fredy Studer brachte aus der Neuen Musik den nötigen Background fürs performative Musizierens mit, aber auch viel Power. Zusammen mit Stucky und dem Gitarristen rockte er mächtig ab.

Doch wie gedenkt man eines so extravaganten Musikers aus einer weit zurückliegenden Zeit? Die Hippies von damals sind heute bürgerlich ergraut. Auch auf der Bühne standen nicht gerade Musiker in der Blüte ihrer Jugend, schließlich sind die wilden Zeiten schon einige Jahrzehnte her. Cannabis gibt es heute auf Rezept, heilsam aus dem Vaporisator inhaliert. Auf Alkoholexzesse steht zumindest in Feldafing längst niemand mehr. Ein ekstatischer Tanz oben ohne und blumenbekränzt käme wohl eher albern daher.

Dennoch: Einfach nur Musik zu spielen und zu singen, wäre für Stucky keine Option. Sie machte die Hommage daher zu einer Performance, wie sie vielleicht auch Hendrix später angestrebt hätte, wäre er nicht mit nur 27 Jahren gestorben. Und Performatives ist ohnehin Stuckys künstlerische Heimat, hat sie doch nicht nur Gesang, sondern vor allem auch Schauspiel studiert. So ging es nicht um ein museales Gedenken, sondern vielmehr um eine Begegnung zweier Künstlerpersönlichkeiten, die von ihrer Denk- und Ausdrucksweise gar nicht mal so weit voneinander entfernt schienen.

Jimi Hendrix war schließlich nicht nur ein grandioser Gitarrist, sondern auch ein mutiger Experimentierer, der die später im Hardrock zum Standard gewordenen Möglichkeiten der E-Gitarre als erster erkundete. Was den Klang betraf, versuchte Doran dem Original mit Wah-Wah-Effekten, dem heisere Härte drüber legenden Fuzz-Face, mit Tremolohebel, Bottleneck etc. möglichst nahzukommen. Das ergab Sinn, sind doch die großen Hits von Hendrix untrennbar mit einer bisweilen mächtig lärmenden Klangcharakteristik verbunden. Stucky vermochte ihre Stimme auch gut zu verdunkeln, um jenen so packenden Gesang im Unisono mit der singenden Gitarre authentisch erlebbar zu machen. Solche Effekte gehen einfach unter die Haut.

Aber dabei sollte es nicht bleiben, denn Stucky brachte auch ihre Erinnerungen aus ihrer Kindheit in San Francisco der 1960er Jahre mit und legte sie den Relikten behutsam unter. Musikalisch verwertbares Plastikspielzeug in schrillen Farben, Perkussives mit Luftpolsterfolie oder auch stilistisch abdriftende Experimente, die wohl in Anlehnung an die musikalische Woodstock-Bandbreite ein ganzes Klangszenario entwarfen, vermochten durchaus auch das Lebensgefühl dieser Jahre zu evozieren. Sozusagen als ein klingendes Biotop der Hendrix-Welt, die mit dem mysteriösen Tod des Meisters für viele Anhänger untergegangen war. Frenetische Ovationen und eine üppig rockige Zugabe: "Purple Haze".

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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