Etterschlag:Geheimnisvolles Kongo-Copal

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Der 90-jährige Hans Ulrich Kölsch aus Steinebach ist ein Experte für alte Kunststoffe. Seine Sammlung im Etterschlager Handwerkerhof umfasst mehr als 5000 Exponate. Darunter einige aus exotischen Materialien

Von BLanche Mamer, Etterschlag

Das erste Objekt fand er 1972 auf einem Flohmarkt in Düsseldorf. Es war eine handgroße orangefarbene Kunststoffdose im Stil des Art Déco mit Goldblattverzierung. "Ich war fasziniert und wollte wissen, wer der Hersteller war. Also begannen wir zu suchen", sagt Hans Ulrich Kölsch aus Steinebach bei einer Führung durch seine Sammlung von Gegenständen aus Kunststoff im Handwerkerhof in Etterschlag. Kölsch, der am Sonntag 90 Jahre alt wurde, hatte zusammen mit seiner Frau Ursula ein Architekturbüro in Essen betrieben. Sie haben nicht nur gemeinsam Häuser geplant, sondern auch ihre Kunststoff-Sammlung aufgebaut, die heute mit mehr als 5000 Objekten als weltweit größte Privatsammlung in dem Metier gilt und bei Experten hoch angesehen ist. Vor acht Jahren ist Kölsch an den Wörthsee gezogen und fühlt sich hier "sehr wohl", wie er sagt.

An der Seite des Handwerkerhofes führt eine Außentreppe in den ersten Stock, dann ein langer Gang zum Depot. Bis zur Decke reichen die Regale, die vollgestellt sind mit Haushaltsgeräten: Mixer, Bügeleisen, Radios, Telefone, Essgeschirr, Dosen, Kaffeemühlen, Toaster, Zigarettenetuis und als Krönung eine alte Juke-Box. Es sind Gebrauchsgegenstände, wie sie beim Entrümpeln eines Speichers auftauchen, aber auch seltene Luxusstücke, die wie aus Bernstein gemeißelt aussehen und wie Perlmutt schimmern. Die Objekte sind aus Zelluloid, Bakelit, Gallalith, Resopal, Kongo-Copal, Schellack, Plexiglas und weiteren synthetischen Materialien.

Der erste Kunststoff, das Kasein, wurde im 16. Jahrhundert aus Milcheiweiß hergestellt und zu Gefäßen und Schmuckstücken verarbeitet. Die industrielle Produktion begann vor mehr als hundert Jahren, als der belgische Chemiker Leo Hendrik Baekeland entdeckte, dass sich Phenol und Formaldehyd zu Kunstharz verbinden lassen. Dieser erste vollsynthetische Werkstoff wurde nach seinem Erfinder benannt: Bakelit. Um 1930 begannen die Designer mit Kunststoffen zu experimentieren, erläutert Kölsch die Entwicklungsgeschichte. Denn diese Materialien haben Eigenschaften, wie sie kein natürlicher Werkstoff in dieser Kombination aufweist: sie lassen sich gießen, pressen, schäumen, spritzen, schneiden, stanzen und in allen Farben einfärben. So eröffneten sich bis dahin ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten.

"Das war eine große Chance für die Entwicklung der ersten elektrischen Haushaltsgeräte und deren serielle Herstellung. In den Objekten spiegeln sich nicht nur der Zeitgeist und die Stile und Epochen, sondern auch die nationalen Besonderheiten", weiß Kölsch. Er weist zum Beispiel auf ein französisches Bügeleisen hin, das nicht nur eine glatte Plättfläche aufweist, sondern im stumpfen Winkel dazu eine Aufsetzfläche. Deutsche Bügeleisen haben das nicht. Dann zeigt er ein eierschalenfarbenes Radio, dessen Design wie ein Wolkenkratzer aus den Dreißigerjahren aussieht und aus den USA stammt. Daneben steht ein ebenfalls amerikanisches Radio aus den Vierzigern, dessen Form an die Triebwerke eines Flugzeuges erinnert. Im nächsten Regal befindet sich ein Rundfunkgerät mit Bakelit-Rahmen um einen oval geschwungenen Lautsprecher. Produziert wurde die Serie 1956 von der Firma Tesla in der ČSSR. Und dann ist da ein runder Lautsprecher der Elektrofirma Philips, der an eine schwarze Parabolantenne denken lässt, jedoch knapp 100 Jahre alt ist.

Nach 45 Jahren Sammeln und Recherchieren ist Kölsch mittlerweile sehr gut vernetzt. Anfangs war das keineswegs so. Er erzählt, dass es beispielsweise eineinhalb Jahre gedauert habe, bis er Informationen über seine erste Dose bekam. Sie ist 1925 in einer belgischen Manufaktur hergestellt worden. Sie besteht aus Kongo-Copal, einem Material, das auf der Basis eines Baumharzes hergestellt wird, das die Belgier aus ihrer Kolonie importieren konnten. Die Recherche war sehr aufwendig, erzählt Kölsch. Es brauchte unzählige Telefonate und viele Briefe, und es waren mehrere Reisen notwendig. Sein neues Hobby trieb ihn auf Flohmärkte und Kirchenbasare, zu Trödlern, Geschäftsauflösungen, Firmenpleiten. Nach und nach habe er gemeinsam mit seiner Frau, die vor sechs Jahren gestorben ist, alle Industriezentren des alten Europas abgegrast und mit Ausnahme von Australien, alle Kontinente bereist.

"Kunststoffe, die in der Zeit von 1860 bis 1960 entwickelt wurden, spielen eine wichtige Rolle im industriellen Fortschritt und sind Teil unserer Kulturgeschichte", sagt Günter Lattermann aus Bayreuth, Vorsitzender der Gesellschaft für Kunststoffgeschichte. Zusammen mit vielen weiteren Sammlern und Experten aus ganz Deutschland war er am Wochenende zur Geburtstagsführung gekommen. Kunststoffe oder Plastik, wie sie umgangssprachlich genannt werden, haben eine schlechte Reputation, sagt Lattermann. Man denke nicht an Industriedesign, sondern an Zahnbürsten und Tupperware oder an Plastiktüten, die die Meere verschmutzen. Wie Porzellan oder Glas gehörten auch Objekte aus Kunststoff ins Museum, findet er. Erst seit den Siebzigerjahren werden Kunststoffe auf Basis von Erdöl gewonnen.

Besichtigungstermine können bei Hans Ulrich Kölsch unter der Telefonnummer 08153/8871887 vereinbart werden.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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