Berg:Familientreffen

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Mutter und Tochter, Birgit Berends-Wörl und Marie Wörl, stellen zusammen Skulpturen im Berger Marstall aus. Der Bruder und Onkel ist mit Gedichten vertreten

Von Ute Pröttel, Berg

Sehr zierlich sitzt die berühmte Bildhauerin da. Die Hände im Schoß, in Gedanken versunken. Resigniert. Die Skulptur in Betonguss ist in einem Stahlrahmen mit starker Rostpatina positioniert. Sie bewundere Camille Claudel, erzählt Marie Wöhrl, die Schöpferin der Skulptur. Die 21-Jährige stellt in dieser Woche zusammen mit ihrer Mutter, der Bildhauerin Birgit Berends-Wöhrl ihre Arbeiten im Berger Marstall aus. Der Stahlrahmen symbolisiere für sie die psychische Anstalt, in der sich Camille Claudel die letzten dreißig Jahre ihres Lebens befunden habe. Im Stahlrahmen wird die Skulptur zur Installation. Modelliert hat Marie Wöhrl die Figur der Camille Claudel nach einem Foto der bekannten französischen Bildhauerin. Den Stahlrahmen fand sie im Atelier der Mutter in Wolfratshausen.

Ganz ähnliche Gegenstände, etwa das Teil eines alten Kanaldeckels oder einen Abwassersiphon, benutzt Birgit Berends-Wöhrl für ihre Installation "Menschenkind". In fünf Einzelobjekten setzt sie ein kleines Mädchen in Kontrast zu Schutt-Teilen aus dem Straßenbau. "zu früh, zu groß zu schwer," oder "barfuß in die welt" lauten die Titel. Gelesen werden könnte die Installation als Allegorie auf eine harte Kindheit. Ganz bewusst haben Mutter und Tochter ihre Werke nicht per Namen kenntlich gemacht. Der Betrachter soll erst einmal das Kunstwerk wirken lassen.

Dazwischen auf zarten Stoffbahnen handgeschriebene Gedichte von Wolfgang Berends. Dem Bruder und Onkel. Die Texte entstammen Berends jüngst erschienenem Gedichtband "Nach Durchsicht der Wolken", das in diesem Jahr als 100. Publikation der Stadtlichter Presse erschienen ist.

Drei Künstler einer Familie treffen sich in einem Ausstellungsraum. Sie vertreten zwei Generationen. Die Familie sei ihr Thema, sagt Birgit Berends-Wöhrl während der Vernissage am Samstagabend. "Dort passieren ganz wunderbare Dinge, aber auch ganz schreckliche." Neun Jahre ist die letzte Ausstellung von Birgit Berends-Wöhrl am selben Ort her. Damals ebenfalls schon begleitet von den Gedichten des Bruders. Nun kommen die Werke der Tochter dazu. Man spürt den Stolz der Mutter, dass auch sie in ihre künstlerischen Fußstapfen tritt. Den Austausch mit der jungen Generation von Kunstschaffenden, die die Tochter mit in ihr Haus und Atelier bringe, empfinde sie als äußerst inspirierend und keinesfalls als Konkurrenz. Einige von ihnen sind auch zur Eröffnung der Ausstellung in den Berger Marstall gekommen.

Marie Wöhrl absolviert aktuell noch die Fachschule für Holzbildhauer und Schnitzer in Oberammergau. Dennoch sind die Arbeiten, die sie im Marstall zeigt, allesamt Skulpturen in Betonguss. Und wer die Arbeiten ihrer Mutter nicht kennt, rechnet das ein oder andere Werk erst mal der Künstlerin mit mehr Erfahrung zu. Etwa die Büste "Cantadora". Sie ist gekennzeichnet von einer starken Ambiguität. Schwer zu sagen, ob es sich nun um eine weibliche oder eine männliche Abbildung handelt. Ihr wohnt beinahe schon etwas von einer Totenmaske inne. Erst im Profil tritt die "Bewahrerin der alten Geschichten", so der Untertitel, zu Tage. Geformt hat Marie Wöhrl die Büste frei aus der Imagination nach der Lektüre von "Die Wolfsfrau" von Clarissa Pinkola Estés. "Die Skulptur ist an einem einzigen Abend entstanden", erzählt Wöhrl und fügt hinzu: "Diese Schnelligkeit gefällt mir am Betonguss." Die Figur wird erst in Ton modelliert und dann mit Gips abgeformt und ausgegossen.

Hat die Kunstaffinität quasi mit der Muttermilch aufgenommen: Marie Wöhrl. (Foto: Nila Thiel)

Die falsche Zuordnung darf voll und ganz dem Talent und der Ausdrucksstärke der jungen Künstlerin zugeschrieben werden. Im Gespräch klären Mutter und Tochter jedoch gerne auf, welches Kunstwerk nun von welcher Hand stammt. Jedes einzelne verfügt über ausreichend Wirkraum, die gesamte Ausstellung ist sehr ausgewogen kuratiert.

Nach Durchsicht der Wolken. Wolfgang Berends, Lyrik-Installation; Marie Wöhrl und Birgit Berends-Wöhrl, Bildhauerei, zu sehen am 5. November, von 14 Uhr an. Marstall am See, Mühlgasse 7.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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