Autorenporträt:Geschichten im Gepäckträger

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Wer schreibt, versteht die Welt besser: Sela Miller in ihrer Wohnung auf Gut Rösslberg. (Foto: Nila Thiel)

Sela Miller, die in der ländlichen Abgeschiedenheit von Gut Rösslberg lebt, verwebt in ihrem Buch "Rose fährt Rennrad" Erzählungen, Fragmente und Alltagserlebnisse zu einem Roman-Kosmos

Von Katja Sebald, Tutzing

Noch ländlicher kann man eigentlich gar nicht wohnen als Sela Miller. Aus dem Fenster schaut sie auf Wiesen und Wälder und dann noch weiter auf die Berge. Gut Rösslberg liegt irgendwo im Nirgendwo zwischen Tutzing und Weilheim. Nichts als Idylle und ein bisschen Hühnergegacker. Kaum zu glauben, dass die Schriftstellerin in dieser Einsamkeit die Texte geschrieben hat, die vor knapp einem Jahr in dem Erzählband "Rose fährt Rennrad" erschienen sind.

Da ist gleich als erstes die titelgebende Rose: Sie radelt auf ihrem Rennrad ins Büro, hipstermäßig trägt sie Turnschuhe zu Anzughosen und bei Kälte einen großen Schal. Eine Stadtpflanze, mit Sicherheit. Eine Liebesgeschichte, die sich an roten Ampeln entspinnt. Und dann sind da noch "Räumeflüsterer, Platzanweiserinnen; Frauen, die im Dirndl Bauchtanz tanzen, ein Güterzuglokführer mit osteuropäischem Akzent". Dann ein "Asylbewerber aus dem südlichen Sudan" und schließlich immerhin ein "schwarzhäutiges Mädchen, das in einem kleinen Dorf in Oberbayern aufwächst".

Unwillkürlich fragt man sich, wo die Autorin die Inspiration für ihre Geschichten findet. Vieles falle ihr auf langen Spaziergängen in der Natur ein, sagt sie zunächst. Und dann auch noch: "Ich schreibe oft Sachen, die ganz nah am Alltag sind." Um einen Alltag zu finden, über den sie schreiben kann, fährt sie mindestens einmal in der Woche in die Stadt. Sie sitzt in Cafés und beobachtet Menschen. Oder sie geht in die Bibliothek zum Lesen. Und sie sagt: "Das Landleben ist wie eine Lupe, es schärft die Wahrnehmung. Wenn ich jetzt in der Stadt bin, sehe ich viel klarer." Ihre Geschichten, die sich zunächst lose aneinanderreihen, dann aber wie eine Art Roman-Kosmos zusammenwachsen, sind eine "Mischung aus Selbsterlebtem, Beobachtetem und Erzähltem", so Sela Miller. Vieles erscheint autobiografisch, manches erscheint wie eine Art Reisetagebuch und wieder anderes thematisiert das Schreiben selbst.

Sela Miller ist ein Künstlername, so nah am echten Namen der Autorin wie ihre Geschichten am echten Leben. Unter dem Namen, der in ihrem Pass steht, schreibt sie auch Auftragstexte, zum Beispiel für Websites oder für die Mitarbeiterzeitschrift einer Bank. 1967 in Würzburg geboren, studierte Sela Miller Theaterwissenschaften, Soziologie und Amerikanistik in Erlangen und München. Zunächst als Regieassistentin an verschiedenen Theatern, dann zunehmend mit eigenen Performances und Literaturprojekten im öffentlichen Raum ließ sie sich schon früh auf das Spiel mit Realität und Fiktion ein. Bereits Ende der Neunzigerjahre veröffentlichte sie ihre Texte im Internet. Nur ein Jahr ihres Lebens hatte sie einen normalen Bürojob bei einer IT-Firma, über den sie dann früh zur Netzliteratur fand. Obwohl sie seit vielen Jahren literarische Texte schreibt, wandte sie sich erst in jüngster Zeit dem Büchermachen zu. Nach eigenen kleinen Editionen veröffentlichte sie jetzt ihr erstes Buch im österreichischen Verlag Müry Salzmann. Ihre eigene Website WildeProsa ist immer noch eine Art Blog, aber sie findet: "Das Internet war anfangs ein spannender öffentlicher Raum, die sozialen Netzwerke sind jetzt eher eine Art Gated Community." Die Kommerzialisierung des Internets beobachtet sie mit Skepsis, der ursprüngliche demokratische Anspruch sei nach und nach verloren gegangen.

Vor zehn Jahren mietete Sela Miller zusammen mit ihrem Mann zunächst zur Probe eine kleine Ferienwohnung auf Gut Rösslberg, irgendwann dann eine richtige Wohnung. Eine Bleibe in München haben sie auch heute noch, aber sie nützen sie immer seltener. "Früher habe ich immer gedacht, ich muss unbedingt in der Stadt leben, aber jetzt schätze ich diesen ruhigen und sehr inspirierenden Ort", sagt sie. Wie viele ihrer Protagonisten, denen sie zuweilen die Namen aus der täglichen Flut an Werbemails gibt, schaut sie "als Zivilisationsinvalidin" auf die Natur. Das Schreiben, so sagt sie, ist eine Möglichkeit, die Welt besser zu verstehen. "Als Kind habe ich gespürt, dass das, was die Menschen sagen, und das, was wirklich ist, nicht zusammenpasst", sagt Sela Miller. Fast scheint es, als bewege sie sich bis heute mit ihren wortspielerisch zarten und leise hintergründigen Texten in einem Nebenland möglicher Realitäten.

An diesem Sonntag wird Sela Miller von 14 Uhr an im Teehaus im Schacky-Park in Dießen aus "Rose fährt Rennrad" lesen, unter anderem auch die Erzählung "Teehaus für eine Nacht".

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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