Andechs:"Orff muss unbedingt wiederentdeckt werden"

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Ist sehr traurig, dass es mit den Carl-Orff-Festspielen in Andechs vorbei ist: Christian von Gehren. (Foto: privat)

Dirigent Christian von Gehren spricht über die Konflikte bei den Carl-Orff-Festspielen in Andechs

Interview von Reinhard Palmer, Andechs

Die Carl Orff-Festspiele in Andechs wurden wegen Unstimmigkeiten zwischen dem Kloster Andechs und der Orff-Stiftung beendet. Vor sechs Jahren kam der Dirigent Christian von Gehren auf den Heiligen Berg mit dem Auftrag des Bayerischen Rundfunks (BR), dort die Orff-Akademie des Rundfunkorchesters zu gründen. Später kam die Gründung eines Festspielorchesters unter seiner Leitung hinzu. Doch von Gehrens Kompetenzen als musikalischer Leiter der Aufführungen blieben stark eingeschränkt, trotz seiner fundierten Festivalerfahrung von den Bregenzer Festspielen her. Ein Gespräch über die Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Leiter Marcus Everding.

SZ: Künstlerische Leitung hatte in Andechs ein Nichtmusiker. Ist das nicht seltsam beim Musiktheater?

Christian von Gehren: Ich sehe das als symptomatisch an. Die Musik hat in der Außendarstellung der Festspiele eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. Der Austausch zwischen Everding und mir hat auf musikalischer Seite auch nicht stattgefunden. Über die Idee, Orff in einen musikalischen Kontext zu stellen, hatte es gar keinen Zweck, mit Everding zu sprechen. Sechs Jahre lang ist keiner meiner musikalischen Vorschläge realisiert worden.

Gab es Zensur seitens der Orff-Stiftung?

Nein, aus meiner Sicht nicht. Die Stiftung nahm Anstoß daran, dass die stärker auf Sprache fokussierten Stücke im Mittelpunkt standen und Everding hinzugeschrieben und geändert hat. Ich habe selber nicht nachvollziehen können, warum "Leonce und Lena" von Büchner als Schauspiel kommen musste und habe damals den Vorschlag gemacht, wenn wir das Stück als Stoff brächten, dann in der Oper von Paul Dessau. Everding war aber nicht bereit, sich ernsthaft mit diesem musikalischen Vorschlag auseinanderzusetzen. Das habe ich als unseriös empfunden.

Wie weit gingen Everdings "Modernisierungen"?

In dem Sinne, dass der Text bei Orff immer auch Musik ist, gab es Eingriffe ins Werk. Wenn zum Beispiel in "Catulli carmina" Übertexte kamen, die im Grunde erzählend sind, dann heißt es für mich, dass man die Substanz des Werkes nicht als ausreichend empfindet, um sie zu verheutigen. Everding hat nicht gewagt, in die Partitur einzugreifen. Aber alles was textlich ist, da hat er sehr stark eingegriffen, und das ist in Orffs Werken, wo alles in einem musikalischen Gesamtkonzept zu sehen ist, ein Eingriff in die Werksubstanz.

Ist denn die Akzeptanz des Publikums nicht gerade erst in der Zeit von Orff angekommen?

Das sehe ich auch so. Wir kommen langsam in die Zeit, wo man sich diese Musik neu anhört und versteht. Ich glaube nicht, dass eine Modernisierung nötig ist. Das ist Musik des 20. Jahrhunderts.

Besteht bereits die Notwendigkeit, Orffs Musik neu zu entdecken?

Orff muss unbedingt wiederentdeckt werden und den Platz in den Spielplänen bekommen, der ihm gebührt. Er war einer der ganz großen Musikdramatiker des 20. Jahrhunderts. Immerhin haben wir in den vergangenen sechs Jahren das musikalische Niveau in Andechs massiv vorangebracht.

Kam die Idee der Ergänzung des Astutuli-Abends mit Musik von John Cage von Ihnen?

Ja, denn "Astutuli" ist nicht abendfüllend. Das war das einzige Mal, dass Everding einen Vorschlag von mir akzeptiert hat. Der Abstimmungsprozess mit der Stiftung in Sachen Cage war übrigens völlig unproblematisch. Ein klares Zeichen, dass es niemals um Zensur ging.

Ging die Idee auf?

Everding wollte das Stück ergänzen mit einem pantomimischen Nachspiel. Es ist mir viel zu spät klar geworden, dass ich ein Werk des linken, homosexuellen Avantgardisten John Cage hergegeben habe, um einen faschistischen Prozess in einer Dorfgemeinschaft musikalisch zu grundieren. Das ist ein totaler inhaltlicher Bruch. Die Musik suggeriert da plötzlich eine Aggression, die vielleicht in der Ballung der Instrumente irgendwo da ist, die aber von Cage sicherlich nicht als Gewalt gedacht worden ist. Aber von dem Probenprozess dazu war ich ausgeschlossen; Everding hat die ganze Pantomime vorher mit einer Youtube-Aufnahme des Cage-Stücks einstudiert.

Das alles klingt nach einem handfesten Konflikt.

Everding hat Schwierigkeiten, andere zu Wort kommen zu lassen. Und daraus resultierten alle Konflikte: Fragen nach einer besseren Sängerbesetzung, nach der Qualität des Chores, nach der inhaltlich-musikalischen Ausrichtung der Festspiele. Und eine zu geringe Wahrnehmung der Orchesterarbeit.

Ihr Schlusswort zu Andechs?

Ich bin sehr traurig darüber, dass es so plötzlich zum Ende der Festspiele gekommen ist. Der diesjährige "Mond" hat noch einmal gezeigt, was musikalisch alles möglich war in Andechs. Schade ist es insbesondere auch um die Andechser Orff-Akademie des Münchner Rundfunkorchesters. Es wäre deshalb schön, wenn das letzte Wort über die Carl Orff-Festspiele noch nicht gesprochen ist.

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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