Andechs:Bernauerin ohne Abgrund

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Mal überfrachtet, mal widersprüchlich, mal distanziert: Der Wiederaufnahme der Orff-Inszenierung von Marcus Everding fehlt es an Überzeugungskraft

Reinhard Palmer

AndechsHellmuth Matiasek hatte sich in seiner Inszenierung von Carl Orffs "Die Bernauerin" auf eine naturalistische Behandlung des Stoffes eingelassen. Sie hatte viel Bühnenzauber und Atmosphäre. Doch Orffs kraftvolle Musik, seine scharf geschnittenen Sprechgesänge und seine entrückte orchestrale Klangexotik hatten Mühe, ihre Modernität auszuspielen. Marcus Everding, der künstlerische Leiter der Carl-Orff-Festspiele Andechs, beschritt im vergangenen Jahr mit seiner Neuinszenierung einen anderen Weg. Eine Fassung, die sich nun in der vom Publikum gut angenommenen Wiederaufnahme aber auch als nicht unproblematisch erwies.

Friedrich Hebbel hatte die Bernauerin als "moderne Antigonae" bezeichnet, doch Orff ging es ums bayerische Wesen: "Ich aber wollte ein bairisches Stück schreiben, wobei mir das Volkslied zum Ausgangspunkt wurde." Vergleicht man den Ansatz der Bernauerin mit dem der Antigonae, die Orff nur zwei Jahre später mit einem Bühnenwerk bedacht hatte, wird eines klar: Wenn Orff ein griechisches Theater gewollt hätte, dann hätte er die Bernauerin gänzlich anders konzipiert - szenisch wie musikalisch. Mag sein, dass dem bayerischen Wesen etwas wortkarg Stoisches anhaftet, was der griechischen Tragödie durchaus entgegenkommt. Doch die düsteren Abgründe des Aberglaubens, die der Mönch als Demagoge nun von einem Rednerstand aus an den Tag legt, aber auch das Verruchte des Augsburger Badhauses, das Everding allenfalls dem kommentierenden Chor antiker Prägung zugesteht und ansonsten sittliche Sterilität walten lässt, überzeugten nicht. Deren auf unterschiedliche Weise bedrohliche Atmosphäre ließ die nötige mythische Schwere vermissen. Everding überfrachtete indes die Szenen mit symbolischen Details und hintergründigen Andeutungen, die sich nicht immer erschließen lassen.

Die Inszenierung verstrickt sich immer wieder in Widersprüche, was zwar durchaus als ein interpretatorisches Element verstanden werden kann. Doch selbst wenn man sich bereitwillig dem Stück ausliefert, nimmt es einen nicht gefangen. Die griechische Statik und Kargheit der groß besetzten Szenen, etwa im Disput der Bürger, steht dann im starken Kontrast zu intimen Begegnungen. Wenn Florian Fisch als Herzog Albrecht und Katharina Kram als Agnes Bernauer auf Schloss Vohburg turteln, so ist es zwar überzeugend, wirkt aber befremdlich, ja verwirrend inmitten der sonstigen Distanziertheit. Anders die Abschiedsszene auf Schloss Straubing, die das drohende Unheil unterschwellig vorwegnimmt. Die inhaltlich dramatische Verhaftungsszene macht demgegenüber aber aus der Bernauerin unerwartet eine Jeanne d'Arc, die irgendwie unbeteiligt in den Tod schreitet. Einzig der Hexenchor, der zwar als Kommentator der nicht sichtbare Handlung ein antikes Element ist, doch in seiner musikalischen Ausgestaltung einen ureigenen Orff-Geniestreich darstellt, bleibt unangefochten darin, die Einheit aus Inhalt, Sprache, Musik und Bedeutung herzustellen.

Everding setzte dem Konzept - wie auch schon Matiasek - Bewegung hinzu, um letztendlich die Bühnengestaltung (Thomas Pekny) in die Einheit einzuschließen. Was schon aufgrund der architektonischen Strenge - ein großer Holzkasten auf einer Drehbühne, der mal als Querriegel distanzierte, mal als Rammbock in die Tiefe verwies - lediglich die Option gab, die Klappen der Kiste zu öffnen und mit Licht zu spielen, also archaisch wirken musste. Wesentlich reicher und großartig im Kolorit fiel die musikalische Ausgestaltung von Christian von Gehren aus, der Festspielorchester und -chor (Choreinstudierung Christian Meister) in feinsinniger Balance auszutarieren vermochte.

© SZ vom 24.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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