Standortfrage:Ausgeschlachtet

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Metzgermeister Andreas Gaßner kann sich nicht vorstellen, dass aus der Münchner Weißwurst eine Aschheimer Weißwurst wird. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ziehen die Münchner Fleischbetriebe aus der Innenstadt bald nach Aschheim um? Die Stadt wäre nicht traurig, sie könnte auf den freien Flächen Wohnungen bauen

Von Birgit Lotz e, München

Verlassen nach großen Unternehmen wie Rodenstock, Paulaner und Bernbacher jetzt auch die Schlachter und Metzger die Innenstadt? In den Betrieben im Münchner Schlachthof will sich vor dem Bürgerbegehren am Sonntag dazu kaum jemand äußern. Solange in Aschheim nicht alles unter Dach und Fach sei, seien die Großhändler zurückhaltend, sagt ein Insider. "Es dreht sich derzeit im Kreis." Auch vom Vermieter der Schlachthof-Immobilien, Kommunalreferent Alexander Markwardt, ist in diesen Tagen wenig Konkretes zu erfahren: In der Verwaltung seien die Gerüchte zwar bekannt, sagt er. Aber es habe sich bisher kein einziger Betrieb gemeldet, etwa um wegen einer Verkürzung des Erbpachtvertrags nachzufragen. "Wir sind damit nicht involviert worden."

Gerüchte kursieren im Schlachthofviertel viele, seit bekannt ist, dass in Aschheim ein neues Fleischhandelszentrum gebaut werden soll. Die Münchner Schlachter würden mit Versprechen geködert, von enorm günstigen Angeboten für einen Wechsel ist die Rede. Das Szenario der Umzugsgegner: Der Schlachthof werde ausbluten, auf dem Gelände zwischen Zenetti-, Tumblinger- und Thalkirchner Straße entständen Luxuswohnungen. Das Schlachthofviertel verliere nicht nur seinen Namensgeber, sondern werde auch in kurzer Zeit gentrifiziert.

Sollte das Bürgerbegehren gegen den Schlachthof in Aschheim scheitern, wären die Großhändler hinter den Münchner Schlachthofmauern am Zug. Zwei große Betriebe sollen Interesse bekundet haben, einer äußerst sich erstmals öffentlich dazu. Ludwig Attenberger, Chef der Rinderschlachtung in München, sieht einen Umzug nach Aschheim "durchaus wohlwollend". Angesichts der Baupläne für das Viehhofgelände gegenüber seiner jetzigen Arbeitsstätte befürchtet er, dass es in einigen Jahren Beschwerden der Anwohner gegen den Schlachtbetrieb geben werde. Außerdem bedürften die Anlagen 2020 - 20 Jahre nach der Privatisierung des einst kommunalen Schlachthofs - einer Erneuerung. "Ein Umzug böte sich also an."

Die Metzger dagegen wollten lieber in München bleiben, sagt Andreas Gaßner, Obermeister der Metzgerinnung, der seinen Betrieb nur wenige Meter vom Schlachthofeingang entfernt auf dem Viehhof hat. "Eine Münchner Weißwurst ist nur eine solche, wenn man sie auch hier herstellt. Sonst ist sie eine Aschheimer Weißwurst." Gaßner findet das Vorhaben, die Zenettistraße zu verlassen, absurd. "Das ist einer der besten Standorte der Welt", sagt er. Hier, im Zentrum der Stadt, sei man schlagkräftig und schnell mit frischen Waren beim Kunden - gerade zur Wiesnzeit habe sich das gezeigt.

Doch für die Befürchtung, dass München bald keinen Schlachthof mehr haben könnte, gibt es durchaus Anlass. Aschheims Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU) lässt durchblicken, ohne es zu bestätigen, dass es bereits Vorverträge mit Betreibern gebe. Er sagt auch, dass die Konzeption des Fleischhandelszentrums mit den Münchnern stehe oder falle. "Die Investoren rechnen ganz klar mit den Münchner Schlachthof-Firmen. Und die Herrschaften planen sicher nicht ins Blaue."

Fakt ist auch: Die Unternehmen, die den Schlachthof in Erbpacht betreiben, können Anfang der Zwanzigerjahre aus dem Vertrag mit der Stadt aussteigen. Und das Kommunalreferat wird sie wohl kaum zum Bleiben drängen. Ob der Schlachthof nun wegziehe oder nicht - "so oder so ist das für uns erfreulich", sagt Kommunalreferent Markwardt. Bleibe der Schlachthof, nehme die Stadt weiterhin den Erbbauzins ein. Zögen die Betriebe nach Aschheim, habe die Stadt die Möglichkeit, den Schlachthof zusammen mit dem Viehhof umzustrukturieren. Im ehemaligen Viehhof soll in den kommenden Jahren das Volkstheater neu gebaut werden, für die verbliebene größere Hälfte ist Wohnungsbau geplant. Ein benachbarter Schlachthof samt Gerüchen und Lkw-Verkehr in den frühen Morgenstunden wäre da vielleicht hinderlich.

Für die meisten Anwohner jedoch sind Gerüche und Verkehr kein Grund, den Schlachthof nach Aschheim zu wünschen. "Das gehört dazu", sagt Julia Pankower. Dafür genieße sie die Fläche, das Licht und die Weite - "und so etwas mitten in der Stadt". Diejenigen, die rund um den Schlachthof ihr Geld verdienen, halten ebenfalls nichts von einem Auszug. Messerschleifer Alexander Trapp sagt, er würde das Fehlen der Betriebe "gewaltig spüren". Er schleife nicht nur deren Messer, die Großhändler brächten auch die Schleifarbeiten der Köche aus den Gastrobetrieben, den Hotels oder Pflegeheimen mit, die sie beliefern. "Ich würde knapp die Hälfte meiner Kunden verlieren."

Noch gibt es laut Planungsreferat keinen Bebauungsplan für das Gelände. Die Entscheidung, ob dort Wohnungen gebaut werden sollen, liegt beim Stadtrat. Dort ist die Stimmung klar: Das sieben Hektar große Areal gilt als attraktive Lage für neuen Wohnungsbau. Grünen-Stadtrat und Stadtplaner Paul Bickelbacher, der im Bezirk wohnt, entwirft ein Szenario für den Fall, dass die Schlachtbetriebe München verlassen. Das Viertel werde teurer, vermutet er. Doch mit Luxuswohnungen sei auf dem Gelände nicht zu rechnen. Komme es zu einer Bebauung, würde voraussichtlich die Hälfte im geförderten Wohnungsbau errichtet, weitere 20 bis 40 Prozent über Genossenschaften. Der große Gewinner, glaubt Bickelbacher, sei der Bund. Er würde gerne seine an den Schlachthof grenzende Arbeitsagentur an der Kapuzinerstraße abreißen und Wohnungen bauen. Derzeit gilt der Standort wegen der Schlachthofnähe aber als nicht dauerhaft bewohnbar. Das könnte sich ändern.

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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