TSV Schwabhausen:Ein Herz aus Dynamit

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Profis in Ausbildung: Mateja Jeger (li.) und Alina Nikitchanka, gerade aus Belgien zurück, tauschen sich über ihre Leistung gegen den TuS Uentrop aus. (Foto: Toni Heigl)

Für eine Abwehrspielerin fehlt Alina Nikitchanka eigentlich die Ruhe. Dennoch beeindruckt sie - nicht nur durch Kampfgeist.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Es war ganz sicher nicht der allerbeste Tag, um Alina Nikitchanka genauer in Augenschein zu nehmen. Sie ist ja noch recht neu beim Tischtennis-Zweitligisten TSV Schwabhausen, es war erst ihr zweiter Auftritt vor eigenem Publikum. Und die junge Weißrussin gewann in einem Doppel und zwei Einzeln gerade mal einen einzigen ihrer zehn Sätze - ausgerechnet in diesem Spitzenspiel gegen den TuS Uentrop, Zweiter gegen Erster. Es lief einfach nicht am vergangenen Samstag. Nach dem 5:5, als die Spielerinnen in der Heinrich-Loder-Halle die Platten und Banden abbauten, hing sie mit zunehmender Verzweiflung an einem Werbeaufsteller, den sie einfach nicht eingeklappt bekam. Danach saß sie, die kurzen Haare noch immer mit mehreren Klammern nach hinten gesteckt, recht missmutig auf einer Treppe herum und tippte auf ihrem Handy.

Es war, andererseits, vielleicht sogar ein perfekter Tag, um Alina Nikitchanka zu beobachten. Es war nämlich trotzdem eine ganze Menge von dem zu sehen, was die aktuelle Nummer 243 der Weltrangliste zu einer außergewöhnlichen Spielerin macht - denn das ist sie in jedem Fall. Und bislang war sie für ihren neuen Verein im Dachauer Hinterland ja auch unerwartet erfolgreich: 7:1 Siege hatte sie bis zur vergangenen Woche eingefahren, fast alle im vorderen Paarkreuz, also gegen die gegnerischen Spitzenspielerinnen. Auch im Doppel mit Eva-Maria Maier lief es gut.

Der TSV Schwabhausen war im Sommer eigentlich gar nicht auf der Suche nach Verstärkung gewesen, wozu auch? Der souveräne Vorjahresmeister hatte ja dankend auf eine Rückkehr in die erste Bundesliga verzichtet, die zurzeit nur noch aus sieben Vereinen besteht. Doch als Yang Ting, die langjährige Nummer eins des Klubs, ankündigte, künftig nur noch sporadisch verfügbar zu sein, hatte der Klub handeln müssen. Ein gleichwertiger Ersatz für Yang, eine der besten Spielerinnen der Liga, konnte die Neue keinesfalls sein, klar. Dennoch übertraf sie bisher die Erwartungen.

Am vergangenen Samstag waren zum zweiten Mal beide eingesetzt worden, Yang auf Position eins (wo sie beide Partien gewann) und Nikitchanka auf Position drei. Für einige Minuten spielten sie sogar nebeneinander, Tisch an Tisch, die Abwehrspielerin Yang gegen die Angreiferin Elena Shapovalova, Nikitchanka gegen Uentrops Abwehrspielerin Jessica Wirdemann. Und das ergab den größtmöglichen Kontrast.

Denn auch Alina Nikitchanka ist Abwehrspezialistin. Wie Yang und Wirdemann verwendet sie auf der Rückhand einen Noppenbelag. Doch es war eben nicht dreimal der gleiche Spielstil zu sehen, ganz im Gegenteil. Yangs stoische Ruhe drückt sich in ihren Bewegungen aus: Zwar ist sie leichtfüßig und schnell (nicht umsonst vermag sie jeden noch so krachend platzierten Ball zurück auf den Tisch zu bringen), aber sie macht doch keine Bewegung zu viel. Schleicht. Konzentriert sich darauf, das Spiel zu lesen, die Gegnerin mit Schnittwechseln zu Fehlern zu verleiten und Chancen für eigene Angriffe vorherzusehen.

Wirdemann bewegt sich noch ökonomischer, dreht während der Ballwechsel häufig ihren Schläger (um zwischen Noppen und glattem Belag zu variieren) und bringt die Bälle so sicher zurück wie eine Gummiwand. Nikitchanka dagegen? Streut wilde Rückhandtopspins ein, schießt auf der Vorhand, schupft, versucht hart zu ziehen. Dabei hüpft sie zwischen jeder Ballberührung dreimal auf und ab wie ein Gymnastikball, schleudert vor Unterschnittbällen ihren linken Arm nach oben, feuert sich an, hadert, schimpft. Im Duell zweier Verteidigungsspieler muss irgendwann eine aktiv werden, und weil sie über so ein großes Repertoire verfügt, ist es an diesem Tag fast immer die Weißrussin, die die Initiative ergreift. Doch an Tagen wie diesem greift sie in ihrem Repertoire zielsicher daneben.

Schwabhausens Vereinstrainer Alexander Yahmed weiß um ihre Schwächen. Am Anfang sei er irritiert gewesen, wie unruhig Nikitchanka spiele, bisweilen "wirr", gar "ohne System". Jeder ihrer Schupfbälle kann wie ein Wagnis wirken. "Inzwischen verstehe ich, dass sie einfach so viel Energie hat, so viel inneres Feuer, sie ist wie Dynamit." Eigentlich also das Gegenteil dessen, was man als typischer Verteidigungsstratege braucht. Dennoch ist sich Yahmed sicher: "Sie kann eine Rakete werden." Natürlich könne man sie nicht mehr auf Angriff umschulen, aber er ist dabei, ihr mehr Struktur zu geben, Ruhe, Geduld. Ihr beizubringen, wann sie welche Waffe wie einsetzt - oder besser mal steckenlässt.

Gegen Uentrop konnte Yahmed darauf nicht einwirken, er war für den Verein in anderer Mission unterwegs. Überdies waren Nikitchanka und die Kroatin Mateja Jeger ausgelaugt angetreten, waren kurz zuvor erst von den Belgium Open zurückgekehrt. Yahmed sah das kritisch: "Vor den Spielen sollen sie bei uns im Training sein", fordert er. Damit der Verein von ihnen profitiert und sie vom Verein - denn beide sind auch Profis in Ausbildung. Jeger, die ihr zweites Jahr in Schwabhausen spielt, habe seither einen großen Sprung gemacht, findet der Coach. Gleiches hofft er für Nikitchanka.

Der TuS Uentrop verlor tags darauf übrigens 3:6 in Langstadt, weshalb Schwabhausen nun doch alleiniger Tabellenführer ist. An diesem Samstag (14.30 Uhr) empfängt er den ATSV Saarbrücken, am Sonntag reist er zum TTC Weinheim, jenem Team, das Yahmed "als Meisterschaftsfavorit getippt" hat. Das nächste Spitzenspiel. Nikitchanka werde dabei sein. Erst zwei Wochen zuvor hatte er sie ja in höchsten Tönen gelobt: Da hatte sie gegen Weils Eline Loyen neue Dinge umgesetzt und nach 0:2-Satzrückstand gesiegt - "nicht weil sie besser war, sondern weil sie es unbedingt wollte". Dieses "absolute Kämpferherz", der "pure Wille" beeindruckt ihn. "Ich hoffe, dass viele Jugendliche in der Halle waren und das gesehen haben."

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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