TSV 1860 München II:Auslauf-Duell

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Eine Wucht: Löwen-Kapitän Lukas Aigner (links) schoss mit einem strammen Freistoß das 1:0. (Foto: Claus Schunk)

Die kleinen Löwen starten nach langer Pause furios gegen Schwabmünchen, kassieren aber noch den Ausgleich. Ob das Team noch eine Zukunft hat, bleibt unklar.

Von Gerhard Fischer, München

Die Finnen denken sich immer lustige Weltmeisterschaften aus. Es gibt WM-Wettkämpfe im Frauen-Tragen (der Sieger bekommt das Gewicht seiner Frau in Bier aufgewogen), im Ameisenhügel-Dauersitzen, im Schimpfwörter-Sagen oder im Gummistiefel-Weitwurf. Gäbe es eine WM im Kartoffelsack-Weitschießen, der kernige Oberbayer Lukas Aigner hätte gute Chancen, Weltmeister zu werden.

Aigner, Innenverteidiger des TSV 1860 II, hat den Oberkörper eines Steinlupfers und stramme Beine. Als Schiedsrichter Fleischmann am Samstag im Spiel gegen den TSV Schwabmünchen Freistoß für die Löwen pfiff, legte sich Aigner den Ball zurecht. Es waren etwa 25 Meter zum Tor der Gäste, gerade nahe genug, dass man direkt schießen konnte. Aigner nahm bloß zwei Schritte Anlauf - und hieb dann mit monströser Wucht gegen den Ball. Die nächsten Sekunden waren irgendwie irreal: Das Netz zappelte, das sah man. Tormann Thiel holte den Ball entnervt aus dem Kasten, das sah man auch. Aber den rasanten Flug des Balles hatte man kaum wahrgenommen.

Die Löwen führten, aber sie mussten sich am Ende mit einem 1:1 begnügen. 1860-Trainer Christian Wörns war dennoch "sehr zufrieden mit der Spielanlage" seiner Elf. "In der ersten Halbzeit haben mir noch die tiefen Laufwege gefehlt", sagte er im Fußballer-Deutsch, "aber in der zweiten Hälfte ist das besser geworden." Da sei man öfter vor das Tor des Gegners gekommen (tiefe Laufwege) und habe am Ende auch Chancen gehabt, das Spiel zu gewinnen.

Der TSV 1860 II hatte seit Anfang Dezember nicht mehr gespielt, die Winterpause in der Bayernliga dauerte fast so lange wie die Regierungsbildung - und das für den 3. März angesetzte Spiel beim ASV Neumarkt war ausgefallen, weil es in Bayern mehr Schnee hatte als in Finnland. "Seit dem 2:2 gegen Dachau sind circa 2325 Stunden, also knapp 97 Tage oder anders gerechnet drei Monate und sieben Tage vergangen", schrieb 1860-Medienmann Rainer Kmeth im Stadionheft "Ama-Lion".

Gegen Schwabmünchen begannen die Löwen nun, als hätten sie drei Monate und sieben Tage keinen Auslauf gehabt: Sie rannten viel, sie kämpften um jeden Ball, sie attackierten die Schwaben weit in deren Hälfte, manchmal schon vor deren Tor. Im Gehäuse der Gäste stand deren auffälligster Akteur, der wikingerhafte Felix Thiel. Der blonde, bärtige Kerl, der aussieht wie der frühere Schalker Tormann Lars Unnerstall, war bei langen Bällen stets zur Stelle, um die Kugel aus der Gefahrenzone zu befördern; und in der 20. Minute patschte er einen schön gezirkelten Heber von Okan Mehmetoglou aus dem Winkel.

Über Pläne, das Bayernliga-Team abzuschaffen, sei noch nichts zu ihm durchgedrungen, sagt Wörns

Erst Aigners Gewaltschuss in der 35. Minute musste er passieren und sich dann die Frage gefallen lassen, ob er die Mauer richtig gestellt hatte. Aigner sagte nämlich hinterher, er habe dort eine Lücke gesehen, die er nicht erwartet hatte.

Was noch auffiel in der ersten Hälfte: Das meistgehörte Wort war "Genki", denn mit diesem Ruf verlangten die Kameraden ein Zuspiel des Löwen-Ballverteilers Lucas Genkinger, der sich häufig zwischen die Innenverteidiger Lukas Aigner und Lennert Siebdrat zurückfallen ließ, um von hinten das Spiel anzukurbeln. Und eben dieser Siebdrat, schmal und elegant und physiognomisch ein Gegenentwurf zu Nebenmann Aigner, bewies, dass heutzutage schon in der Bayernliga Verteidiger spielen, die technisch beschlagen sind: Als Genkinger im eigenen Strafraum eine Kerze fabrizierte, holte Siebdrat den Ball filigran herunter.

Dass die Gäste in der 58. Minute ausgleichen konnten, lag an einer schwachen Phase der Löwen. Plötzlich rannten sie weniger, verteidigten sie schlampiger. Schwabmünchens Adriano Schmidt stand bei einem Freistoß völlig frei - vielleicht hatte er viele Schimpfwörter gesagt und alle Gegenspieler damit verjagt. Schmidt köpfelte jedenfalls ungestört ein. 1860 fing sich, drängte auf den Siegtreffer, doch ein abgefälschter Schuss von Dennis Dressel trudelte nur gegen den Pfosten (70.). 1860 II hat jetzt schon zwölf Unentschieden.

Bleibt die Frage, wie lange es 1860 II noch geben wird. Zuletzt hörte man, der Klub würde die Bayernliga-Mannschaft womöglich abmelden - aus Kostengründen. Trainer Wörns sagte am Samstag, zu ihm sei dazu "noch nichts vorgedrungen". Aber falls der Verein die zweite Mannschaft behalten wolle, müsse sie eigenständig sein. "Momentan setzt sie sich aus Spielern der U 19 und von Bieros Kader zusammen", sagte er, "die trainieren ja nie miteinander - das Konstrukt ist schon schwierig". Bieros Kader: Das ist das Regionalliga-Team von Daniel Bierofka.

Aus dem Verein war am Sonntag zu hören, dass ein Ende des TSV 1860 II intern diskutiert werde, aber noch keine Entscheidung gefallen sei.

Im betroffenen Team sei das ohnehin "kein großes Thema", sagte ihr Kapitän Lukas Aigner. "Wir haben von den Funktionären noch nichts gehört - im Moment gehen wir raus auf den Rasen und geben Gas."

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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