Traditionssport in München:"Wir bringen Tennis zurück in die Stadt"

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Christoph Hanke und Peter Wehner haben einen Verein gegründet, ohne Klubhaus, ohne Plätze. Schon nach wenigen Monaten ist der "White Club" ein Erfolg - ein Gespräch über verlorene Filzball-Seelen in München und Guerilla-Aktionen

Interview von Gerald Kleffmann

Der White Club Tennis ist ein neuer Tennisverein in München, ohne eine feste Heimat zu haben. Das Zuhause ist eine Internetplattform, über die die Mitglieder Kontakte knüpfen und sich verabreden können. Auch ein richtiger Ligabetrieb wird angeboten. Die Teilnehmer können sich aussuchen, wann und wo sie gegen Gegner ähnlicher Stärke in der Stadt spielen und melden die Ergebnisse dann. Ausgedacht und seit Mai umgesetzt haben das Konzept Christoph Hanke und Peter Wehner. Der Münchner Hanke, 36, kommt aus der Nachtclub-Szene und ist ein "echtes Tenniskind", wie er sagt. Mehrmals wurde er Münchner Meister im Einzel und spielte hochklassig bei diversen Vereinen, etwa dem TC Großhesselohe. Der Weilheimer Internet-Unternehmer Wehner, 47, nahm seit seinem achten Lebensjahr an Verbandsrunden teil. Sein größter Erfolg nach eigener Auskunft: "In einem Jahr gleichzeitig Werdenfelser Meister, Kreis-Meister und Stadt-Meister - da war ich zehn!"

SZ: Ein Tennisklub, ohne ein Klub zu sein - was hat Sie zu dieser Idee bewogen?

Christoph Hanke: Wir wollten etwas schaffen, das in die heutige Zeit passt. Zum einen sieht das Leben vieler heute anders aus. Sie arbeiten, haben Kinder, wenig Freizeit. Deshalb haben viele irgendwann aufgegeben, an Verbandsrunden und am Clubleben teilzunehmen. Es gibt so viele verlorene Tennisseelen da draußen, so viele Filzballliebhaber. Die wollen wir erreichen. Jeder ist willkommen, mit jeder Spielstärke. Wir haben Anmeldungen vom blutigen Anfänger bis zum Bundesligaspieler.

Peter Wehner: Ich habe jahrzehntelang Verbandsrunde gespielt, bin stundenlang übers Land getingelt, bis an den Bodensee und nach Niederbayern. Für ein Einzel, ein Doppel und ein Essen mit Gegnern, die ich, bei allem Respekt, selten wiedersehe. In meiner Heimat kenne ich so viele Leute wie Christoph, aber wir haben es noch nie zusammen auf den Platz geschafft. Absurd. Diese Situation wollten wir ändern.

Mit welchem Ziel?

Wehner: Ziel ist es, die altbekannten Strukturen aufzubrechen. Wir wollen es leicht machen, Tennis zu spielen. Wir wollen den Zugangswiderstand brechen und auch dieses verstaubte Image von Tennisklubs. Die Idee ist: Jeder kann immer überall irgendwann spielen und nette Leute treffen. Wir bringen Tennis zurück in die Stadt.

Es gibt kein Klubhaus, keine festen Termine der Ligaduelle- funktioniert so ein virtueller, loser Verbund?

Wehner: Wir sind über die Resonanz völlig überrascht. Sie ist gewaltig. Auf der Plattform sind mehr als 200 angemeldet. Ich denke, wir aktivieren Schläfer, die früher gerne gespielt haben. Viele schrieben uns, es habe die Initialzündung gefehlt, wieder anzufangen. Jetzt kramen sie den alten Yonex-, Völkl- oder Prince-Schläger aus dem Keller. Wir haben aufgrund des Andrangs noch ein Format gegründet, wir spielen freitags in der Hirschau, am Abend, da kommen 20, 30 Leute, wir wechseln einfach durch und spielen Tennis. Anfangs kamen nur Freunde. Nun kommen welche, die wir fragen: Hey, woher kennt ihr uns? Es spricht sich rum.

Hanke: Ich glaube, die Leute haben bei Klubs noch dieses alte elitäre Bild vor Augen, es gibt da Berührungsängste. Beizutreten und Mitglied zu sein, ist ein Aufwand. Du musst den Beitrag zahlen. Dann nimmst du Trainerstunden, du bist immer auf der selben Anlage. Wir wollen es einen Tick einfacher machen. Obwohl wir White Club heißen - der Name kommt übrigens von Fight Club, sprich, jedes Spiel soll zählen. Wir spielen daher keine zwei Gewinnsätze, sondern die Leute mieten sich einen Platz für eine Stunde. Dann wird zehn Minuten eingeschlagen, 50 Minuten gezockt und laufend durchgezählt. Das Ergebnis kann also heißen: 4:2. Oder 12:5. Je nachdem, was man in 50 Minuten schafft.

Wehner: Die Hirschau ist wichtig, damit die Leute sehen: Uns gibt es nicht nur online, sondern wirklich. man kann mit uns sprechen.

Sind Sie beide Tennisklub-Geschädigte?

Hanke: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich hatte mich Jahr für Jahr einfach etwas vom Tennis entfernt, natürlich rückt anderes in den Vordergrund, der Beruf, das Private, wenn man älter wird. Bis ich sehr weit weg war. Dann kam der Punkt, wo ich merkte: Es fehlt mir. Ich möchte wieder spielen. Aber ich will auch Wettbewerb haben, einen Kitzel. Allerdings will ich dabei nicht den ganzen Samstag oder Sonntag dafür hergeben. Unser Gedanke ist: Wettbewerb ja - aber jeder bestimmt, wann er ist!

Wehner: Das Prozedere ist völlig simpel gehalten. Man legt sich auf www.whiteclub-tennis.com ein Profil an. Man stuft sich in eine der Spielstärken ein. Und wir teilen Spielerin oder Spieler in eine Liga mit zirka zehn anderen ein und sagen: Spiele deine Ligaspiele bitte bis Ende September.

Wie steht es mit der Disziplin, diese Spiele durchzuführen - ohne echte Vorgaben?

Hanke: Es gibt solche und solche. Es gibt Ehrgeizige, die haben schon fast alle Spiele durchgezockt. Und es gibt Leute, die sehen die Spiele eher als Verabredungsplattform und Trainingspartnersuche. Die finden die Spiele gut und lustig, aber die Ergebnisse sind nicht das primäre Ziel. Und wenn von zehn Matches nur acht gespielt werden, ist das auch kein Thema. Wir machen deshalb keinen Stress. Fürs Antreten gibt es einen Punkt, für einen Sieg zwei, für eine Niederlage keinen. Das Gute ist, jeder spielt für sich und ist doch Teil der Gemeinschaft. Das Flexible ist das Plus, das ankommt.

Wie denken Sie über die Münchner Tennislandschaft an sich?

Wehner: Man hat - und so denken viele - das Gefühl, dass Tennis aus dem Stadtbild verschwindet. Weil sich die Plätze nicht mehr rentieren. Nicht so wie wahrscheinlich Neubauwohnungen. Wenn man sich die Historien der Anlagen anschaut in stadtnahen Lagen, ist dieser Trend zu erkennen: Der Scheidplatz ist verschwunden. Tivoli ist verschwunden. Hirschau baut Plätze um in Beach-Volleyballplätze.

Und Sie führen daher auch Guerilla-Aktionen durch, rücken mit geklebten Seitenlinien und Netz an und spielen schon mal auf der Theresienwiese. Was ist Ihr Statement dieses Aufwandes? Provokation?

Wehner: Nein, sicher nicht. Wenn die Leute nicht zum Tennisplatz kommen, muss der Tennisplatz zu den Leuten kommen. Man schafft mittlerweile ja auch Schnee in die Arena auf Schalke fürs Biathlon. Man holt den Slalomweltcup in die Stadt. Unsere Idee ist daher: Wir kommen zu den Leuten - dann kommen die Leute zurück auf den Tennisplatz.

Hanke: Vor der Bavaria zu spielen, war atemberaubend. Ich habe in der Stadt selten etwas Cooleres erlebt.

Wie lief diese Aktion ab?

Hanke: Wir hatten Kreide dabei, sind in etwa die Maße eines echten Platzes unterhalb der Bavaria abgelaufen. Ich habe mich auf ein Skateboard gesetzt und die Kreide entlanggezogen, während mich Peter schob. Dann haben wir mit einem Kreppband nachgetapt, und ein Netz gespannt. Bälle, Schläger, schon ging's los.

Fremdes Terrain: Direkt vor der Bavaria hat der White Club kürzlich eine kleine Tennis-Session abgehalten. (Foto: oh)

Im Netz kursiert ein Video von einer Aktion auf der Großhesseloher Brücke.

Wehner: Wir hatten Lust, mal auf Holz zu spielen. Die Aussicht von der Brücke, dazu der Sonnenuntergang - ein Traum. Dort fahren ja auch keine Autos. Zuletzt haben wir sogar im Olympiastadion gespielt.

Welche Orte fänden Sie noch reizvoll?

Wehner: Ein offenes Parkhausdeck. Und irgendwo auf Rasen fände ich super. Im Englischen Garten mal. Oder im Marienhof.

Wie soll das gehen?

Wehner: Das ist ja der Reiz. Viele Sachen wissen wir erst, wenn wir es machen.

Hanke: Ich würde wahnsinnig gerne mal auf der Plattform oben auf der Zugspitze spielen. Das gäbe auch schöne Bilder.

So wie Roger Federer und Ski-Ass Lindsey Vonn - die zwei haben mal bei einer PR-Aktion auf dem Aletschgletscher unterhalb des Jungfraujochs gespielt.

Hanke: Ja! Genau so! Das wär mein Ding!

Ist der White Club eine Idee für einen Sommer oder überlebt sie länger?

Hanke: Wir sind von 30 Leuten für die Liga ausgegangen. Jetzt sind wir bald beim Zehnfachen. Das heißt, die Leute haben Spaß. Wir spinnen jetzt alles schon ein bisschen weiter: Vielleicht kann man mal deutschlandweit Aktionen starten.

Besteht nicht die Gefahr, wenn Ihr zu sehr wachst, dass der Wunsch nach einem festen eigenen Klubhaus und einer eigenen Anlage doch mal aufkommt?

Wehner: Nein, das Schöne ist gerade die Flexibilität. Wenn zwei Spieler aus dem Münchner Osten kommen, sollen sie sich einen Platz im Osten suchen. Mit einer eigenen Anlage würde man das Flexible wegnehmen. Diese Freiheit ist uns heilig.

Sind Sie eigentlich woanders Mitglied?

Hanke: Ich glaube, ich bin noch gemeldet. Aber ich gehe nicht hin. Mir sind übrigens auch manchmal die Kleidervorschriften viel zu streng. Ich trage grundsätzlich viel Buntes und gerne mal ärmelfrei. Wir lieben es anders. Und ich denke, wir haben mit unserer Idee einen Nerv getroffen.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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