Münchner Tennisprofi Bachinger:Jahre wie diese

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Matthias Bachinger, 28, wollte aufhören. Jetzt fühlt er sich auf der Profitour erstmals wohl

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Eigentlich hätte Matthias Bachinger gar nicht mehr in Stuttgart sein dürfen. Er hätte nicht mehr vor fast 4000 Zuschauern auf dem Hauptplatz gegen Marin Cilic spielen dürfen, nicht erleben dürfen, wie es sich anfühlt, gegen den aktuellen US-Open-Sieger bei einer 5:3-Führung zum Satzgewinn aufzuschlagen. Der Münchner Tennisprofi war beim Rasenturnier auf dem Stuttgarter Weissenhof bereits ausgeschieden, in der Qualifikation gegen Mischa Zverev. Er hätte schon längst wieder in der nächsten Stadt, beim nächsten Turnier sein müssen. Doch Bachinger war in Stuttgart ein lucky loser, er gehörte also zu jenen glücklichen Verlierern, die durch eine verletzungsbedingte Absage doch noch ins Hauptfeld rutschen, zu den großen Spielern wie Rafael Nadal oder eben jenen Cilic. "Ich war so glücklich, dass ich hier noch mal eine Chance bekommen habe", sagt Bachinger.

Der 116. der Weltrangliste spielte gegen den Neunten aus Kroatien frech, er spielte gut, er begeisterte mit seinem mutigen Angriffstennis die Zuschauer. Es hätte eine richtig schöne Geschichte werden können. Doch sie blieb ohne Happy End, Bachinger verlor den ersten Satz im Tiebreak und den zweiten mit 3:6. Dennoch war das Match wieder eines, das ihn darin bestärkte, das Richtige getan zu haben, seine zweite Chance nicht nur in Stuttgart, sondern in seiner Karriere genutzt zu haben. Er hat gerade besonders viel Freude an seinem Beruf. "Ich spiele jetzt viel lockerer als noch im vergangenen Jahr", erzählt Bachinger. Er ist endlich angekommen auf der Tour. Mit 28 Jahren.

Wenn er könnte, dann würde er trotzdem von vorne anfangen, alles in seinem Leben anders machen. Er hatte in einer schlimmen Sinn- und Schaffenskrise gesteckt, als er im vergangenen August im Flieger nach New York saß, im Gepäck der feste Entschluss, die Profitour für immer zu verlassen. "Es war alles so sinnlos geworden", sagt er, innerlich hatte sich Bachinger schon verabschiedet von seinem Beruf, den er als Last empfand, nicht als Berufung. "Ich habe mich selber am meisten unter Druck gesetzt, ich habe mich von Niederlagen so sehr herunterziehen lassen", erzählt er, "dass ich dadurch meine Lebensfreude verloren habe." Seine Geschichte klingt dramatisch, es ist die eines hochbegabten Tennisspielers, der lange an sich selber zu scheitern drohte. Bis zu den US Open im vergangenen Jahr.

Als Letzter hatte er es noch in die Qualifikation beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres geschafft. Er war erst am Tag vor seinem ersten Match in den USA angekommen. Ohne Erwartungen. So spielte er auch, endlich aggressiv und furchtlos, wie er es kann, nicht zaghaft und ängstlich, wie in den Monaten davor, in denen er bis auf Rang 260 zurückgefallen war. "Matthias ist ein Spieler, der nicht gewinnen, sondern Niederlagen vermeiden will." Das sagt sein Trainer Lars Uebel. Dechiffriert bedeutet das, dass Bachinger lieber auf die Fehler seines Gegners wartet, als selbst die Initiative zu ergreifen. "Ich habe wirklich lange viel zu passiv gespielt", sagt Bachinger. Die US Open haben alles verändert, diese wundersame Reise trug ihn bis ins Arthur-Ashe-Stadium, das größte Tennisstadion der Welt. Mehr als 22 000 Menschen sahen zu, als er in der zweiten Runde gegen Andy Murray antreten durfte. "Das war beeindruckend", schwärmt Bachinger noch heute, "für so ein Spiel nimmt man das alles auf sich." Obwohl er gegen den zweifachen Grand-Slam-Champion verlor, war das sein Wendepunkt, sein Neuanfang, er revidierte seinen Entschluss - und machte weiter. Er hat in dieser Zeit viel gelesen, viel über sich und das Leben gelernt. Seine Glückseligkeit macht er nun nicht mehr von Siegen oder der Rangliste abhängig. "Ich will mich als Spieler und Mensch weiterentwickeln", sagt er.

Deshalb hat es ihn auch nicht sonderlich beeindruckt, als er im Februar dieses Jahres zwei Monate pausieren musste, ihn plagten gleich zwei Knieverletzungen auf einmal. Links war die Patellasehne angerissen, rechts schmerzte der Meniskus. Das erste Mal seit zehn Jahren verbrachte er zwei Monate am Stück zu Hause. "Meinem Kopf hat die Pause gut getan", sagt Bachinger. Er hatte Zeit, um ganz normale Dinge zu tun. Freunde treffen, abends ausgehen. "Ich habe das genossen."

Geschadet hat es nicht, im Gegenteil. In Paris bei den French Open spielte er sich ins Hauptfeld, zum dritten Mal bei einem Major-Turnier nacheinander ist ihm das nun gelungen. Er drängt zurück in die Top 100, wo er vor vier Jahren als 85. schon war. "Jetzt möchte ich mich unter den Besten auch etablieren", sagt Bachinger. Als Nächstes spielt er im ostwestfälischen Halle, ehe er sich nach Wimbledon aufmacht. Er ist davon überzeugt, dass er seine besten Jahre auf der Tour noch vor sich hat.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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