Sportler mit Handicap:Vor der nächsten Stufe

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„Manchmal fehlt einfach ein bisschen das Interesse“: Rollstuhl-Basketballerin Johanna Welin, 33. (Foto: Claus Schunk)

Münchens ausgezeichnete Athleten sehen in ihrer Stadt viel Verbesserungs­potenzial, beispielsweise fehlen schlicht Rampen in Hallen - oder zum Bäcker.

Von Max Ferstl, München

Johanna Welin hat einmal das Kloster Andechs besucht. Sie und ihre Freundin Laura Fürst schoben sich in ihren Rollstühlen die Anhöhe am Ostufer des Ammersees hinauf, als ihnen ein paar Touristen entgegenkamen. Ihr könnt umkehren, sagten diese zu den beiden Frauen im Rollstuhl. Dort vorne kämen noch Stufen. Der Hinweis war nicht böse gemeint, trotzdem ärgerte sich Welin. "Es geht nicht, dass Leute entscheiden, was ich darf und was nicht." Sie fanden einen anderen Weg zum Kloster - und verbrachten einen schönen Tag.

Die Anekdote, auch wenn sie ein paar Jahre her ist, illustriert recht treffend, wie weit Inklusion in Deutschland fortgeschritten ist. Und wie weit der Weg noch ist. Viele wissen schon, dass sich Menschen mit Behinderungen bei bestimmten Gegebenheiten (Stufen) schwer tun. Die meisten wissen aber nicht, wie man richtig damit umgeht (nein, nicht bevormunden). Vielleicht helfen gemeinsame Termine wie am vergangenen Donnerstag.

Die Stadt München zeichnete am Abend im alten Rathaus Münchens Sportler für ihre Leistungen im vergangenen Jahr aus. Unter den 341 zu ehrenden Athleten waren viele mit Behinderung. Daniel Duda (Gehörlosensportverein München) zum Beispiel, der bei den Deaflympics Mannschaftsgold im Bowling gewonnen hatte. Oder Tobias Vetter (BSV München), Weltmeister im Para-Straßenrennfahren, dessen Vereinskollegin Denise Schindler am Tag der Ehrung Gold bei der Para-Weltmeisterschaft in Rio gewann.

In der Mitte des Saals malte eine Frau die Zeichen der Gebärdensprache in die Luft. Für diejenigen, die nicht hören können. An der Bühne war eine Rampe montiert, über die Rollstuhlfahrer sich nach oben schieben konnten. Zu Beginn forderte Moderator Markus Othmer alle Sportler auf, sich gegenseitig "Standing Ovations" zu spenden. Zwar konnte nicht jeder aufstehen, aber alle klatschten.

Auch die Freundinnen Welin und Fürst, die bei den München Iguanas Rollstuhlbasketball spielen. 2017 gewannen sie mit der deutschen Nationalmannschaft Silber bei der EM auf Teneriffa. Dafür wurden sie ausgezeichnet. "Man sieht, was Menschen mit Behinderungen tatsächlich leisten können", sagt Welin.

Im Spitzensport setzt sich diese Erkenntnis allmählich durch. Das öffentliche Interesse nimmt zu, gerade bei Paralympics. Auch der Fokus der Berichterstattung habe sich verschoben, sagte die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, vor Kurzem im SZ-Interview. Weg vom tragischen Schicksal des Athleten, hin zur sportlichen Leistung. "So soll es sein." Längst werden die Wettkämpfe live im Internet übertragen, Medien berichten. "Aber das ist nur in der Spitze so", sagt Welin. In der Ebene mahlen die Mühlen langsam. Noch immer gibt es viele Probleme, auch in München.

Viele Hallen sind nicht behindertengerecht. "Es ist sowieso schwierig mit Zeiten", sagt Welin. Dass nur ein Teil für die Spieler zugänglich ist, mache die Organisation schwierig. Gerade trainieren die Iguanas an drei verschiedenen Orten. Doch es gibt auch positive Tendenzen. Am Donnerstag hob Christine Strobl (SPD), Münchens Dritte Bürgermeisterin, stolz den "komplett inklusiven Sportpark" hervor, der gerade in Freimann entsteht.

Welin wohnt in der Innenstadt. "Im Umkreis von einem Kilometer gibt es sechs Bäcker, davon kann ich nur einen betreten." Die übrigen haben eine Stufe vor der Tür. Eine Rampe, findet sie, wäre nicht zu viel verlangt. "Manchmal", sagt Welin, "fehlt einfach ein bisschen das Interesse."

Auch Clara Klug, die bei den Paralympics zwei Bronzemedaillen gewann, lebt in München. Sehr gerne sogar, sagt sie. Wären da nicht die Bahnhöfe: "Erst kürzlich ist ein Bekannter von mir dort ins Gleisbett gefallen und hat es nicht überlebt." Sie erzählt dann noch über Supermärkte, die ständig ihre Regale umräumen: "Ein ärgerliches Problem." Sie holt dann Hilfe an der Kasse. Zumindest das funktioniert meist einwandfrei.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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