Snowboard-Freestyle:Spektakulärer Höhenflug

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Vor sechs Jahren stand Nadja Flemming aus Röhrmoos erstmals auf einem Snowboard. Heute ist die 22-Jährige deutsche Meisterin im Slopestyle und hofft auf Olympia. Die Norm hat sie bereits geschafft.

Von Jonas Kraus, Röhrmoos

Nein, eine typische Sportlerkarriere hat Nadja Flemming sicher nicht hingelegt. Sie hat keine sportverrückten Eltern, die sie von klein auf förderten. Sie war nie auf einem Sportinternat. Trotzdem ist die Freestyle-Snowboarderin nur noch eine Winzigkeit entfernt von ihrer ersten Olympia-Teilnahme. Die 22-Jährige profitiert von ihrem enormen Ehrgeiz - und der Tatsache, dass ihr Sport den Weg aus der Nische gefunden hat.

Die nationale Qualifikationsnorm für die Winterspiele in Pyeongchang, zwei Platzierungen unter den Top 16 im Weltcup, hat Flemming Anfang Dezember beim Big Air in Mönchengladbach bereits geknackt. Um einen Startplatz sicher zu haben, muss sie aber in die Top 30 der Weltrangliste. Dort steht sie zurzeit auf Rang: 31.

Es ist ein schwieriges, aber kein unmögliches Unterfangen für die Quereinsteigerin, die erst vor sechs Jahren zum ersten Mal auf einem Snowboard stand. Zwei Chancen bleiben der jungen Sportlerin aus Röhrmoos (Landkreis Dachau) noch, um sich diesen Platz nach vorne zu arbeiten. Zunächst geht es am 10. Januar in Snowmass (USA) um Weltcuppunkte, eine Woche später findet in Laax (Schweiz) der letzte Weltcup vor Olympia statt. Beide Male steht ein Slopestyle auf dem Programm - das ist die Disziplin, in der sie sich im März die deutsche Meisterschaft sicherte.

(Foto: Matthew Stockmann/AFP)

Dass die ehrgeizige Sportlerin je die Chance auf eine Olympia-Teilnahme haben würde, war nicht vorhersehbar. Ihr erstes Snowboard bekam sie mit 16 Jahren, zuvor war sie nur auf Skiern unterwegs. "Meine Eltern hatten wohl Angst, dass sie immer auf mich warten müssen, wenn ich mit dem Board unterwegs bin."

Eine Karriere als Freestylerin klang damals ohnehin utopisch. Der Sport fristete in Deutschland ein Nischendasein, Flemmings Disziplinen Big Air (ein möglichst spektakulärer Sprung über eine 50 Meter hohe Schanze) und Slopestyle (eine Art Parcours mit Hindernissen und Sprüngen) waren nicht olympisch, weshalb die Athleten wenig bis gar keine staatliche Förderung erhielten. Erst als sich immer mehr junge Menschen gelangweilt von den Olympischen Spielen abwandten, begann das Internationale Olympische Komitee, Freestyle-Disziplinen ins Programm zu hieven. 2014 in Sotschi war Snowboard-Slopestyle zum ersten Mal dabei, 2018 feiert Big Air Olympia-Premiere. Dadurch fand auch bei vielen Athleten der Szene, die der Professionalisierung ihres Sports zunächst kritisch gegenüberstanden, ein Umdenken statt. Olympische Spiele sind inzwischen auch für Freestyler ein erstrebenswertes Ziel.

Der Sport befand sich also im Umbruch, als Flemming mit dem Snowboarden begann. "Die ersten zwei Jahre war ich nur auf der Piste unterwegs," erinnert sie sich. Irgendwann sah sie die spektakulären Sprünge und Tricks der Snowboarder in den Funparks und wollte diesen Sport, der so lässig aussieht und doch so schwer ist, ebenfalls ausprobieren. Sie belegte einen Wochenendkurs und ist seitdem "süchtig". Immer neue, ausgefallenere Tricks und Sprünge, immer ein wenig waghalsiger als zuvor. "Manchmal muss ich sie direkt bremsen, damit sie es nicht übertreibt", berichtet ihr Trainer Michael Dammert.

Gerade übt sie einen neuen Trick. "Wenn es jemand hinbekommt, dann Nadja", sagt ihr Trainer

Mit 18 Jahren fuhr sie jedes Winter-Wochenende von Röhrmoos nach Österreich in einen Funpark. Ihr Talent fiel auf, so schaffte sie den Sprung in den D*-Kader des deutschen Snowboard-Verbands (Snowboard Germany), in dem junge Freestyler gefördert werden, die nicht den Weg über ein Sportinternat genommen haben. Dort machte sie schnell große Fortschritte, auch weil sie immer sehr streng zu sich war. "Nadja ist nie zufrieden, auch wenn etwas gut geklappt hat", berichtet Dammert, "sie hat eine extrem hohe Erwartungshaltung an sich selbst." Intern war bereits damals Olympia ein Thema, "aber richtig realistisch war das nicht," erinnert sich Flemming.

Springer unter sich: Nadja Flemming posiert während eines Trainingsaufenthalts in Australien mit einem Känguru. (Foto: oh)

Dass es nun tatsächlich klappen könnte, liegt auch an der Professionalisierung des Freestyle-Sports und der damit verbundenen Förderung. Nachdem Flemming, die für den WSV Röhrmoos startet, 2016 den Sprung in den Weltcup schaffte, musste sie ihren erlernten Beruf als Verfahrensmechanikerin aufgeben: "Der zeitliche Aufwand wurde einfach zu groß." Da der Swnoboardverband ihr Talent erkannte, erhielt die Nachwuchsathletin einen Platz im Spitzensportprogramm der Landespolizei. Acht Monate ist sie vom Dienst freigestellt und kann sich sowohl im Winter als auch im Sommer, wenn Lehrgänge in Australien und Neuseeland anstehen, voll auf ihren Sport konzentrieren. "Das macht vieles leichter," gibt sie zu, "anders als die Freestyler früher bin ich nicht komplett auf Sponsoren angewiesen."

Ohne dieses zeitaufwendige Training, sagt sie, gehe es nicht. "Da ich erst mit 16 Jahren auf einem Snowboard stand, fehlen mir schon ein bisschen die Grundlagen." Diese Defizite will sie nun mit viel Fleiß kompensieren. Über die Feiertage arbeitet sie deshalb an einem neuen Trick, den sie beim kommenden Weltcup einbauen will: dem Backside 720, eine doppelte Schraube in der Luft. Normalerweise kein Element für jemanden, der erst seit sechs Jahren auf dem Snowboard steht. Dennoch ist ihr Trainer Dammert sicher, dass sie es schafft: "Sie lernt so schnell. Wenn es jemand hinbekommt, dann Nadja."

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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