Rock 'n' Roll-WM:Liebesgrüße nach Sotschi

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Vor acht Jahren holte das "Rock-'n'-Roll DreamTeam" zum fünften Mal einen Weltmeistertitel für Anzing. Nach einem Neuaufbau will die Formation nun international wieder angreifen. Bei den Titelkämpfen in Russland misst sie sich mit sieben russischen Profi-Gruppen

Von Andreas Liebmann, Anzing

"Liebesgrüße aus Moskau" gilt als einer der besten James-Bond-Filme, im Original trägt der Streifen aus dem Jahr 1963 den Titel "From Russia with Love". Es zeugt mindestens von einigem Humor, wohl auch von Mut, was Anzings Rock-'n'-Roll-Formation "DreamTeam" für diesen Sonntag geplant hat. Denn in fast allen James-Bond-Filmen waren ja Russen die bevorzugten Gegenspieler des britischen Geheimagenten, über Jahrzehnte, zur Strecke gebracht wahlweise von Sean Connery, Roger Moore oder Pierce Brosnan. Und wenn die Tänzer aus dem Landkreis Ebersberg nun die Bühne betreten, erst sechs Frauen, dann die jeweiligen Partner, alle in schwarzen Kostümen mit etwas Goldbesatz, wenn sie ihre Anfangsposen einnehmen und ein letztes Mal die Nervosität wegatmen, dann beginnt die James-Bond-Titelmelodie, gefolgt von einem Medley der bekanntesten Filme. Der Witz daran: Austragungsort der Weltmeisterschaft ist die Bühne des Bolschoi-Eispalasts von Sotschi, die Tribünen sind also fest in russischer Hand. Auch die ärgsten Widersacher kommen aus der Nation des Gastgebers. Seit Jahren sind russische Formationen die bevorzugten Anzinger Gegenspieler.

Fünf Mal waren die Rock'n'Roller des SV Anzing schon Weltmeister, zuletzt 2008. 2010 im Unterschleißheimer Ballhausforum holten sie Silber, damals knapp eingebremst von einem Schweizer Wertungsrichter. Danach habe sich ein Großteil der "goldenen Generation" verabschiedet, sagt Robert Obermeier, der die Formation gemeinsam mit seiner Frau Tini Jana-Obermeier trainiert. Nur Josef Petzenhammer und Hannes Fischer sind vom Weltmeisterteam übrig. Der Neuaufbau dauerte. Doch die nationale Konkurrenz, vornehmlich den Dauerrivalen aus Flensburg, haben die Anzinger inzwischen wieder abgehängt. Vor knapp drei Wochen wurden sie in Ingolstadt deutsche Meister, der elfte nationale Titel für die Tanzsportabteilung. Und nun wollen sie auch international wieder angreifen. Sieben Formationen treten für Russland an, neben dem Gastgeber und dem Titelverteidiger "Planeta" fünf weitere, die jedes Land maximal nominieren kann. Darunter die "Rock Komets", auch so ein Anzinger Dauerrivale.

"Wir haben das Niveau, um zu bestehen": Anzings Dream-Team hält mit den akrobatischen Höchstschwierigkeiten der Konkurrenz mit. (Foto: Christian Endt)

Deutschland hat nur zwei Gruppen aus Anzing nominiert, neben dem "DreamTeam" noch den "Rockers Club". Als Touristen werde man jedenfalls nicht anreisen, sondern "als muntere Herausforderer", sagt Obermeier. Vor einem Jahr hatten sie wegen personeller Probleme auf die WM verzichten müssen und sich beim Anblick des Livestreams aus Kasan, ebenfalls Russland, furchtbar geärgert: "Wir hätten Chancen gehabt", ist sich der Trainer sicher.

Dabei ist es ein ewig ungleiches Duell, das die Anzinger austragen. Ihre Sportart ist sehr populär in Russland. Das Sagen hat Katerina Tichonowa. Die Vizepräsidentin der World Rock'n'Roll Confederation ist eine Tochter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die russischen Formationen bestehen aus Profis, sie sind das ganze Jahr über im Einsatz. Es gab eine Zeit, da stopften sie ihre Programme mit fünf, sechs Doppelsalti zu, "wo man als Westeuropäer sagt: Ist ja ganz nett, aber das können wir hier gar nicht leisten". Technisch seien die Russen unangreifbar, Obermeier rutscht das Attribut "roboterartig" heraus, das recht gut in die alten James-Bond-Klischees passt. Doch das DreamTeam hat es stets verstanden, bei den Juroren neben der Akrobatik auch mit anderen Faktoren zu punkten: durch Ausdrucksstärke; durch Geschichten, die es erzählte; durch immer wieder eigene Musik, einst sogar von einer seiner Tänzerinnen eingesungen. Für die Ideen, Kostüme und vor allem Choreografien ist Tini Jana-Obermeier verantwortlich. Früher mit Hütchen oder Plastikfiguren konzipiert, inzwischen am PC. Das Ehepaar war selbst dreimal Formationsweltmeister, seit 1998 hat es dann als Trainer Anzings Rock'n'Roller aufgebaut.

Inzwischen ist im Reglement eine Akrobatik-Bremse eingebaut: Mehr als zwei Doppelsalti sind nicht erlaubt, Flugkünstler müssen sich darüber hinaus mit eineinhalbfachen Elementen und Schrauben behelfen. Verstecken muss sich Anzing aber auch akrobatisch nicht. Sowohl vorwärts als auch rückwärts haben sie den Doppelsalto in ihre James-Bond-Nummer eingebaut. Robert Obermeier ist sich sicher: "Wir haben das Niveau, um zu bestehen."

Zur deutschen Meisterschaft haben sie gar nicht alles ausgepackt, sie arbeiten gezielt auf die WM hin. Das Projekt begann im Trainingslager mit einer Bergpredigt auf dem Hochfelln, wie Obermeier erzählt. Franz Jehl, seit zehn Jahren Physiotherapeut und Mentalcoach des Ensembles, habe dort alle auf dieses Ziel eingeschworen. Jehl ist derjenige, der die Tänzer mit Gruppentrance und Hypnose auf die Nervenbelastung großer Turniere vorbereitet.

Schrecksekunde für das deutsche Team: Trainertochter Sonja Obermeier verletzt sich bei der Generalprobe, ihr Start in Sotschi ist aber wohl nicht in Gefahr. (Foto: Christian Endt)

Wie unterschiedlich die Voraussetzungen im Vergleich zu den Russen sind, verdeutlicht vielleicht am ehesten das Beispiel Renata Funk. In diesem Frühjahr hatte das Ensemble, das im Vergleich zum Vorjahr drei der sechs Paare erneuert hatte, kein Turnier bestritten. Unter anderem wegen Abiturprüfungen waren zwei Paare vorübergehend verhindert. "Wir wussten ja, dass wir im Herbst wieder vollzählig sind", sagte Obermeier - doch das stellte sich als Irrtum heraus, eine Frau stieg aus. Ersatz fand sich in Regensburg: Renata Funk eben, eine erfahrene Tänzerin. "Sie hat gesagt, es wäre ihr Traum, bei einer WM zu tanzen", erzählt Obermeier, weshalb sie fortan viermal pro Woche aus Regensburg zum Training kam. "Sie hat seit August die ganze Choreo und die Sprünge im Crashkurs gelernt", schwärmt Obermeier, "eine coole Sache." Renata Funk ist berufstätig, verheiratet und hat zwei Kinder.

18 000 Euro kostet der Ausflug zur WM, den Großteil übernimmt ein Sponsor. Am Dienstag war Generalprobe, sie brachte eine Schrecksekunde: Sonja Obermeier, die Tochter der beiden Trainer, zog sich eine Daumenverletzung zu. "Was wir machen, ist nicht ohne Risiko", betont ihr Vater, aber die Sache sei glimpflich verlaufen, die 18-Jährige könne tanzen. Natürlich sind sie nun nicht alle siegesgewiss: In Russland gegen sieben professionelle russische Formationen zu bestehen, würde an ein Wunder grenzen. Doch auch bei ihrem letzten WM-Erfolg vor acht Jahren hatten sie ein russisches Ensemble hinter sich gelassen, obwohl die Gruppe "Kontinent" eine fehlerlose Show gezeigt hatte und die Anzinger im letzten Akrobatik-Element patzten. Austragungsort: St. Petersburg. Vielleicht wiederhole es sich ja, "das Wunder von St. Petersburg", sagt Obermeier. Das wäre auch ein netter James-Bond-Titel.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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