Rekordflut bei der deutschen Meisterschaft:Kleiner Gruß an die Weltspitze

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Münchens Schwimmer Alexandra Wenk und Florian Vogel zeigen bei der DM in Berlin, dass auch in Rio mit ihnen zu rechnen ist - ihr Klub SG Stadtwerke sammelt sechs Titel. Die Hohenbrunnerin Helen Scholtissek dagegen fühlt sich um den Lohn ihrer Anstrengungen gebracht: Sie darf nicht nach Olympia

Von Saskia Aleythe und Sebastian Winter, München

Vier Tage Berlin waren genug für Alexandra Wenk. Die Haare tropften noch, der Schwimm-Anzug glänzte, da stand die 21-Jährige am Beckenrand in der Berliner Schwimmhalle und schnaufte erst mal erleichtert aus: "Ich freue mich so, endlich fertig zu sein und meine Mama in die Arme zu schließen", sagte sie. In den vergangenen 30 Stunden hatte die Schwimmerin der SG Stadtwerke München ja viel geleistet, unter anderem schwamm sie vier deutsche Rekorde. Diese deutsche Meisterschaft war ihre Meisterschaft. "Besser geht's gar nicht", sagte Wenk, "ich bin megahappy", sie strahlte und fand: "Das macht Mut für Rio."

Rio, das ist nun der Fokus für die kommenden Monate: Bei den Wettbewerben in Berlin hat Wenk den ersten Schritt Richtung Olympia gemacht - und zwar ziemlich pompös. Über 200 Meter Lagen brach sie am Samstagvormittag einen Rekord, der 35 Jahre Bestand hatte. "Als ich die Zeit gesehen habe, dachte ich: Hä? Verstehe ich jetzt nicht", berichtete Wenk, die dann aber doch ziemlich schnell begriff, was diese 2:11,41 Minuten, drei Zehntel unter der alten Bestmarke, bedeuteten. Dann lieferte sie eines der Bilder dieser Meisterschaften: Wenk auf dem Seil im Wasser sitzend, die Zunge frech rausgestreckt, die beiden Daumen und die kleinen Finger abgespreizt. Es ist das Shaka-Zeichen, das aus Hawaii stammt und in der dortigen Surfersprache "cool" oder "locker" bedeutet. Nur wenige Stunden später war Wenk im Lagenfinale noch einmal um eine Zehntel schneller unterwegs. Und am Sonntag, auf ihrer Paradestrecke über 100 Meter Schmetterling, ging das Spiel weiter: Im Vorlauf knackte sie ihre eigene deutsche Bestmarke aus dem Vorjahr, im Endlauf wurden aus den 57,76 Sekunden 57,70 Sekunden. "Das ist absolut der richtige Weg, und von den Zeiten her geht auch noch ein bisschen was", sagt Münchens glücklicher Stützpunkttrainer Olaf Bünde.

Die Hände zum Himmel: Florian Vogel brüllt seine Freude über den 400-Meter-Freistil-Sieg heraus. (Foto: Imago)

Bis Anfang Juli muss Wenk die vorgegebenen Normen noch einmal bestätigen, ihr Anspruch ist aber längst ein anderer, als in Rio einfach nur dabei zu sein. "Ich will mich international mit den Besten messen", sagte Wenk, "wenn ich sehe, was da geschwommen wird, muss ich noch mal eine Schippe drauflegen." Ihre Lagen-Zeit bedeutet derzeit Platz elf in der Weltjahresbestenliste, mit der Schmetterlingsleistung ist sie Zwölfte. "Das wird eine Katinka Hosszu nicht beeindrucken, die ist über die 200 Lagen noch mal vier Sekunden schneller", sagt Wenk mit Blick auf die dominierende Ungarin, findet aber doch: "Vielleicht war das jetzt ein kleiner Gruß an sie."

Vor allem beim Start hat Wenk Nachholbedarf. "Sie macht da leider ein Nickerchen", sagt Bundestrainer Henning Lambertz. Wenk weiß das natürlich, sie will daran arbeiten, um in Rio auf jeden Fall ins Finale zu kommen. "Ich habe Bock, richtig abzugehen", sagt sie. Und das spürt man auch. Wenk fällt auf neben manch nervöser Athletin, tänzelt schon mal mit Kopfhörern durch die Halle. "Ich mache das, weil es mir Spaß macht", sagt sie, Druck verspüre sie keinen. Auch in London 2012 war sie dabei, über 100 Meter Schmetterling nahm sie bei der vergangenen WM in Kasan am Finale teil.

Alexandra Wenk blickt andächtig zur Anzeigetafel - sie hat den 35 Jahre alten Rekord über 200 Meter Lagen gebrochen, zum zweiten Mal binnen Stunden. (Foto: dpa)

Gute Laune versprühte in Berlin aber nicht nur Wenk, die Schwimm-Abteilung der SG Stadtwerke München präsentierte sich insgesamt stark. Florian Vogel schwamm über 400 Meter Freistil auf Rang fünf der Weltjahresbestenliste und verteidigte seinen Vorjahrestitel souverän. Auch Vogel kann auf seiner Lieblingsstrecke nun langsam für Rio planen - auch mit der 200-Meter-Kraul-Staffel, in der Vogel mit seinem Trainingspartner Paul Biedermann aller Voraussicht nach bei den Spielen startet. Daneben haben die in den USA studierende SG-Schwimmerin Johanna Roas, die über die nicht-olympische 50-Meter-Rücken-Distanz deutsche Meisterin wurde, sowie ihre Klubkollegen Marco di Carli, Philipp Wolf und Marius Kusch weiterhin realistische Chancen auf einen Staffelplatz in Rio. "Jetzt heißt es, bis zu den German Open Anfang Juli trainieren, trainieren, trainieren", sagte Bünde. Dort haben die Schwimmer die letzte Chance, sich für die Spiele zu qualifizieren.

So herrschte bei Münchens Schwimmern eitel Sonnenschein nach dieser DM. Doch nicht alle waren gut gelaunt. Die für den TSV Hohenbrunn-Riemerling startende Helen Scholtissek flog am späten Sonntagabend tief frustriert mit ihren Eltern nach Hause. Scholtissek, die 2014 wegen Herzproblemen fast ein Jahr pausieren musste, hat sich mit viel Engagement in die deutsche Spitze zurückgekämpft. Bei der DM in Berlin wurde sie Dritte und Vierte über 100 und 50 Meter Freistil. Doch Bundestrainer Lambertz entschied später, keine 100-Meter-Freistil-Staffel nach Rio zu schicken - Scholtissek und ihre drei Mitstreiterinnen seien "nicht konkurrenzfähig". Was so nicht ganz richtig ist, zurzeit steht die Staffel im internationalen Ranking auf Platz 14. Vor allem Lambertz' Aussage, "im Vergleich mit der Weltspitze sehen unsere Mädels aus wie dünne Models und nicht wie Sportlerinnen", findet Scholtissek ungerecht: "So etwas wurde uns nie persönlich gesagt und es stimmt auch nicht. Es ist traurig, das über die Medien zu erfahren." Auch die Aussicht auf einen Start bei der EM in London hat Lambertz kurzfristig zurückgezogen. "Wenn man es nicht schafft, die Jugend zu motivieren, stellt sich irgendwann die Sinnfrage", sagt Scholtissek. Sie möchte nicht aufhören, beginnt im Herbst aber wohl ein Medizinstudium in München. Ob die 18-Jährige dann noch genauso für ihren Sport brennt - die Prognose möchte sie lieber nicht wagen.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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