54 Jahre Traditionsvorsprung hat das Deutsche Derby in Hamburg. Seit 86 Jahren wird in Klein Flottbek auf dem gleichen, mittlerweile fast legendären Spring-Parcours geritten, die Pferd International in Riem ist dagegen gerade mal 32 Jahre alt. Das wäre soweit kein Problem, fänden nicht beide Veranstaltungen an eben diesem Wochenende statt. Und während die deutsche Dressur-Elite mit Isabell Werth, Ulla Salzgeber und Jessica von Bredow-Werndl traditionell in Riem aufschlägt (Grand Prix Special am Samstag, 15.30 Uhr, Grand Prix Kür am Sonntag, 14 Uhr), treten die besten Springreiter des Landes eben im Norden an.
Klar: Dort gibt es mehr Prestige und mehr Geld. Was für die Pferd International schade ist, weil ihr die wichtigsten Argumente fehlen, um den besten Springreitern eine echte Alternative zu bieten. Was aber gleichzeitig für viele, vor allem junge Reiter eine große Chance ist, sich vor Tausenden Zuschauern zu präsentieren - und am besten auch zu bewähren.
Daniel Böttcher ist so ein Reiter. Böttcher, auf dem Gestüt Birkenhof in Fraunberg im Landkreis Erding zu Hause, ist 18 Jahre alt und eins von acht Mitgliedern des Bundeskaders der Junioren. Einer, dem zugetraut wird, in ein paar Jahren auch im Erwachsenenbereich zu Deutschlands Besten zu gehören, der mit Glück und Geschick "einmal bei Olympia einreiten" könnte, oder beim CHIO in Aachen.
Das sind Böttchers Träume. Die Realität sind viele kleine Turniere, manchmal nur mit Familienmitgliedern und dem Team als Zuschauern. Prüfungen. Da kommt eine Bühne wie die Pferd International, die alleine am Donnerstag 18 000 Besucher vermeldete, gerade recht: "Für mich als Bayer ist es eine Ehre, hier starten zu dürfen", sagt Böttcher. "Es macht einfach Spaß. Wo hat man das schon mal, so einen riesigen Grasplatz, so viele Zuschauer und so eine Stimmung?"
Wenn auf einmal nicht mehr Dutzende, sondern Tausende zuschauen, ist das nicht nur eine Nervenprobe für den Reiter, sondern auch für das Pferd. Den Tieren fällt es je nach Charakter leichter oder schwerer, mit den ungewohnten Sinneseindrücken und dem Lärm umzugehen. "Man lernt wahnsinnig viel und entwickelt Routine", sagt Böttcher, "dann fährt man selbstverständlicher auf andere Turniere."
In Riem hat er unter anderem Sir Singular dabei, das beste Pferd auf dem Birkenhof. Der 16-jährige Hannoveraner genießt es durchaus, wenn sich alle Augen auf ihn richten. "Er ist ein Showman", sagt Böttcher. "Für mich ist er wie ein Kumpel, der einen auch mal ärgert. Der einen schubst, der im Stall alles umschmeißt. Aber ich weiß, dass er immer alles für mich gibt." Mit Sir Singular hat sich Böttcher auch für den großen Preis von Bayern (Sonntag, 15 Uhr) qualifiziert, der Höhepunkt im Springen auf der Pferd International.
Natürlich beobachtet er auch die erfahrenere Konkurrenz genau: "Kleinigkeiten, was sie etwa am Abreiteplatz anders machen." Er selbst lehnt seinen Reitstil an den des Olympiasiegers und Weltmeisters Marcus Ehning an. "Ich möchte stabil sitzen, der Ritt soll auch gut aussehen", sagt er, "und nicht wie Aerobic für Arme." Derzeit macht er gerade noch seine Mittlere Reife, aber eigentlich dreht sich sein Leben um "Reiten, Reiten, Reiten", wie er sagt. Er ist in eine pferdebegeisterte Familie hineingeboren worden, "die Sucht war schon immer da. Ich habe Fußball, Schwimmen, Tennis ausprobiert - aber beim Reiten bin ich hängen geblieben".
Nimmt Böttchers Karriere weiter Fahrt auf, gehört er eines Tages vielleicht wirklich zu denjenigen, die sich realistischerweise Gedanken über Aachen oder gar Olympia machen dürfen - dann wäre es als Kompliment zu verstehen, wenn er irgendwann nicht mehr zur Pferd International kommt. Dann wäre er, auch dank der Erfahrungen, die er auf der Olympia-Reitanlage in Riem gemacht hat, um diese Jahreszeit in Hamburg.