Nachbarvereine:Ausgelagerte Nische

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Früher hat der FC Augsburg eher mal Spieler an den FC Bayern verloren, heute profitiert er überwiegend von der Kluft zwischen den Münchner Vereinen.

Von Maik Rosner, München

Sie klangen beinahe wie zwei beiläufige Sätze, aber mittlerweile lassen sie sich geradezu als Programm bezeichnen. Ausgesprochen wurden diese Sätze im Oktober 2011 in einem Halbzeit-Interview, sie lauteten: "Über Nachbarschaftshilfe wären wir sehr erfreut. Wenn Uli Hoeneß den richtigen Spieler nach Augsburg schickt, werden wir ihn sicher nicht wegschicken." Es ging um ein mögliches Modell der regionalen Unterstützung vom FC Bayern für den FC Augsburg, der damals seine erste Saison in der ersten Bundesliga im Abstiegskampf verbrachte.

Inzwischen kickt der FCA im sechsten Jahr in Serie auf Deutschlands größter Fußballbühne, aktuell geht es wieder um die Versetzung. Und der kleine Wunsch des damaligen Augsburger Managers Andreas Rettig darf durchaus als erfüllt angesehen werden, wenngleich überwiegend indirekt. Denn wer am vergangenen Samstag bei der 0:6 (0:2)-Niederlage des FCA beim großen FCB die aktuelle Belegschaft durchging, entdeckte gleich sieben ehemalige Münchner beim FC Augsburg. Dazu zählen neben Trainer Baum und Geschäftsführer Stefan Reuter die Spieler Moritz Leitner, Philipp Max, Daniel Baier, Takashi Usami und Markus Feulner. Auch der ehemalige FCA-Trainer Markus Weinzierl, inzwischen bei Schalke, und der dänische Nationalspieler Pierre-Emile Højbjerg, jetzt FC Southampton, ließen sich zuvor als Überläufer einordnen. Einige aus der aktuellen FCA-Belegschaft haben zudem Wohnungen in der bayerischen Landeshauptstadt, wie Präsident Klaus Hofmann.

Wer es schon lange mit dem FC Augsburg hält, erinnert sich vor allem an Wechsel gen Süden, wie bei Raimond Aumann und Dieter Frey. Mittlerweile erhalten eher die Schwaben Zulauf aus München, nicht zuletzt weil der dortige Branchenführer für viele Spieler sportlich eine Nummer zu groß ist, die übrigen Münchner Vereine für manche Ansprüche aber zu klein. Augsburg erscheint ihnen da als ideale Lösung, weil der nur 70 Kilometer entfernte FCA seit 2011 konstant in der Bundesliga spielt, weil der solide und professionell geführte Klub familiär aufgestellt ist. Eine prima Nische also, um der großen Kluft zwischen den Münchner Vereinen zu entkommen.

Die Kluft zwischen FCA und FCB drückte sich am Samstag in der höchsten Bundesliganiederlage der Augsburger Vereinsgeschichte aus, vor allem in den Toren von Robert Lewandowski (17./55./79.), Thomas Müller (36./80.) und Thiago Alcántara (61.). "Dadurch, dass ich elf Jahre in München gewohnt habe und beim FC Bayern drei Jahre gespielt habe in der Jugend, ist es etwas Besonderes", sagte Philipp Max, als ehemaliger Jugendspieler des TSV 1860 (2003 bis 2007) und des FC Bayern (2007 bis 2010) einer der Münchner bei Augsburg. "Aber das ist relativ schnell vergessen, wenn das Spiel angefangen hat - vor allem, wenn es so läuft." Dennoch lässt sich durchaus feststellen, dass ein Kompetenztransfer von München nach Augsburg stattgefunden hat. Dass es hier viele mit Münchner, speziell mit Sechziger-Vergangenheit gebe, sagt Max, sei "schon etwas Lustiges, was ein bisschen verbindet". Er finde das gut.

Manchmal, wie bei Trainer Baum, findet dieser Kompetenztransfer sogar täglich statt, wenn man so will. Der 37 Jahre alte Fußballlehrer wohnt in Trudering, also weiterhin in jener Stadt, in die er als Teenager aus Landshut zog, um sich als Torwart beim TSV 1860 voll einbringen zu können. Später war Baum bei den Vorortklubs FC Ismaning, FC Unterföhring, FT Starnberg und SpVgg Unterhaching, von wo aus er 2014 zum FCA wechselte, als Nachwuchs-Cheftrainer. Geschäftsführer Reuter, von 1988 bis 1991 Profi beim FC Bayern und später von 2006 bis 2009 Manager bei 1860, kannte Baum aus seiner Münchner Zeit. Dass sich ehemalige Münchner in Augsburg wiedertreffen, gehört längst zur Gewohnheit. Die Spieler Max, Sohn des ehemaligen 1860-Stürmer Martin Max, und der Ex-Löwe Leitner wurden von Baum sogar an der Walter-Klingenbeck-Realschule im Münchner Vorort Taufkirchen in den Fächern Wirtschaft, Recht und Buchführung sowie Sport unterrichtet, als ihr heutiger Trainer noch als Lehrer arbeitete.

In den jüngeren Jahrgängen setzt wiederum ein gegenläufiger Trend ein, der den Augsburgern nicht gefällt. Der FC Bayern versucht mittlerweile verstärkt Talente vom kleinen Nachbarn für sich zu gewinnen, um die eigene, zuletzt nicht zufriedenstellende Nachwuchssparte zu stärken. "Eine derart massive Abwerbung seitens des FC Bayern hat es noch nie gegeben. Wir müssen sehen, wie wir damit umgehen, und abwarten, was passiert", sagte Baum dazu im Februar. Von einem Interesse an etwa 20 FCA-Spielern war damals die Rede. Jugendtrainer Alexander Moj hat bereits für kommende Saison beim FC Bayern unterschrieben. Auch wenn die Augsburger nicht begeistert sind, können sie diese Entwicklung durchaus als Kompliment auffassen.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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