Münchner Leichtathletin Hering bei der WM:Tückische Studienreise

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Christina Hering, Läuferin der LG Stadtwerke München, scheitert bei der Leichtathletik-WM in Peking im 800-Meter-Halbfinale. Ihr sportliches Ziel hat sie damit erreicht - und nebenbei viel Erfahrung gesammelt

Von Johannes Knuth, Peking

Die Rolle als Außenseiterin? Auch nicht schlecht, findet Christina Hering. Man kann mal etwas ausprobieren, dem Feld davonlaufen, die Regeln seiner Disziplin ein wenig verändern, manche Außenseiter haben auf diese Weise ja schon den einen oder anderen Favoriten überrumpelt. Und wenn es nichts wird, dann hat man es probiert, immerhin. Christina Hering hatte insofern alles richtig gemacht, als sie sich am Donnerstag vor dem Halbfinale über 800 Meter bei der WM in Peking folgende Taktik zurechtschnitt: "Was riskieren." Das funktionierte zunächst recht gut. Während der ersten 100 Meter. Als sie aus der Kurve bog, "wurde mir dann klar, dass ich überhaupt erst mal am Feld dranbleiben muss", sagte Hering. "Und nach 400 Metern konnte ich einfach nicht mehr mitgehen."

Christina Hering von der LG Stadtwerke München hat sich dann trotzdem sehr gefreut über ihren achten Platz im Halbfinale, in 2:00,81 Minuten. Wenn sich eine 20-Jährige unter den 24 besten Läuferinnen der Welt einreiht, als Jüngste im Feld, dann ist das schon etwas Besonderes. So viele bayerische Vertreterinnen hatten die Reise nach Peking diesmal auch nicht angetreten. Genau genommen waren es zwei, Hering und die deutsche 800-Meter-Meisterin Fabienne Kohlmann, die für die LG Karlstadt-Gambach-Lohr startet, in München Psychologie studiert und mit Hering trainiert. Kohlmann schied ebenfalls im Halbfinale aus, in sehr guten 1:59,42 Minuten. Sie war unzufriedener als ihre Trainingspartnerin. "Die WM ist ja schon der Höhepunkt der Saison", sagte Kohlmann, dass es nicht für das Finale gereicht hatte, "das ist jetzt so ein bisschen wie das i ohne Tüpfelchen", fand sie. Herings Auftritt dagegen war in jedem Fall beachtlich. Sie verfügen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) nicht über derart viele Läuferinnen, die sich in die internationale Elite schieben können. Und Hering, den Eindruck vermittelte sie zumindest in Peking, hat sich gerade auf den Weg in eben jene Kreise aufgemacht. Auch wenn sie bei ihrer ersten WM bei den Erwachsenen auf die eine oder andere Tücke prallte.

Hering hat im Nachwuchsbereich einige Meriten gesammelt. Im Juli gewann sie Bronze bei der U23-Europameisterschaft in Tallinn/Estland. In Nürnberg wurde sie zudem Zweite bei den deutschen Meisterschaften, knapp hinter Kohlmann, sie unterbot dabei zum ersten Mal die Zwei-Minuten-Marke (1:59,54). Aber eine WM, das ist eben so, als tauche man in eine neue Welt ein, in ein fremdes Land. "Hier kann wirklich jeder spurten, jeder ist schnell und hat Erfahrung", sagt Hering, "das ist ganz was anderes." Im Vorlauf lief sie klug, sie versuchte nicht, den besten Drei hinterherzujagen, die automatisch für die nächste Runde qualifiziert sein würden. "Meine Hauptaufgabe war, dass ich mich nicht von dem Tempo schocken lasse", sagte Hering. Das reichte dann, um als eine der schnellsten Läuferinnen ins Halbfinale vorzurücken, die sich nicht direkt qualifiziert hatten. Im Halbfinale ging diese Taktik nicht mehr auf. "Was ich mir auf jeden Fall vornehme ist, dass ich mehr Dauerläufe mache. Ich glaube, das hilft mir, solche Rennen wie den Vorlauf besser zu verkraften", sagt Hering. Dauerläufe sind nicht so ihr Ding, dazu steht sie, "bisher bin ich ja auch oft so ganz gut durchgekommen", Hering lachte. Dann sagte sie flink: "Natüüüüürlich habe ich welche gemacht. Aber ich glaube, da ist noch Potenzial."

Es ist verflixt schwer zu erahnen, wohin es einen jungen Athleten in der Welt des Hochleistungssports tragen wird, die Wege sind gespickt mit Fallen und Unwägbarkeiten. In Herings Umfeld haben sie auf jeden Fall alles getan, um sie für ihre Reise zu wappnen. Ihr Trainer Daniel Stoll hat sie in den vergangenen fünf Jahren behutsam aufgebaut. Hering studiert Sportwissenschaften in München, sie ist eingebettet in die Sportfördergruppe der Bundeswehr. Sie qualifizierte sich spät für die WM, sie musste sich lange um die Norm des DLV bemühen, auf gewisse Weise war das aber vielleicht sogar hilfreich. "Es hat eine Weile gedauert, bis ich das realisiert hatte", sagt sie. Und als sie alles realisiert hatte, baute sie eine gesunde Beziehung zu einer derartigen Herausforderung auf. "Ich konnte hier ja nicht ohne irgendein Ziel herkommen. Spaß haben und Erfahrung sammeln ist auch ein Ziel. Aber dann habe ich gesehen, dass es schon möglich ist, ins Halbfinale zu kommen", so Hering. Peking, auch das konnte man von Christina Hering in den vergangenen Tagen lernen, soll erst der Anfang einer längeren Reise gewesen sein.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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