Löwen siegen im Dachauer Hinterland :Nackter Wahnsinn zwischen Mais und Korn

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Das 560-Seelen-Dorf Pipinsried wird zur Bühne eines Fußball-Festivals. Nach der Begegnung vor 7000 Fans feiern vor allem die unterlegenen Gastgeber - der neue Meister Sechzig staunt.

Von Christoph Leischwitz, Pipinsried

Der Kölbl Hans, berichtet der Fesl Fred, fängt am Montag an, den Mais zu pflanzen. Anfang Mai sei zwar ein bisschen spät, aber das gehe schon noch. Und weil im nächsten Jahr dann anderes Getreide folgen soll, wird das Feld neben dem Stadion auf absehbare Zeit wohl nicht mehr mit Fußballfans bestellt werden. Der vergangene Samstag wird also für den FC Pipinsried, ach was, für das gesamte Dorf, für die Region, ein einmaliges Erlebnis bleiben, ein Feiertag der Fußballkultur, dort, wo normalerweise andere Kulturen gedeihen. Bei den Fans des TSV 1860 München hat sich der Landwirt Kölbl jedenfalls sehr beliebt gemacht, und das nicht nur, weil er vor vielen Jahren in einem Testspiel für den FC Pipinsried mal ein Tor gegen den FC Bayern München erzielte hatte. Sondern auch, weil er seinen Acker nun für eine Naturtribüne zur Verfügung stellte.

In den Stunden vor dem "Spiel des Lebens" gegen 1860 München war die Nervosität zum Greifen gewesen. Nur wenige im Pipinsrieder Organisationsteam hatten bis dahin Erfahrung mit einem Event dieser Größenordnung gehabt. Und trotz der langen, akribischen Vorbereitung herrschte eine gewisse Ungewissheit, ob denn alles klappen würde mit den anfahrenden Bussen und den Parkplätzen, den 8000 zu belegenden Wurst- und Fischsemmeln, den 32 Dixi-Klos, den unberechenbaren Fußballfans. 7000 Zuschauer kamen tatsächlich ins 560-Seelen-Dorf. FC-Pressesprecher Fesl sprach hernach von einigen wenigen Krankenwagen-Einsätzen aufgrund erhöhten Alkoholkonsums, den letzten gegen halb drei. Sonst sei nichts passiert.

Pipinsrieds Spielertrainer Hürzeler will die Münchner Löwen nicht mehr wiedersehen

Ob die Mannschaft zu diesem Zeitpunkt noch im Vereinsheim feierte, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich. Die Mannschaft des FC Pipinsried wohlgemerkt, die das Spiel des Lebens zwar 0:3 verloren hatte. Während des Sonnenuntergangs feierten sie dennoch mit extrem lauter Musik und mit nackten Oberkörpern tanzend auf den Bänken im Stüberl. Die Offiziellen von 1860, die durch die offenen Fenster zusehen konnten, staunten nicht schlecht.

Das Endergebnis sei diesmal nur zweitrangig gewesen, meinte Spielertrainer Fabian Hürzeler hernach. Denn die Mannschaft hatte den Klassenerhalt bereits in der Tasche - am Donnerstagabend, auf der Heimfahrt vom SV Schalding-Heining, waren sie allerdings viel zu müde gewesen, um angemessen zu feiern. Und weil die Sechziger in Pipinsried Meister wurden, klappte letztlich sogar all das, was man gar nicht organisieren kann: das sportliche Setting. Zumal das Spiel ursprünglich gar nicht für den 5. Mai vorgesehen war, sondern für den 17. April. Die Verlegung in den vermeintlich wärmeren Mai war nur möglich gewesen, weil die Sechziger am vorletzten Spieltag eigentlich spielfrei waren.

Die extrem ausgelassene Stimmung am Samstagabend rührte außerdem noch daher, dass es zwischen beiden Mannschaften viele persönliche Verbindungen gibt. Hürzeler hatte noch unter Sechzig-Trainer Daniel Bierofka für die Münchner gespielt, als deren U21 in der Regionalliga antrat. Er wünschte den Löwen für die Aufstiegsspiele alles Gute und hoffte, "dass wir uns nicht mehr wiedersehen". Sechzigs Angreifer Sascha Mölders lief hernach mit dem Trikot des Pipinsrieder Ersatzkeepers Sebastian Hollenzer herum - als Trainer des SV Mering hatte er vor einem Jahr dafür gesorgt, dass sein Schützling beim Regionalligisten unterkommt. Die Giesinger und Pipinsrieder Party-Interferenz zeigte sich dann auch noch auf der Naturtribüne. Dort spielte die Rockband "Shout" immer noch, als es schon dunkel war, und die halbnackten Pipinsrieder Spieler tanzten zwischen betrunkenen Löwen-Fans. "Es war Wahnsinn, eine richtige Festival-Stimmung, so etwas habe ich noch nirgendwo erlebt", schwärmte FC-Manager Roman Plesche. Ein sehr variantenreiches Festival. Kurz vor dem Anpfiff war die Rockbühne von einem Traktor weggezogen worden, um die Sicht zu verbessern. Da übernahm die Blasmusik das Kommando. Nach dem Spiel wiederum die Fans. Für ihre Gesänge nutzten sie am Ende das Spielfeld als Bühne.

Zu den Feierbiestern gehörte der 31-jährige Plesche nicht, er war am Sonntag um 7.30 Uhr schon wieder wach. Mit dem Klassenerhalt habe die Planung für die kommende Saison begonnen, sagte er. Außerdem werde Ende dieser Woche die GmbH gegründet, die künftig für die Geschicke der ersten Mannschaft zuständig ist. "Es werden Spieler kommen, es werden Spieler gehen", sagte Hürzeler, Plesche sprach von "fünf bis sechs" Weggängen. Man wolle versuchen, sich in Sachen Kaderbreite besser aufzustellen als diesmal. Zuvor steht am Samstag noch ein Heimspiel gegen den VfR Garching an, ebenfalls ein Derby. Doch bei allem Prestige: Es wird vergleichsweise nüchtern zugehen.

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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