Linksaußen:Yorkshire trifft Boxer

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Ferrari gegen Fußgänger: An der Ampel ist es wie im Berufssport: Kaum stellt jemand die Konventionen infrage, wird das Establishment nervös.

Von Johannes Schnitzler

Neulich, an einer Fußgängerampel im Würmtal, morgens um neun. Auf der Nachbarspur hält ein perfekt polierter Sportwagen aus Stuttgart. Am Lenkrad ein Mann um die fünfzig, Sakko, weißes Hemd, Sonnenbrille. Typ: Gewinner. Einer, der Befehle gibt, nicht entgegennimmt. Von links quert ein Fußgänger die Fahrbahn, etwa 40, beigebrauner Blouson, leicht schlurfiger Gang. Typ: verpeilter Professor. An der Leine führt er einen Yorkshire-Terrier. An den Füßen trägt er nichts. Das Autothermometer zeigt frische fünf Grad.

Der Siegertyp im Sportwagen rückt seine Brille hoch in die Stirn und glotzt dem Fußgänger nach. In seinem Gesicht tauchen Fragen auf: Hat der Barfußtyp 'ne Meise? (Nein, nur einen, nun ja, Hund.) Trainiert der für das große Schlittenrennen am Yukon? (Dann sollte er sich schleunigst ein paar Hundestärken mehr zulegen.) Können sieben Tassen Kaffee am Morgen wirklich Halluzinationen hervorrufen? Der Sportwagen-Typ ruckelt am Schalthebel. Als die Ampel auf Grün schaltet, lässt er den Boxermotor aufröhren. Bloß weg hier.

So ist das, an der Fußgängerampel wie im Berufssport. Kaum stellt einer die Konventionen infrage, wird das Establishment nervös und lässt die Muskeln spielen. Klinsmanns Buddhas? Waren so harmlos wie angeleinte Kleinsthunde. Beim großen FC Bayern aber ruckelten die Lenker nervös am langen Hebel - hat der Typ 'ne Meise?

Der Eishockeytrainer Sean Simpson, im Jahr 2000 deutscher Meister mit den München Barons, ein Erfolgscoach, gewohnt, dass man seine Anweisungen befolgt, hat nach dem Viertelfinal-Aus seiner Adler Mannheimer gegen die Eisbären Berlin Rot gesehen, ganz ohne Ampel. Einem freundlichen SWR-Reporter drohte er: "Eine blöde Frage, und ich schlage Dich k.o.! Du liegst hier auf dem Boden, okay? Respekt!" Der Reporter trug Schuhe und hatte nur ein ganz kleines Mikro an der Leine.

Dass es anders geht, zeigte Christian Streich neulich im ZDF-Sportstudio. Der Freiburger Fußballtrainer, Typ verschlurfter Professor, trug ganz gegen seine Gewohnheit einen Anzug. Dann sagte er ein paar uneitle, selbstverständliche Sätze, von der Lebenserfahrung gedeckt, über soziale Kompetenz, Gastfreundschaft und respektvolles Miteinander. Er meinte das ganz allgemein, anwendbar auf den Alltag, den Sport und sogar auf Journalisten. Seitdem wird Streich im Netz als Buddha aus dem Breisgau verehrt oder mindestens als nächster Bundespräsident gehandelt.

Sean Simpson entschuldigte sich am Tag nach seinem Ausfall. Die Emotionen, das Adrenalin, you know. Vielleicht hatte er bloß zu viel Kaffee getrunken. Vielleicht sollte er aber einfach mal seinen inneren Yorkshire Gassi führen. Barfuß und im beigebraunen Blouson. Oder im Anzug wie der weise Herr Streich.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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