Linksaußen:Kunst und Kugelschreiber

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Ist das Kunst oder kann das weg? Die Frage beschäftigt nicht nur Maler oder Bildhauer. Auch Sportler stehen bisweilen davor - vor allem, wenn sie sich selbst im Spiegel betrachten

Von Andreas Liebmann

Ist das Kunst - oder kann das weg? Die Frage zeugt von Banausentum, doch bisweilen muss man sie stellen. Etwa wenn der Spross im Kinderzimmer ein liebevolles Arrangement aus Legosteinen, Comicheften und alten Pausenbroten aufgetürmt hat. Gedankenloses Dahinraffen der Skulptur könnte tiefe Risse in der zarten Kinderseele verursachen. Selbst große Künstler sind ja vor Ignoranz nie sicher, siehe Joseph Beuys' Fettecke: fünf Kilo an die Wand gekleisterte Butter, die ein Hausmeister in einem Düsseldorf Abfalleimer versenkte.

Als Faustregel gilt: Ein von Gerüsten und Planen verdecktes Gebäude wird eher als Kunst empfunden, wenn Christo am Werk war und nicht der örtliche Bauunternehmer. Dennoch fällt Laien die Unterscheidung oft schwer. Ist ein Kreuzworträtsel Kunstobjekt, nur weil es im Museum hängt? Hat jene Rentnerin, die in Nürnberg beherzt zum Kugelschreiber griff und ein solches ausfüllte, das Werk nun zerstört oder vollendet? Aktionskunst? Vandalismus? Herrje. . .

Im Sport ist die Sache nicht einfacher. Ist das 63-Meter-Tor des Garchingers Dennis Niebauer Kunst? Sind es die Übersteiger, die der junge Ronaldo einst so lange in seine Tempodribblings einbaute, bis der Ball weg war? Oder kann das weg. Was ist mit Zaza, Italiens Elfmeter-Fehlschütze mit Galopper-des-Jahres-Anlauf: Verkannter Expressionist?

Sportberichte sind astreine Kunstwerke, immerhin daran besteht kein Zweifel. Man darf sogar darin herumschmieren, ohne den Urheber zu verärgern oder Strafanzeigen zu riskieren, darf Buchstaben ergänzen, lustige Bärtchen in die Fotos malen oder auch mal den Gegner korrigieren, falls er in einer Überschrift (wie jüngst bei Hachings Heimsieg) falsch ist. Es ist nämlich so: Online lassen sich Fehler leicht beheben, man kann ständig nachbessern, wie bei einer Skulptur aus Knetmasse. Was gedruckt ist, ist gedruckt. Wie in Granit gemeißelt. Dafür darf auf Papier jeder Leser nachträglich mit einem Kugelschreiber mitgestalten.

Auch einige Olympia-Starter kennen diese Problematik. Die Wenigsten sind wandelnde Gemäldegalerien wie manche Basketballer, aber Tattoos tragen viele. Wie Turner Marcel Nguyen, der sich "Schmerz vergeht, Stolz bleibt" in Englisch auf die Brust ritzen ließ. Zeitlos. Im Gegensatz zu den fünf Ringen auf dem Unterbauch der Schwimmerin Alexandra Wenk. London 2012 steht da. Kunst ist das nicht, aber weg kann es eben auch nicht. Rio 2016 kann höchstens ergänzt werden. Notfalls mit Kugelschreiber.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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