Linksaußen:Die Vergeilung des Sports

Lesezeit: 1 min

Demnächst wird wieder das Unwort des Jahres bestimmt. Wir hätten da ein paar Vorschläge

Von Sebastian winter

Am 10. Januar wird das Unwort des Jahres 2015 verkündet, hoch im Kurs stehen, nach Lage der Dinge, Willkommenskultur, Grexit oder, gerade erst von Wolfgang Schäuble eingereicht, Flüchtlingslawine. Das sechsköpfige Gremium wird wieder ein besonders irreführendes, diskriminierendes oder demokratiefeindliches Wort wählen, das die Lügenpresse (2014) dann verbreitet.

So eine Wahl täte auch dem Sport mal gut, der ja nur so strotzt vor Sexismus und Fäkalsprache. Bruno Labbadia: "Das wird alles von den Medien hochsterilisiert." Andy Brehme: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß." Ex-HSV-Trainer Thomas Doll: "Ich brauche keinen Butler. Ich habe eine junge Frau." Apropos Fußball: Favorit wäre aus aktuellem Anlass, klar, das Sommermärchen.

Zweiter Kandidat, weil er aus der Sprache von Sportlern, Trainern und Vereinen kaum noch wegzudenken ist: geil.

Der SC München Süd schrieb kürzlich auf seiner Homepage, "an alle, die es versäumt haben, es war zum 100-Jährigen eine geile Party". Paderborns Mittelfeldspieler Marvin Bakalorz sagte vor zwei Wochen nach der Partie gegen Union Berlin: "Es ist immer wieder so, dass die Jungs aus der Ansprache rausgehen, sich geil fühlen und Schaum vorm Mund haben." Er meinte die Ansprache des Neu-Trainers Stefan Effenberg, der geile Typ mit dem Stinkefinger. Hachings Trainer Claus Schromm fand nach dem Erstrunden-Pokalsieg gegen Ingolstadt: "Es ist geil. Unser Plan ist aufgegangen."

Man weiß nicht genau, woher diese allumfassende Geilheit kommt. Adaption der Jugendsprache? Zu viel Radio gehört ("Geile Zeit" "Leider geil", "Supergeil")? Man weiß aber, dass Schromm, 46, der Minderheit angehört. Denn einer Allensbach-Studie zufolge benutzen nur 47 Prozent der 45- bis 59-Jährigen den Ausdruck "geil", bei den 16- bis 29-Jährigen sind es dagegen 81 Prozent. Darunter: Freisings Volleyballerinnen. Die heißen mit Zweitnamen "Geile Uschis", sind aber nicht verwandt mit dem "Geilsten Club der Welt" vom Ammersee.

Ob die Uschis damals am Stammtisch wussten, dass "geil" nicht nur "toll" oder "sexhungrig" heißt, sondern auch "wuchernd"? In der Pflanzenphysiologie spricht man diesbezüglich von Vergeilung. Ein würdiges Unwort. Endgeil.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: