Leipzig/München:Schnellstart zwischen Bahn und Zug

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Christina Hering hängt bei den deutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften alle ab - nicht nur über 800 Meter

Von Andreas Liebmann, Leipzig/München

Sie lief mal wieder ihr ganz eigenes Rennen. Ein beherzter Antritt nur, dann war Christina Hering im Auto verschwunden. Statt der geplanten Rückreise aus Leipzig im Zug hatte sich die 22-jährige Münchnerin spontan für eine andere Mitfahrgelegenheit entschieden, weshalb sie am Sonntag gegen 22 Uhr entspannt zu Hause ankam, in aller Ruhe ihre Tasche auspacken und ihre Leistung bei den deutschen Hallenmeisterschaften reflektieren konnte. Ihr Coach Daniel Stoll samt ihren Trainingskolleginnen Katharina Trost und Christine Gess von der LG Stadtwerke dürften sie aus der Ferne beneidet haben. Denn deren für 0.40 Uhr geplante Ankunft am Münchner Hauptbahnhof verzögerte sich bis 2.30 Uhr morgens.

Diese Rückreise war ein Spiegelbild des vorangegangenen 800-Meter-Frauenfinales, in dem Hering ihre Verfolgerinnen ebenfalls sofort abgehängt hatte. Mit riesigen Schritten war sie losgespurtet, spätestens nach 200 Metern war klar, dass es in dem Zug, den der Rest des Feldes irgendwo weit hinter ihr bildete, nur noch um die Plätze zwei und drei gehen würde. Eine verspätete Ankunft war unvermeidlich. "Das war so geplant", berichtete Hering. Ihr sei klar gewesen, dass ihr Tempo niemand mitlaufen würde, aus Angst, dass es für diejenige "nicht gut enden" würde. Auch ihre Teamkollegin Mareen Kalis blieb weit hinter ihr. Meist an vierter Position liegend, überließ sie anderen die Führungsarbeit.

Die Zeit? Egal. Christina Hering genießt in Leipzig ihren dritten Hallentitel, den sie unangefochten vor Mareen Kalis ins Ziel bringt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Mareen Kalis hatte ebenfalls Glück mit ihrer Rückreise. Sie fuhr am Abend nach beendeter Staffel zu ihrer Familie nach Paderborn, wo sie kurz nach Mitternacht eintraf. Im Rennen hatte sie sich erst spät abgesetzt. Eingangs der letzten Gegengeraden hatte sie plötzlich das Tempo erhöht, dass es aussah, als hätte sie plötzlich ein schnelleres Transportmittel bestiegen. Sie kam irgendwo in der Mitte zwischen Hering und dem abgehängten Rest ins Ziel. "Dieser Endspurt macht mich zuversichtlich für den Sommer", sagte sie. Mit einer Medaille habe sie gar nicht gerechnet.

Der Doppelerfolg war tatsächlich nicht unbedingt zu erwarten gewesen, denn die Münchner Trainingsgruppe hatte sich kaum auf die Hallensaison vorbereitet. Ihr Olympiajahr habe doch mehr Kraft gekostet als gedacht, erläuterte Christina Hering, "Körper und Kopf waren ausgelaugt". Im Oktober habe sie Knieprobleme bekommen, im November einen Bundeswehr-Lehrgang gehabt. "Weihnachten habe ich überhaupt erst beschlossen, dass ich in der Halle laufe." Den dritten Hallentitel nach 2015 und 2016 wollte sie sich dann doch nicht entgehen lassen. Entsprechend habe die gesamte Gruppe bis dahin kaum auf der Bahn trainiert. "Wir haben uns da an Christina orientiert", sagte Kalis, die in der Halle selbst eigentlich immer gut ist, mit der reduzierten Vorbereitung allerdings nicht recht klarkam. "Ich hatte mir vor Leipzig nicht mal die Teilnehmerlisten angesehen", sagte sie. Erst nach einem gelungenen Vorlauf und der Disqualifikation der Leverkusenerin Sarah Schmidt wegen Bahnübertretens sei ihr klar geworden, dass im Finale eine Medaille möglich wäre.

Anfangs, erzählt Kalis, habe sie nicht mal ausgeschlossen, Herings Antritt im Finale mitzugehen, angesichts des Tempos habe sie das aber verworfen. Am Ende war die Siegerzeit eher langsam: 2:06,52 Minuten. "Bei 200 und 400 Metern war ich flott unterwegs, danach habe ich nicht mehr richtig darauf geachtet", erläuterte Hering, "ich habe mich dann selbst gewundert, dass es doch so langsam war." Der Vergleich mit dem Vorjahr (2:02,48) zeige, "dass ich zurzeit nicht in dieser Form bin". Kalis kam nach 2:07,41 Minuten ins Ziel.

Christine Gess und Katharina Trost liefen in Leipzig über 1500 Meter, wo sie die erhoffte dritte Medaille für die Gruppe verpassten. Gess wurde mit neuer persönlicher Bestleistung Sechste, Trost Vierte. Hier war Konstanze Klosterhalfen (Leverkusen) mit neuem deutschen U-23-Hallenrekord ihr ganz eigenes Rennen gelaufen, und Trost habe, als das Tempo anzog, etwas zu lange gezögert, sagte Trainer Stoll.

Die restlichen Münchner Läufer gingen leer aus. Tobias Schneider, inzwischen eigentlich Bob-Anschieber, scheiterte im Vorlauf über 60 Meter. Dem jahrelang von Blessuren geplagten Sebastian Barth gelang über 60 Meter Hürden in 7,80 Sekunden die drittbeste Vorlaufzeit, im Finale reichte es laut Stoll wegen muskulärer Probleme nur zu Rang sechs (7,96 sec).

Grund zum Jubeln hatte Hochspringer Tobias Potye. Er gewann Silber. Seine Hallensaison litt vor allem an der Doppelbelastung durch sein Studium, außerdem hatte er das Training zuletzt wegen Schmerzen am Fuß zurückfahren müssen. "Beim Einspringen habe ich keinen einzigen gültigen Versuch hinbekommen", erzählte er, dennoch habe er dann die Schmerzen vergessen und in den Wettkampf-Modus gefunden. 2,23 Meter riss er knapp, "das hat mich schon etwas geärgert", sagte Potye, 21. Sonst hätte er Gold gewonnen vor Mateusz Przybylko. Wie der Leverkusener hatte auch Potye die 2,20 Meter, seine Hallenbestleistung, im ersten Versuch überquert. "Für die Voraussetzungen ist es ideal gelaufen", fand Potye. Tags darauf hatte er wieder eine Prüfung, deshalb fuhr er im Auto zurück, sicherheitshalber. Gegen 20 Uhr war er daheim.

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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