Münchner Leichtathlet Barth:Wenn es nicht knallt . . .

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Vier Jahre lang hat Hürdensprinter Sebastian Barth in den USA trainiert. Nun ist er zurück und startet für die LG Stadtwerke bei der U-23-EM. (Foto: imago/Beautiful Sports)

Vier Jahre lang hat Hürdensprinter Sebastian Barth in den USA trainiert. Nun ist er zurück und startet für die LG Stadtwerke bei der U-23-EM. Seit Monaten pendelt der Gautinger zwischen starken Läufen und Muskelfaserrissen - seit er sich im Kraftraum beide Schultern auskugelte.

Von Andreas Liebmann, München

"Haben Sie schon mal von den Wintern in Iowa gehört?" Die Frage kommt unvermittelt. Die Mittagssonne knallt auf die leeren Tennisplätze im Olympiapark, es ist drückend heiß. Sebastian Barth sitzt unter einem Sonnenschirm und nippt an einer Apfelschorle. Nun erzählt er von minus 40 Grad, von beißendem Wind, dem dort, "mitten im Nirgendwo" im Südwesten der USA, kein Berg Widerstand leistet, kein Hügel, gegen den er sich oft rückwärts laufend über den Campus gekämpft hat, dick eingepackt in einen Parka. Barth lächelt.

Im Sommer kann es auch sehr heiß werden in Iowa, in München war es zuletzt heißer. Den gebürtigen Starnberger stört das nicht. Er ist angeschlagen. Statt zum Training wird er gleich zur Physiotherapie gehen. Sich fit kneten lassen. An diesem Donnerstag beginnen die U-23-Europameisterschaften in Estland, am Freitag wird Sebastian Barth im Vorlauf über 110 Meter Hürden starten. Etwa 17 Grad sind vorhergesagt für die Hauptstadt Tallinn, Schauerneigung. Barths Aussichten sind ähnlich vage. "Ich denke, mein Leistungsniveau sollte fürs Finale reichen", sagt er, er reist als Europas Nummer fünf an. Gold dürfte dem Franzosen Wilhem Belocian gehören, mit 12,99 Sekunden U-20-Weltrekordler.

Sebastian Barth, 22, ist einer von drei Athleten der LG Stadtwerke München, die es nach Tallinn geschafft haben. Seit zwei Jahren gehört er der LG an. Richtig aufgefallen ist er dort noch nicht, aus einem einfachen Grund: Gleich nach dem Abitur vor vier Jahren ging er in die USA, um Marketing-Management zu studieren. Seine Erfolge im Hürdensprint hatten ihm ein Stipendium ermöglicht. "In Deutschland ist es nicht leicht, Studium und Sport zu verbinden", sagt er, "und was gibt es Besseres als ein Auslandsstipendium, um sich für die Berufswelt interessant zu machen?"

Also ging er fort, mit 18, nicht etwa nach Florida oder Kalifornien, sondern an die University of Northern Iowa, inmitten endloser Maisfelder. "Es sollte kein Touristen-Stipendium sein", sagt er. Auf die harten Winter sei er nicht vorbereitet gewesen. Lag Ende März noch Schnee, mussten die Leichtathleten ihre Bahnen freischaufeln, weil dann die Footballer die Halle brauchten. "Das muss man mit Humor nehmen."

Bereut hat er seine Entscheidung nicht, auch wenn es nicht einfach war, plötzlich flügge zu werden. "Der Sport wird dort auf einem ganz anderen Level gefördert", erzählt Barth. Die College-Meisterschaften seien mit dem Niveau einer Nachwuchs-WM vergleichbar. "So ein Olympia-Stützpunkt" - er blickt sich um - "sieht ganz schön alt aus im Vergleich mit einer amerikanischen Uni." Diese werde auch durch Erfolge ihrer Sportler repräsentiert, daher der Aufwand. Die Weihnachtsfeste verbrachte Barth in Gauting bei der Familie; und nach der Sommersaison, die in den USA von März bis Mai dauert, nahm er von Juni bis August stets noch die deutschen Wettkämpfe mit.

Dass Sebastian Barth im Mai in Wetzlar deutscher U-23-Meister im Hürdensprint wurde, mit einer Zeit von 13,80 Sekunden, hat sich anfangs nicht angedeutet. Erst musste er sich mal gegen Tennis, Judo und Gitarre entscheiden, dann lief vieles in Richtung einer Zehnkämpfer-Laufbahn. Sogar im Werferlager landete er zeitweilig, nachdem er sich beim Stabhochsprung einen hartnäckigen Faserriss im Rücken zugezogen hatte. Gelernt hat er bei der LG Würm Athletik, gemeinsam mit dem 400-Meter-Hürdenspezialisten Tobias Giehl und dem 400-Meter-Läufer Johannes Trefz. Als die Freunde dort auf dem Absprung waren, fädelte auch er von Iowa aus den Wechsel nach München ein. "Der Kontakt zu unserem Verein ist immer noch super", sagt er, "aber wenn ich geblieben wäre, wäre ich jetzt wohl allein mit einem Coach zu den Wettkämpfen gefahren."

Sebastian Barth, knapp 1,90 Meter groß, kurze, blonde Haare, wirkt sehr selbstbewusst. Er spricht beinahe druckreif, gern mit einem spöttischen Lächeln um die Mundwinkel. Und er hat viel zu erzählen. Etwa von Dan Steele, seinem Trainer in Iowa, dessen Vita ihn so beeindruckte, dass er sich damals für dessen Uni entschied. Den Zehnkampf-Weltrekordhalter Ashton Eaton hat Steele trainiert, und dessen spätere Frau Brianne Theisen, eine Siebenkämpferin. Steele selbst war 1999 mal WM-Achter im Zehnkampf und 2002 Olympia-Bobfahrer. "Er ist ein zurückhaltender Coach, der einen machen lässt, der will, dass man selbst ein Gefühl entwickelt für sich; dafür, was gut ist und schnell."

Barth kann auch über sich selbst lachen. Beinahe genüsslich erzählt er von einem Schlüsselbeinbruch 2012, als er als Favorit mit Kreuzschmerzen zu den deutschen Meisterschaften angereist war, im Halbfinale Krämpfe bekam und ins Ziel hopsend "so dämlich auf die Schulter" fiel, dass diese bis heute mit einer Metallplatte verstärkt ist. Oder die Sache vergangenen November: Beide Schultern gleichzeitig kugelte er sich beim Gewichtheben aus, nach Auskunft seines Arztes doch eher ein seltener Befund. Auf die Operationen hat er verzichtet, sie hätten ihn ein Jahr gekostet.

Großereignisse waren bisher nicht Barths Spezialität. Zur U-20-WM 2012 in Barcelona kam er mit Jahresbestzeit - und schied im Vorlauf aus. Auch die U-23-EM in Tampere 2013 war nicht sein Turnier. Seit Ende 2014 ist er fast dauerverletzt. Immer wieder reißen Muskelfasern. All die guten Zeiten zuletzt holte er kurz nach Faserrissen, "immer verbunden mit dem blöden Spruch: Wozu trainierst du überhaupt?" Er weiß: "Entweder der Muskel hält, dann wird es schnell. Oder es knallt." Zuletzt hat es vor gut drei Wochen geknallt, kurz nach der DM in Wetzlar.

"Er hat eine anfällige Muskulatur", weiß Bundestrainer Jan May, "mit einer guten Vorbereitung ist das aber in den Griff zu kriegen." Dann werde er in Zukunft noch viel zeigen können, glaubt er. Seit den Schulterverletzungen sei leider vieles improvisiert. Auch Barth ahnt, was möglich ist, wenn er mal verletzungsfrei bleibt. Die Norm für die Olympischen Spiele in Rio liegt bei 13,45 Sekunden. "Das ist nicht unrealistisch, wenn man sieht, wie meine aktuellen Zeiten zustande gekommen sind." Das Studium in Iowa ist abgeschlossen, er wird in München bleiben. Im September beginnt er ein fünfmonatiges Praktikum. Den nächsten Winter dürfte er als mild empfinden. Übrigens: Die August-Temperaturen in Rio de Janeiro sollen bei 25 Grad liegen.

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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