Leichtathletik-DM in Nürnberg:Meisterhafte Teamleistung

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Am Ende hieß es Dranbleiben: Christina Hering (re.) lässt sich von ihrer Trainingskollegin Fabienne Kohlmann zur WM-Norm ziehen. (Foto: Baumann/Imago)

800-Meter-Läuferin Christina Hering gelingt mit Hilfe ihrer Trainingspartnerin Fabienne Kohlmann eine persönliche Bestzeit sowie die Erfüllung der WM-Norm für Peking - dass es mit der Titelverteidigung nicht klappt, ist da nicht mehr so schlimm

Von Joachim Mölter, Nürnberg

Christina Hering war erst einmal geknickt, im wahrsten Sinne des Wortes. Die 800-Meter-Läuferin der LG Stadtwerke München rang nach dem Finale bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Nürnberg nach Atem und stützte sich dazu auf ihren Knien ab. Fabienne Kohlmann hielt derweil sozusagen ihre Hand schützend über sie, wie eine große Schwester; die Hand lag beruhigend auf Herings Rücken. So warteten die beiden Läuferinnen am Sonntagnachmittag auf das Ergebnis des Rennens.

Kohlmann hatte es gewonnen, das war klar zu erkennen gewesen; ihre Siegerzeit von 1:59,27 Minuten leuchtete auch schon auf der Anzeigetafel auf. Aber wie schnell war Hering gewesen, die Zweitplatzierte? Als nach ein paar Augenblicken die Ziffern 1:59,54 aufleuchteten, war alle Anstrengung vergessen und Christina Hering richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe von 1,85 Meter auf: persönliche Bestzeit, erstmals unter zwei Minuten - und damit die Norm des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) für die Teilnahme an den Weltmeisterschaften in Peking (22. bis 30. August) erfüllt. Die beiden Frauen fielen sich in die Arme, sie dürfen nun gemeinsam nach China fliegen. "Wahnsinn! Ich kann das noch gar nicht glauben", sagte Hering: "Ich bin zu hundert Prozent zufrieden, auch wenn ich meinen Titel nicht verteidigen konnte." Kohlmann bilanzierte mit einem Grinsen: "Das war Teamarbeit."

Die 25-Jährige startet für ihren unterfränkischen Heimatklub LG Karlstadt-Gambach-Lohr, aber sie studiert in München (Psychologie) und sie trainiert dort auch, in einer Gruppe mit Hering sowie den LG-Stadtwerke-Athletinnen Christine Gess und Karoline Pilawa, die mit Saisonbestzeiten als Siebte (2:06,70) und Achte (2:07,21) das Finalfeld abrundeten.

Nach den Vorläufen am Samstag hatten sich Kohlmann und Hering abgesprochen, wie sie das Finale gestalten wollten. Sie hatten zwar unterschiedliche Prioritäten, wie Andreas Knauer berichtete, der Landestrainer im Bayerischen Leichtathletik-Verband (BLV), der die Läuferinnen gemeinsam mit Daniel Stoll betreut, dem Klubcoach der LG Stadtwerke: "Fabienne wollte gewinnen, Christina eine gute Zeit, das hat gepasst." Stoll wusste noch zu erzählen, dass Kohlmann mit einer "standesgemäßen Zeit" siegen wollte; so wie es sich für eine Läuferin gehört, die zuvor zweimal die Zwei-Minuten-Marke unterboten hatte, zuletzt am vorigen Dienstag in Bellinzona/Schweiz, wo sie ihre persönliche Bestzeit auf 1:58,37 drückte.

Die Taktik sah so aus, dass Hering auf den ersten 400 Metern das Tempo machen und Kohlmann danach die Führung übernehmen und ihre Trainingspartnerin mitziehen sollte. "Auf den letzten hundert Metern war dann offener Kampf angesagt", sagte Stoll. Fast genauso kam es, mit dem feinen Unterschied, dass die routiniertere Kohlmann etwas früher die Initiative an sich riss, als sie merkte, dass es zu langsam voranging: Die 400-Meter-Zwischenzeit (59,62 Sekunden) war etwa anderthalb Sekunden hinter der angepeilten Marke.

Am Ende hatte aber alles geklappt, für beide Läuferinnen. "Von der Teamleistung her war das meisterhaft", schwärmte Knauer. Es ist ja durchaus bemerkenswert, dass sich zwei Rivalinnen derart helfen, aber was bleibt ihnen übrig, wenn ihnen der Verband nicht hilft? Kohlmann hatte ihre WM-Teilnahme sicher, aber die von Hering stand auf der Kippe. Bei ihrem Bronzegewinn bei der U23-EM vor zwei Wochen war sie in 2:00,88 Minuten bereits persönliche Bestzeit gerannt. Damit hatte sie die WM-Norm des Weltverbandes IAAF unterboten, aber nicht die des DLV, der seine Zugangshürden für Peking zusätzlich erhöht hat. Nun hätte der Verband im Fall einer jungen, vielversprechenden Athletin wie Christina Hering, 20, vielleicht ein Auge zudrücken können. "Wo kommen wir denn hin, wenn wir Ausnahmen machen", hatte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen dazu nur gesagt. Es hatte ja schon im vorigen Jahr keine gegeben, als Hering die DLV-Norm für die EM in Zürich ähnlich knapp verpasst hatte. "Diesmal wollten wir sie klar schaffen", sagt der Trainer Stoll.

Bei der WM in Peking kann Christina Hering nun also die internationale Erfahrung in der Erwachsenen-Klasse sammeln, die sie schon 2014 bei der EM hätte haben können, wenn sie der Verband damals mitgenommen hätte. In Peking darf man daher nicht so viel von Christina Hering erwarten wie von der bereits WM-erfahrenen Fabienne Kohlmann. Aber "im Hinblick auf die Olympischen Spiele ist das natürlich super", findet die Studentin: "Denn ich weiß nun, dass ich mit den schnellen Mädels international mithalten kann. Das gibt Selbstvertrauen."

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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