Kunstturnen (I):Perfekter Spagat

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Zuverlässig, stark, jung: Der 18-jährige Belgier Noah Kuavita ist auch für die kommende Saison eine Option für Unterhachings Ausländerposition. (Foto: imago/Schreyer)

Trotz aller Nachwuchsprobleme schafft es der TSV Unterhaching immer wieder, für die zweite Liga ein Team mit Perspektive zu formen.

Von Andreas Liebmann, Unterhaching/München

Die Bundesliga-Turner des TSV Unterhaching könnten in etwas mehr als einer Woche mal so richtig abräumen: Wenn es gut läuft, gewinnen sie dann nämlich im deutschen Ligafinale Gold, Silber und Bronze. Mehr geht nicht.

Zugegeben: Natürlich muss man für eine solche Rechnung ein Auge zudrücken, denn um Gold und Silber tritt Marcel Nguyen im Trikot der KTV Straubenhardt an, und zwar gegen die TG Saar und damit auch gegen Felix Remuta. Jakob Paulicks könnte den Medaillensatz schließlich komplett machen, falls er mit der KTV Obere Lahn (für die auch Lukas Dauser anträte, wenn ihm nicht das Kreuzband gerissen wäre) den MTV Stuttgart bezwingt. Doch so viel Großzügigkeit darf man bei dieser Betrachtung ruhig mal walten lassen. Alle vier entstammen schließlich Hachings Talentschmiede und treten zu Wettkämpfen ja bis heute für ihren Heimatverein an.

Der TSV selbst ist als Teil der Turngemeinschaft Exquisa Oberbayern in der zweiten Bundesliga Süd unterwegs, die er am vergangenen Wochenende mit einem 46:28-Auswärtssieg beim TV Herbolzheim als Tabellenvierter abschloss. Hachings Abteilungsleiter Oskar Paulicks findet das Abschneiden "okay": Angesichts der Umstände, sagt er, sei das ein "versöhnlicher Abschluss" gewesen.

Diese Umstände waren auch am letzten Wettkampftag gut zu erkennen: Nur fünf Turner teilten sich die 24 Einsätze (je vier an jedem der sechs Geräte). Tassilo du Mesnil war nur in den ersten beiden Wettkämpfen im Sommer zum Einsatz gekommen, danach fehlte er studienbedingt - und wurde von Jakob Glück abgelöst, der bis dahin ebenfalls studienbedingt ausgefallen war. Drei Teenager hätten den Kader ergänzen sollen, Jonas Olbrich, Samuel Dobrovsky und Fabian Dauth, doch die beiden Erstgenannten fielen im Herbst wegen langwieriger Rückenprobleme aus. "Vielleicht nicht Platz eins, aber ein, zwei Plätze besser wären sonst schon drin gewesen", schätzt Paulicks.

Wie schwer es ist, für das hohe Niveau der zweiten Liga, mit immensem Trainingsaufwand und vernachlässigbaren Aufwandsentschädigungen, immer wieder eine Mannschaft zusammenzustellen, zeigte nicht zuletzt der Gegner: Der TV Herbolzheim gab am Samstag seine Abschiedsgala: "Aus personellen Gründen", wie es hieß, ziehe er die Mannschaft zurück, nach 40 Jahren in der ersten bis dritten Liga. Unter anderem sei kein Nachwuchs mehr in Sicht. "So etwas ist immer schade", findet Oskar Paulicks, "da schwingt eine Portion Wehmut mit."

400 Zuschauer kamen, um sich den letzten Auftritt anzusehen. Der Aufwand werde ja immer größer, erläutert Paulicks, sieben Wettkämpfe müsse man als Verein erst mal stemmen, auch die Anforderungen der Liga an Hallen und Geräte seien gestiegen. Und es gebe allgemein immer weniger deutsche Turner, die auf diesem Niveau klarkämen. Die Ära um Fabian Hambüchen, Marcel Nguyen und Philipp Boy überstrahle noch immer ein wenig das dunkle Loch, das sich hinter deren Erfolgen auftut: "Wir haben ein massives Nachwuchsproblem", sagt Paulicks. Das zeichne sich schon seit einer ganzen Weile ab. "Nur bei den Frauen läuft es besser", bemerkt er.

Oskar Paulicks weiß dafür sogar eine Erklärung, aber das sei nur seine ganz persönliche Ansicht: Die Nachwuchsförderung bei den Männern basiere auf einer "knallharten Zentralisierung", indem alle Talente genötigt würden, sich den Stützpunkten des Verbands anzuschließen. Im weiblichen Bereich werde das moderater gehandhabt, "man lässt die Leute in ihren Ländern und kooperiert mehr mit den Heimtrainern." Es passt da gerade ganz gut ins Bild, dass auch Hachings weiblicher Nachwuchs plötzlich von sich reden macht: Das jüngste Team der zweiten Frauen-Bundesliga wurde in seiner Premierensaison Dritter. "Aus dem Nichts", wie Paulicks betont. Noch dazu war die erst zwölfjährige Chiara Strecker gleich mal die ligabeste Scorerin. Dieses Team hatte vom Rückzug der KTV Ries profitiert, trat mit deren Lizenz zunächst als Turngemeinschaft an, werde aber wohl künftig nur noch unter dem Label TSV Unterhaching turnen.

Bei den Männern hofft Paulicks für die kommende Saison auf eine Rückkehr all derer, die in dieser Saison gefehlt haben. Auch auf der Ausländerposition war ja nicht alles nach Plan gelaufen: Die langjährig für Unterhaching startenden Ungarn David Vecsernyes und Bank Selmeczy hatten von ihrem Nationaltrainer keine Freigabe erhalten. Stattdessen sollten sich zwei Neue die Einsätze teilen, der Holländer Casimir Schmidt und der Belgier Noah Kuavita - doch auch Schmidt hatte nach nur einem Ligaeinsatz ein Veto seines Verbands bekommen. Das alles habe sich aber kaum ausgewirkt, weil Kuavita, 18, die Ausländerposition zuverlässig mit starken Leistungen ausfüllte. Nur zu Beginn gegen Herbolzheim wollte er in der vollen Breisgauhalle wohl ein bisschen zu viel von seiner neuen Übung zeigen und patzte - trotzdem kam er noch auf 17 Scorepunkte. Für die neue Saison sei er nun ebenso eine Option wie die Rückkehr der beiden Ungarn.

"Einen Nguyen, Dauser oder Remuta produziert man natürlich nicht am Fließband", warnt der Abteilungsleiter noch, so einen habe man gerade nicht in der Warteschleife. Dennoch sei er für die kommende Saison zuversichtlich, sofern der Kader dann wieder komplett sei, einschließlich der drei Jüngsten. Paulicks sagt: "Unser Anspruch wäre dann schon, wieder oben anzugreifen."

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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