Kegeln:"Das erste Mal dachte ich: Oh Gott, wo bin ich hier?"

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Der SKK 98 Poing startet in die Champions League - im Kegeln

Interview von Sebastian Winter

Viele Menschen werden von dem Spektakel gar nichts wissen: Am Samstagmittag (13 Uhr) gastiert die Champions League in Poing. Okay, nicht der FC Bayern und Real Madrid treffen im Münchner Vorort aufeinander, sondern "nur" Gastgeber SKK 98 Poing und der bosnische Klub KK Kozara Gradiska. Es geht auch nicht um Fußball, sondern um: Kegeln. Barbara Schmidbauer spielt auch mit, die 36-jährige Poingerin ist so lange dabei wie keine andere Spielerin des Erstligaklubs. Im Interview spricht sie über Poings Spiel des Jahres.

SZ: Frau Schmidbauer, Champions League im Kegeln, das hört sich skurril an. Wie läuft das ab in Poing?

Barbara Schmidbauer: Wir spielen unten im Keller der Poinger "Einkehr" im Sportpark auf vier Bahnen, man kann gemütlich was essen und trinken. Um 12 Uhr, eine Stunde vor Spielbeginn, ist technische Besprechung mit dem Schiedsgericht, dann werden die Aufstellungen verkündet, die Mannschaften laufen ein, stellen sich auf. Und dann starten die Hymnen.

Hymnen?

Klar, und Nationalflaggen gibt es auch.

Wird es denn voll in der "Einkehr"?

Na ja, mit 100 Leuten ist der Raum dicht. Zu normalen Bundesligaspielen kommen so 20 Zuschauer. Wenn unser Gegner Bamberg heißt, also der FC Bayern des deutschen Kegelsports, dann sind schon mal 40 Leute da. In der Saison 2007/08 gab es bei unserem Champions-League-Spiel keinen Platz mehr, super Stimmung, eine wunderschöne Kulisse. Ich hoffe, dass die Bude am Samstag wieder so voll wird.

Darf sich Ihr bosnischer Gegner Kozara Gradiska auch wie beim Fußball auf Schlachtrufe und La Olas einstellen?

Es wird tatsächlich angefeuert beim Kegeln, aber das kommt eher aus den Mannschaften heraus. Ab sechs abgeräumten Kegeln ist ein Wurf gut. Bei einem Sechser schreien wir also "Sexy", beim Siebener "Simser", danach wird's richtig lang.

Jetzt sind wir neugierig.

Soll ich Ihnen das jetzt wirklich vorführen? Also beim Neuner schreien wir "Holz, Holz, Siebene, Achte, Neune, Holz, Holz, Holz, ia, ia, ia, ho, oana geht scho no, hej!" Das erste Mal, als ich bei meiner Mama beim Kegeln zugeschaut habe und die dann anfingen zu schreien, dachte ich nur: Oh Gott, wo bin ich hier?

Ein Klischee: Frauen sitzen am Tisch bei Kaffee und Kuchen und kegeln nebenbei.

Na ja, ich backe für Samstag auch einen Kuchen. Aber das Spiel dauert drei Stunden, da ist man froh, wenn was zu essen da ist. Und es ist nicht so, dass man mal zwischendurch kegelt. Wir spielen 120 Wurf, und diese 120 Würfe macht man wirklich am Stück. Das verlangt Ausdauer und Konzentration. Jeder, der mit Kumpels beim Kegelabend nur 50 Würfe macht, der sagt, okay, anstrengend. Und hat am nächsten Tag Muskelkater.

Sie trainieren zweimal pro Woche, Ihre Kolleginnen haben weite Anreisen.

Ja, wir sind hier in Poing die erste Anlaufstelle in ganz Südbayern. Meine Kolleginnen kommen aus Ingolstadt oder Burghausen, sonntags zu Ligaspielen fahren wir bis nach Pirmasens oder Mainz. Viele Spielerinnen sind Mütter, da muss die Familie schon zurückstecken. Und wir haben eines der jüngsten Teams der Liga, ich bin mit 36 Jahren die Zweitälteste.

Wie kamen Sie überhaupt zum Kegeln?

Meine Eltern kegeln schon lange, mich hat es da nie so hingezogen. Aber mit 16 bin ich mal mit zu einem Spiel. Seither kegle ich. Und ich ärgere mich heute noch, dass ich nicht früher angefangen habe.

Warum?

Man verinnerlicht den Bewegungsablauf leichter. Viele Mitspielerinnen haben mit zehn begonnen - übrigens haben wir eine sehr aktive Jugend. Die 16-, 17-Jährigen nehmen am Spielbetrieb teil und kegeln Ergebnisse, da erblasse ich vor Neid. 580 Holz. Mein Schnitt liegt bei 530, mein Bestwert bei 604 - der Traum jedes Keglers.

Gibt es Profis?

Manche bekommen Fahrtkosten. Ich verdiene mit Kegeln kein Geld, im Gegenteil: Ich lasse jeden Sonntag ein paar Euro in der Mannschaftskasse, für Fehlwürfe oder wegen eines falschen Ergebnistipps.

2007 haben Sie schon mal Champions League gespielt, gegen einen Klub mit dem illustren Namen C.S Electromures Romgaz Targu Mures. Wie war das?

Wir sind damals erst in die Bundesliga aufgestiegen und waren dann plötzlich in der ersten Runde der Champions League. Es ging gegen den späteren Sieger. Das 3:5 zu Hause und die 0:8-Klatsche im Rückspiel waren also völlig in Ordnung. Allein die Reise nach Rumänien war ein Erlebnis.

Inwiefern?

Nach Targu Mures sind wir mit dem Zug gefahren. 23 Stunden. Wir hatten viele lange Zwischenstopps, Budapest ging noch, aber auch einen Halt mitten in Rumänien. Wir haben dann halt gefeiert, Spaß gehabt. Gespielt haben wir auf einer Acht-Bahnen-Anlage in einer Halle mit Tribüne vor Hunderten Zuschauern. Ich habe noch nie in einer solchen Atmosphäre gekegelt.

Blüht Ihnen das auch in Gradiska?

Nee, beim Rückspiel Anfang Dezember müssen wir nur geschmeidige zwölf Stunden mit Kleinbus und Auto zu unserem Gegner nach Bosnien fahren.

Und Sie wollen sicher nicht 0:8 verlieren.

Wir können den Gegner schwer einschätzen, aber vielleicht schaffen wir es, mit einem guten Ergebnis ins Rückspiel zu gehen. 3:5 oder 4:4, das ist machbar.

Ihr Ziel: Finaleinzug?

Das ist wirklich sehr unwahrscheinlich. Wenn wir in die nächste Runde kommen, wäre das schon ein riesiger Erfolg, der größte in unserer Vereinsgeschichte.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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