Präsident des Rennvereins:"Das hat die Szene schockiert"

Lesezeit: 5 min

Dietrich von Boetticher, Präsident des Münchener Rennvereins, über die Defizite der Galopprennbahn, das reduzierte Programm und die maroden Ställe. Seine Hoffnung ruht auf dem Verkauf des Trainingsgeländes

Interview von Andreas Liebmann

Der Blick aus der Kanzlei ist beeindruckend, die Isar, die alten Bäume, die Staatskanzlei. Dietrich von Boetticher, Rechtsanwalt, Verleger und Vorsitzender des Münchener Rennvereins (MRV), erzählt kurz von den Huchen unten im Fluss, einer seltenen Lachsart. Doch eigentlich drängt es den 74-Jährigen nach draußen, zur Galopprennbahn in Riem. Er will das mehr als hundert Jahre alte Geläuf zeigen, das zu den besten in Europa zählt, aber auch die unfassbar verfallenen Stallungen und Mitarbeiterwohnungen, die allenfalls noch zur Kulisse eines Horrorfilms taugen. Und die das Publikum gottlob nicht sieht, wenn es an diesem Sonntag (13.30 Uhr) zum Dallmayr-Preis kommt, dem ersten Gruppe-1-Rennen des Jahres.

SZ: Herr von Boetticher, für Sonntag hat sich der Starjockey Lanfranco Dettori angekündigt. Wie wichtig ist es, solche Namen auf der Rennbahn zu haben?

Dietrich von Boetticher: Sehr wichtig. Das Publikum, das hier Eintritt zahlt und wettet, ist das Kerneinkommen unseres Vereins. Das Verpachten der Ställe ist nicht mal kostendeckend, das muss man subventionieren, um Trainer herzubekommen. Die leben von einem knappen Brot. Dafür haben wir traditionell die zweitgrößten Zuschauerzahlen nach dem FC Bayern.

Dettori ist eine Art Popstar der Szene. Kennen Sie ihn persönlich?

Er würde mich auf der Straße sicher nicht erkennen - ich ihn schon.

Sie selbst waren früher Dressurreiter.

In begrenztem Umfang, ja, ich bin bis zur Schweren S-Klasse geritten, aber war nie im Grand Prix erfolgreich. Es macht richtigen Spaß, mit einem guten Pferd diese schwierigen Bewegungsmuster zu üben.

Woher kommt Ihre Pferdeleidenschaft?

Ich habe mir das als Kind in der Lüneburger Heide erträumt. Ich war mit meinem älteren Bruder auf der Rennbahn in Hannover, die damals noch am Stadtwald Eilenriede lag, und ich wusste: Wenn ich groß bin, will ich auch ein Pferd haben.

Ihr erstes hieß Luigi und gewann 1988 als krasser Außenseiter das Deutsche Derby. Im selben Jahr wurden Sie Mitglied des Münchener Rennvereins und ein Jahr später Vereinspräsident. Das ging schnell.

Der damalige Präsident Otto von Feury hatte mich gebeten zu kandidieren. Er war bereits über 80, und damals gab es einige Mitglieder, von denen er fürchtete, sie seien nur eingetreten, weil sie sich für die Grundstücke interessierten. In meiner Antrittsrede habe ich verkündet, dass keine Grundstücke mehr ohne Einwilligung der Mitglieder verkauft werden. Es war allerdings ein großer Sanierungsbedarf erkennbar. Schon damals habe ich mit dem Stadtbaumeister besprochen, dass wir auf den Luxus einer Trainingsbahn verzichten könnten, und intensiv an einem Konzept gearbeitet, wie man daraus Bauland machen könnte. Nach sechs Jahren ohne konkretes Ergebnis habe ich mein Amt aufgegeben.

"Wenn ein Leuchtturm nicht mehr so hell leuchtet, machen sich viele Sorgen": In der Galopprennbahn Riem gibt es wieder zwei Gruppe-1-Rennen. (Foto: Imago)

15 Jahre später tauchten Sie wieder auf und stellten sich einer Kampfkandidatur gegen den Amtsinhaber Norbert Poth.

Ich kam zurück, um zu verhindern, dass das Trainingsgelände unter schmählichen Bedingungen und gegen den Willen der Mitglieder verkauft wird. Einige von ihnen hatten mich dringend darum gebeten.

Dabei gelten Sie als jemand, der die Öffentlichkeit eher scheut. Ist das nicht ungewöhnlich für einen Vereinspräsidenten?

Ich bin Anwalt. Ein Anwalt hat die Aufgabe, sich im Hintergrund zu halten und die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Natürlich gibt es Gelegenheiten, in denen man keine Scheu haben darf, sich auch öffentlich zu äußern. Wenn das beim Münchener Rennverein nötig war, habe ich es getan. Mir ist die Zukunft dieser Galopprennbahn sehr wichtig, sie ist über hundert Jahre alt, sie ist bedeutend für den Sport und für die Münchner. Ich empfinde ihren Erhalt auch als Verpflichtung gegenüber der Stadt, der ich viel verdanke.

Schon für das Jahr 2012 hatten Sie schwarze Zahlen erwartet. Die gibt es bis heute nicht. Was haben Sie falsch eingeschätzt?

Ich ging davon aus, dass, wenn ich die Anzahl und Qualität der Rennen erhöhe, wir wieder mehr Wettumsätze auf der Rennbahn haben. Das war nicht der Fall. Das hat der Vorstand zum Teil durch verlorene Zuschüsse, zum Teil durch zinslose Kredite aufgefangen, da gab es viele Vorstandsmitglieder, die sehr opferbereit waren.

Jährlich fällt ein sechsstelliges Defizit an. Vor allem Ehrenpräsident Wolfgang Wille, Ihr Vize Franz Prinz von Auersperg und Sie selbst gleichen das durch Kredite aus. Zinslos, unbefristet. Es bleiben aber Kredite. Irgendwann sollte der Verein sie also zurückzahlen können.

Wir haben zunächst eine Korrektur vorgenommen und zum Schrecken vieler die Zahl der Rennen deutlich verringert. Das hat die Szene schockiert. München war immer eine große Rennbahn, und wenn ein Leuchtturm nicht mehr so hell leuchtet, bereitet das vielen Schiffseignern Sorge.

Mal abgesehen von Grundstücksverkäufen, welche Stellschrauben gibt es denn, um Galopp in Riem wieder zurück in die schwarzen Zahlen zu manövrieren?

Allein ein Neubau der maroden Stallungen, der Wohnungen für die Arbeiter - zurzeit sind es knapp 80, die in menschenunwürdigen Verhältnissen untergebracht sind - würde uns einen Zustrom an hochwertigen Reitern und Pferden einbringen. Das Programm würde viel attraktiver werden und dadurch die Einnahmen steigern.

Voraussetzung dafür kann aber nur ein Verkauf des Trainingsgeländes sein? Absolut. Eine neue Trainingsbahn ließe sich leicht im Inneren der Rennbahn unterbringen. Das würde dem Verein auch ein finanzielles Polster für den künftigen Betrieb verschaffen. Die Stadt überprüft zurzeit offenbar ernsthaft - als Teil einer großflächigen Planung -, auch unsere Trainingsbahn mit Wohnungsbau zu versehen.

Es geht dabei um ein Wohngebiet für 30 000 Menschen. Weitere 6000 kämen dazu, falls der Pferdesport wegzieht. Ab und an ploppt ja die Idee auf, aus Trab-, Galopp- und Olympia-Reitanlage ein gemeinsames Pferdesportzentrum zu machen, etwa in Fröttmaning. Stadtbaurätin Elisabeth Merk tendiert allerdings eher dazu, den Pferdesport hier zu belassen.

Dressur-, Spring- und Rennsport eignen sich nur bedingt dazu, sich eine Fläche zu teilen, es sei denn, diese Fläche wäre so groß, dass man beide Bereiche abtrennen kann, das gilt für Tribünen wie für die Unterbringung der Pferde. Wenn das möglich wäre, wenn man aus dem Vollen schöpfen könnte, wäre es ein grandioser Wurf. Aber bei den bestehenden Verhältnissen? Natürlich grenzt die Reitsportanlage ohnehin an unsere Bahn, weil das Gelände früher dem MRV gehört hat. Auch Daglfing ist nah.

Andererseits haben Sie hier ein parkähnliches Gelände mit altem Baumbestand, ideal, um auch Familien anzulocken. Das hätten sie nach einem Umzug nicht mehr.

Nein, die Galopprennbahn zu verlegen, wäre ein Unding. Sie ist über hundert Jahre zur heutigen Qualität gebracht worden, indem sie ständig gepflegt wurde wie der Rasen in Wimbledon. Aber schon in meiner Frühzeit als Präsident gab es Gespräche, ob wir nicht die Trabrennbahn in das Rund der Galopprennbahn legen könnten, auf Gras oder auf festem Untergrund. Dann hätten Besucher die Möglichkeit, beides zu beobachten, sogar am gleichen Tag.

Zumal die Eigentumsverhältnisse an der Trabrennbahn Daglfing ohnehin nicht ganz klar sind. Allerdings ist vom Baubeginn des neuen Wohngebietes frühestens 2024 die Rede. Sie haben nicht ewig Zeit.

Ich halte auch 2024 für ehrgeizig. Wir werden weiter auf der Suche nach liquiden Mitteln bleiben müssen, denn wir können unsere jetzige Situation schon nicht mehr ertragen. Diese fürchterlichen, überdimensionierten Stallungen müssen dringend abgerissen und neu gebaut werden, deutlich bescheidener, aber dafür pferdegerecht. Sobald erkennbar ist, dass die Stadt die Trainingsbahn wirklich überplanen wird, könnten wir eine Ausschreibung machen.

Sie sind davon überzeugt, dass Pferderennsport an sich auch heute noch kostendeckend veranstaltet werden kann?

Natürlich, ja, das ist gar keine Frage.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: