Fußball:Richtige Baustelle

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Serge Yohoua hat Pipinsried an die Spitze der Bayernliga geschossen. Nach zwei Schicksalsschlägen hat der Deutsch-Ivorer endlich seinen Platz im Setzkasten gefunden

Von Christoph Leischwitz, Pipinsried

Man könnte es einfach bei dieser Geschichte belassen: Konrad Höß, der alte Fuchs, hat wieder einmal geschickt ein paar Strippen gezogen. Der Präsident und sein Trainer haben einen guten Kader zusammengestellt, deshalb steht der FC Pipinsried an der Spitze der Bayernliga Süd. Tatsächlich gäbe es ohne Höß in Pipinsried wohl keine Fußballspiele, zu denen mehr Menschen kommen, als das Dorf Einwohner hat (562). Der FC ist sein Lebenswerk.

Eine Spitzenmannschaft, die nicht von Jogi Löw trainiert wird, braucht freilich auch einen Torjäger. Das ist seit August vergangenen Jahres Serge Yohoua. Er hat eine ohnehin gute Mannschaft noch besser gemacht. Am vergangenen Samstag, beim VfB Eichstätt, schoss Yohoua das 1:0, die beiden anderen Tore zum 3:0-Sieg legte er auf. Für ihn war es ein wichtiges Spiel. Der 25-Jährige ist in der Nähe von Eichstätt aufgewachsen, außerdem hatte er vor dieser Partie eine kurze Torflaute. Jetzt steht er bei elf Treffern. Wobei man seinen Wert für das Team nicht allein an Toren messen kann. "Von seiner Anlage her ist er der beste Spieler, den ich kenne", sagt Spielertrainer Tobias Strobl, der als Profi mit dem FC Ingolstadt einiges erlebt hat. "Er ist athletisch wie kein anderer, er hat eine Sprungkraft wie kein anderer. Und er macht die Bälle fest", schwärmt Strobl.

Ingolstadt, Rot-Weiß Erfurt und Viktoria Köln waren Yohouas vorherige Stationen. Im kleinen Pipinsrieder Stadion wirkt der Deutsch-Ivorer auf eigentümliche Weise überdimensioniert. Auf der einen Seite die steil ansteigende Haupttribüne, auf der anderen Seite das steil ansteigende Maisfeld, dazwischen der Angreifer mit den breiten Schultern. Wenn er mit dem Ball am Fuß seine Gegner überläuft und mit gefühlt 500 km/h aufs Tor schießt, fragt man sich, was dieser Spieler eigentlich in diesem Setzkasten im Dachauer Hinterland zu finden glaubt, wo nie Fernsehkameras stehen, dafür ein Kiosk, an dem es Eis am Stiel und Fischsemmeln gibt. Warum spielt Serge Yohoua in Pipinsried?

Hier endet die Erfolgsgeschichte.

Yohoua sitzt oben am Hang im Vereinsheim des FC. Er ist erst 25, aber er hat viel zu erzählen. "Ich habe das mit dem Fußball ja noch nicht aufgegeben", sagt er und lächelt. "Aber mein Vater hat immer gesagt: Wenn du eine Baustelle anfängst, bring sie erst zu Ende." Und er sei ja sozusagen auf einer Baustelle hier. Der Abschluss wäre der Aufstieg in die Regionalliga.

Die Ratschläge seines Vaters sind Serge Yohoua immer wichtig gewesen. Als er elf war, verlor er seine Mutter, der Vater war von da an seine wichtigste Bezugsperson. Als er noch beim FC Ingolstadt spielte, stand sein Vater immer neben dem Platz. 2011, mit 22 Jahren, wechselt Yohoua zum Drittligisten Erfurt, die Profi-Karriere scheint ihren Lauf zu nehmen. Dann stirbt sein Vater, unter mysteriösen Umständen, daheim an der Elfenbeinküste. "Das Problem ist: Ich wollte immer jemanden stolz machen", erzählt Yohoua. Und plötzlich war der Vater nicht mehr da. "Dann machst du alles für dich, und das ist etwas ganz anderes." Serge Yohoua war allein.

Auf dem Platz wird er überdurchschnittlich oft gefoult. Er ist ja auch oft nicht anders zu stoppen, zumindest in der Bayernliga. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Er wollte nie als feige gelten. "Ich ziehe nicht zurück. Das ist wahrscheinlich auch mein Fehler." In Erfurt zog er sich während der ersten Saisonvorbereitung einen Bänderriss zu, bei einem "Pups-Testspiel", wie er sagt. Die Chance war dahin. "Du kannst so etwas besser wegstecken, wenn du eine Familie im Hintergrund hast", sagt sein Freund und Trainer Tobias Strobl.

"Du kannst so etwas besser wegstecken, wenn du eine Familie im Hintergrund hast": Mit elf Jahren verliert Serge Yohoua seine Mutter. (Foto: Toni Heigl)

Sie empfahlen ihm, es eine Klasse tiefer zu probieren. Yohoua ging zum Regionalligisten Viktoria Köln. Dort sagten sie ihm: Du bist unsere Nummer eins. Dann holten sie kurz vor der Saison einen weiteren Stürmer. Sein Freund Strobl, nicht der Trainer Strobl, sagt dazu: "Er ist ein sehr harmonischer Mensch. Konkurrenzkampf, das kennt er nicht so und das will er nicht so." Zwei Spiele in der dritten Liga, zehn in der Regionalliga, in zwei Jahren - Yohoua konnte nie zeigen, wozu er in der Lage ist. Aber er zieht einfach nicht zurück. Bei einer Partie in Oberhausen will er mit einem wütenden gegnerischen Fan sprechen. Aber er wird beleidigt und bespuckt.

Dem Bänderriss folgen eine Blinddarm-OP und ein Syndesmoseriss. Verletzungen sind schlimm, doch sie sind manchmal nur die Fassade für seelische Brüche. "Ich spreche nicht gern darüber. Wenn mich Leute fragen, warum es nicht geklappt hat, dann sage ich, wegen der Verletzungen. Das andere erwähne ich gar nicht. Viele würden sagen, das ist eine Ausrede." Aber Yohoua ist überzeugt: Egal ob Bundesliga oder C-Klasse - hinter einem Formtief steckt meist mehr als eine sportliche Krise. Deshalb ist es keine Floskel, wenn er sagt, er fühle sich in Pipinsried wohl. "Wir alle tun das", deshalb stehe die Mannschaft ganz oben. Es gibt in Pipinsried viele Spieler, die höherklassig spielen könnten. Hierher gekommen sind sie, auch das ist kein Geheimnis, wegen diverser "Schicksalsschläge", wie Strobl es nennt. So etwas kann eine Mannschaft zusammenschweißen.

Vor kurzem hat Yohoua einen Transfer zu einem Klub in der Nähe von Ingolstadt abgelehnt. Er hätte dort einen festen Job bekommen. Er wohnt in Ingolstadt, im Moment jobbt er dort als Chauffeur. Wenn ihn alte Bekannte auf der Straße treffen und er ihnen erzählt, wo er jetzt spielt, lachen die meisten, erzählt Yohoua. Dann sagt er: "Wir werden schon dafür sorgen, dass jeder diesen Namen bald kennen wird." Er ist nach Pipinsried gekommen, weil ihn ein Freund geholt hat. Und Freunde lässt man nicht allein mit einer Baustelle zurück.

© SZ vom 15.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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