Fußball-Regionalliga:Innenverteidiger mit der Nummer 10

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Maximilian Nicu hat in der Bundesliga alles erlebt. Bis er in Haching eine neue interessante Perspektive kennenlernte

Von Stefan Galler, Unterhaching

Er allein hätte es beinahe noch vermasselt. Gleich zu Beginn des letzten Hinrundenspiels rutschte Maximilian Nicu aus. Er fand keinen Halt und krabbelte hilflos über den Rasen, während zwei Gegenspieler aufs Tor zuliefen. Doch die SpVgg Unterhaching hatte Glück am vergangenen Samstag: Moritz Heinrich zögerte zu lange mit dem Abschluss. Bis zum Ende dieses Derbys gegen die U21 der Münchner Löwen bleib es beim 0:0.

Damit hat die SpVgg Unterhaching etwas Einmaliges geschafft: Erstmals seit Gründung der Fußball-Regionalliga Bayern im Jahr 2012 kam ein Team ohne Niederlage durch die Hinrunde. 50 Treffer erzielte Haching in 17 Spielen, und auch die Abwehr beeindruckte: Sie ließ nur neun Gegentore zu, halb so viele wie der FC Augsburg, der die zweitbeste Defensive aufbot. Und das ist auch mit einem Namen verbunden, den dort vorher niemand auf der Rechnung hatte: dem von Maximilian Nicu, 33, ehemaliger Profi und Ältester im Kader.

Nicu hat in seiner Karriere auf vielen Positionen gespielt. Im Angriff, im Mittelfeld, auf Außen. Seit Kapitän Josef Welzmüller wegen eines Leistenbruchs und Schambeinentzündung fehlt, ist der Mann mit der Nummer 10 in der Innenverteidigung gesetzt. Natürlich spiele er dort, wo er aufgestellt sei, sagt der 70-malige Bundesligaspieler, der in Prien am Chiemsee zur Welt kam. Mit einer Ausnahme: "Ich habe dem Trainer schon gesagt, dass ich als Torwart nicht zur Verfügung stehe." Grinsen.

Maximilian Nicu als Regionalliga-Spitzenreiter mit Unterhaching. (Foto: Claus Schunk)

Nicu hat seine neue Aufgabe professionell angepackt, als ihn Claus Schromm auf der vakanten Position einsetzte. "Du lernst als Fußballer nie aus, auch nicht mit bald 34", stellt er fest: "Es ist interessant, wie viel mehr man von da hinten sieht." Er nutzt diesen Überblick, um den jungen Mitspielern Tipps zu geben. Er ist angesehen im Team, entsprechend wohl fühlt er sich: "Die Jungs sind alle schwer in Ordnung", sagt er. Es zahle sich aus, dass Klubchef Manfred Schwabl bei der Kaderzusammenstellung "großen Wert auf Charakter legt".

Nicus Vertrag gilt noch für anderthalb Jahre, so lange will er spielen. Wobei er einen Aufstieg in die dritte Liga mit gemischten Gefühlen sieht: "Für meine Karriere habe ich das eigentlich nicht mehr nötig. Entscheidend wird für mich sein, wie sehr ich gebraucht werde." Man merkt Nicu an, dass er in seiner Laufbahn viele Enttäuschungen erlebt hat. Illusionen gibt er sich jedenfalls nicht hin, er beurteilt Situationen realistisch, auch die in Unterhaching. Nachdem in Dominik Stahl und Stephan Hain vor Saisonbeginn zwei Profis zum Kader stießen, fand er sich zunächst auf der Reservebank wieder. "Ich musste mich in meiner Karriere immer beweisen", sagt er.

Dass er mit Schromm gut auskommt, ist wichtig für Nicu. Seine Biografie ist voll unglücklicher Beziehungen zu Trainern. Beispiel 1860: Unter Reiner Maurer lief es nach seiner Ankunft im Januar 2012 hervorragend, er hatte einen Stammplatz, das Team schrammte knapp am Aufstieg vorbei. "Wir hatten eine überragende Truppe mit Aigner, Volland, Lauth, Bierofka und Kiraly", schwärmt er. Doch in der folgenden Saison lief es nicht mehr. "Man hat einen riesigen Druck auf Mannschaft und Trainer ausgeübt und damit alles kaputt gemacht. Irgendwie typisch Sechzig", findet Nicu. Maurer musste gehen, Alexander Schmidt übernahm - und Nicu flog aus der Mannschaft. "In meiner Karriere habe ich zehn Trainerwechsel erlebt, neun davon waren für mich katastrophal."

Beispiel Hertha BSC: Dort hatte Nicu 2008 die große Bühne Bundesliga erklommen, Trainer Lucien Favre setzte auf ihn: "Er hat mir in einem Jahr so viel beigebracht wie andere in zehn Jahren." Der Schweizer ist mittlerweile mit OGC Nizza Tabellenführer der französischen Liga, hat es dort mit Mario Balotelli zu tun, der als schwer erziehbar gilt und häufig durch Eskapaden auffällt. "Ich bin mir sicher, dass Favre ihn bändigt", sagt Nicu. "Er kann Spieler begeistern und lässt ihnen auch im Training mal die lange Leine." In Berlin habe das mit dem Ukrainer Andrij Woronin und dem Serben Marko Pantelic geklappt. Als Favres Erfolg bei der Hertha ausblieb, kam Friedhelm Funkel. "Für einige war das gut, für mich leider nicht", sagt Nicu.

Beim SC Freiburg war Nicu unter Robin Dutt eine feste Größe, unter Marcus Sorg "ging alles in die Brüche": Ausgerechnet bei einem Pokalspiel in Unterhaching, das Freiburg 2:3 verlor, war der Trainer in der Pause auf ihn losgegangen: "So hat mich in meinem Leben noch kein Mensch angeschrien", erzählt er. Einige Wochen später setzte es bei den Bayern eine 0:7-Klatsche, Nicu hatte es als rechter Verteidiger mit Franck Ribéry und Philipp Lahm zu tun. Trotz guter Zweikampfwerte habe ihn der Trainer zum Sündenbock für den 0:3-Pausenrückstand gemacht und zur Halbzeit rausgenommen. "Seit diesem Spiel habe ich in seinen Planungen keine Rolle mehr gespielt." Nicu ist durchaus selbstkritisch: "Ich habe damals ebenfalls Fehler gemacht", sagt er. "Vielleicht war es zum Beispiel nicht so clever, mit drei verschiedenen Autos zum Training zu kommen."

Auch international kam Nicu zum Einsatz. Dreimal lief er im Nationaltrikot auf, für Rumänien, das Land, aus dem seine Eltern stammen. Höhepunkt: ein 1:1 im WM-Qualifikationsspiel im Stade de France. "Gegen Leute wie Anelka oder Henry anzutreten, war der Hammer." Oliver Bierhoff hatte ihn zuvor auch als Kandidaten für die deutsche Auswahl genannt, doch auch da kam in Nicu der Realist durch: "In Rumänien hatte ich mir mehr ausgerechnet." Er sei dort bis heute der einzige eingebürgerte Nationalspieler, sagt er nicht ohne Stolz.

Mit der Berliner Hertha spielte Maximilian Nicu im Uefa Cup gegen Benfica. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Nach gescheiterten Verhandlungen mit Bielefeld verschlug es Nicu ins rumänische Cluj ("Die Leute haben mich geliebt, ich hatte eine ungeheure Medienpräsenz."), später zum zyprischen Zweitligisten Aris Limassol. "Der größte Fehler meiner Laufbahn", sagt er heute, bis auf ein, zwei Kollegen habe das Team nicht mal Landesliganiveau gehabt. Training war oft morgens um 6.30 Uhr. "Dann liegst du um 10 Uhr mit einem Bier am Strand. Das geht dir spätestens nach drei Wochen auf die Nerven." Nicu kündigte, zum Abschied drückte ihm der Vereinspräsident ein Bündel Geldscheine in die Hand - sein letztes Gehalt. "Zwei Tage später war ich in Deutschland."

Nicu hätte noch viele Anekdoten parat, "das reicht für ein Buch", sagt er. Aber noch ist das Kapitel Unterhaching nicht zu Ende erzählt. Es soll ein besonders schönes werden. Am Samstag gegen 1860 Rosenheim beginnt die Rückrunde.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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