DEL:Bergeweise Knabberzeug

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Nach dem Aus gegen Wolfsburg steht der EHC München vor der Aufarbeitung einer missratenen Saison - und vor wichtigen Personalentscheidungen

Von Christian Bernhard undJohannes Schnitzler

Wie es Brauch ist unter Eishockeyspielern, hat Yannic Seidenberg, Nationalstürmer in Diensten des EHC München, zum Playoff-Start seinen Rasierer zur Seite gelegt, und zwar "in die hinterste Ecke". Der Plan war ja, ins Finale vorzustoßen. Acht Tage nach Beginn der Viertelfinalserien hat Seidenbergs Gesichtsbehaarung bereits respektables Volumen erreicht. Allerdings darf er seinen Bart früher als erwartet jetzt schon wieder abnehmen. Der EHC ist nach einem 0:4 in der Best-of-seven-Serie gegen Wolfsburg ausgeschieden. Eine Playoff-Bilanz.

Der Coach

Irgendwann am Dienstag, als Wolfsburg kurz davor war, das 4:1 zu machen, wirkte Don Jackson tiefenentspannt. Beim Gespräch mit seinem Assistenten Matt McIlvane schien dem frisch rasierten Cheftrainer - Jackson hält anscheinend nicht so viel vom Playoff-Kult - sogar ein Lächeln über das Gesicht zu huschen. Anzeichen von Resignation? Oder wollte er seinem Team, für das er sich zuvor mehrfach vehement bei den Schiedsrichtern eingesetzt hatte, Ruhe vermitteln? Jackson, fünf Mal DEL-Meister, der mit den Eisbären Berlin 14 von 15 Playoff-Serien gewann, hatte sich nach Spiel drei sogar selbst in Frage gestellt, als er rätselte, ob er es sei, der "die Jungs nervös macht". Zuvor hatte er seine Reihen wild durcheinandergewürfelt. In den Schlussphasen der letzten drei Partien versuchte er es mit seinem Lieblings-Instrument: Torhüter runter, sechster Feldspieler rauf. Das führte zweimal zu Toren, reichte in beiden Fällen aber nicht mehr zum Ausgleich. Über Wolfsburg sagte er: "Sie hatten einen guten Plan."

Der Kader

Die Münchner Verteidiger gingen selten so konsequent und robust zur Sache wie etwa Wolfsburgs Jeff Likens. Daryl Boyle, der in der Vorrunde mit präzisen Pässen das Münchner Aufbau- und Überzahlspiel lenkte, fiel in den Playoffs durch Körperlosigkeit und Schnelligkeitsdefizite auf. Richie Regehr, Scharfschütze von der blauen Linie, nahm dem bis dahin erstmals couragiert auftretenden EHC mit seinem völlig unnötigen Kniecheck im vierten Spiel das Momentum. Es war Regehrs größter, aber nicht sein einziger Schnitzer in der Serie. Schon nach Spiel drei hatte er von Jackson einen Rüffel für einige schlampige Scheibenverluste kassiert. Der EHC ließ das körperliche Element vermissen, anders gesagt: Nie wurden Spielertypen wie die verletzten Mads Christensen, Uli Maurer und Felix Petermann mehr vermisst. "Sie schlagen uns mit unseren eigenen Waffen", sagte Petermann vor dem vierten und letzten Spiel. Die einzigen Lichtblicke neben Daniel Sparre waren Dominik Kahun, 19, und Tim Bender, 20. Jackson hatte vor dem Playoff-Start betont, beide spielten "eine große Rolle" im Team. Auf sie kann der EHC bauen.

Die Einstellung

Nach der sportlichen warten auf die Spieler weitere Entscheidungen: Es geht um ihre persönliche Zukunft. Seidenberg gab zu: "Die, die da waren, inklusive mir, hätten bessere Leistungen bringen müssen." Sparre sagte, das Team könne stolz darauf sein, wie es in Spiel vier gespielt habe, fügte aber auch an: "Das kann ich nicht für die ganze Serie sagen. Wir haben von uns viel mehr erwartet." Laut Sparre wird es "ein paar Tage, für einige Jungs vielleicht sogar ein paar Wochen" dauern, das Aus zu verkraften. Florian Kettemer findet: "Wir sollten nicht zu lange dran knabbern."

Die Transferpolitik

In den Playoffs brauche es Spieler, die das Tor "crashen" - sagte Jon DiSalvatore. Die einschlägigen Erfahrungen, die der Stürmer in der American Hockey League gemacht hat, konnte der bald 34-Jährige freilich nicht umsetzen. "Arbeit schlägt Talent, wenn Talent nicht hart genug arbeitet", lautet der Leitspruch von Mannheims Coach Geoff Ward, der mit den Adlern 3:1 gegen Nürnberg führt. Talent hatte der EHC in dieser Saison mehr als genug im Kader, trotz vieler Verletzungen betonte Don Jackson: "Wir haben genug Spieler, um zu gewinnen." Spieler wie Wolfsburgs Stürmer Christoph Höhenleitner, der nicht zu den talentiertesten der Liga gehört, aber als Aushilfsverteidiger reüssierte, hatte er zu wenige. Typen wie Tyler Haskins, Sebastian Furchner und Matt Dzieduszycki, die konsequent vors Tor zogen. Ausnahme: Daniel Sparre. Der 30-jährige Deutschkanadier, der schwer in die Saison fand, punktete im Viertelfinale nicht nur fünfmal, sondern ging auch dahin, wo es sprichwörtlich weh tut. Welche Rolle Christian Winkler, der den sonoren Titel "Business Manager Sport" trägt, bei der Kaderzusammenstellung gespielt hat, ist im unergründlichen Red-Bull-Kosmos kaum seriös zu beurteilen. Torhüter Florian Hardy soll auf seine Empfehlung geholt worden sein - es war der mit Abstand überraschendste Transfer vor der Saison. In der französischen Nationalmannschaft gilt der 30-Jährige, der zum ersten Mal in seiner Profikarriere außerhalb der Heimat spielte, als "big game goalie", als Mann für die besonderen Aufgaben. Gegen Wolfsburg machte er zwar keine gravierenden Fehler. Anders als sein Gegenüber Felix Brückmann lieferte er dem Team aber auch keine Impulse. Nicht nur die Personalie Hardy dürfte in den nächsten Tagen diskutabel sein.

© SZ vom 19.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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