Wenn Fußballer wichtige Tore schießen, rennen sie häufig los. Manch einer sprintet auf seine Mitspieler zu und verschwindet in einem Knäuel jubelnder Fußballer. Andere laufen zu den Fans in die Kurve, neuerdings posieren sie sogar für Selfies. Manchmal rennt der Torschütze auch quer über den Platz zur Trainerbank, um sich mit seinem Chef zu freuen. Eher selten ist dagegen, dass der Trainer nach einem Tor quer über den Platz rennt, um sich dort mit seinen Spielern zu freuen. So machte es Marco Stier am Samstag, als seine Mannschaft in der Nachspielzeit den Treffer zum 2:1 (0:0)-Erfolg gegen den TSV 1860 München II erzielte.
Stier, der Trainer des BCF Wolfratshausen, hatte zuvor lange gelitten an der Seitenlinie, im Grunde leidet er ja schon seit Wochen seinem Abschied vom BCF am Saisonende entgegen, weil der Verein bei jetzt nur noch drei ausstehenden Spielen wieder einmal akut vom Abstieg aus der Bayernliga Süd bedroht ist. Und nun war kurz vor Abpfiff dieser vermeintlich so wichtige Sieg geglückt. Den Trainer zog es mit all seiner Euphorie zu den Spielern.
Wer dieser Tage Auskunft über die Gedanken und Gefühle des Trainers Marco Stier haben möchte, muss Menschen fragen, die mit ihm zusammenarbeiten. Nach dem Sieg gegen 1860 München sprach Stier mit dem prominentesten BCF-Fan Edmund Stoiber und auch mit Philipp Bönig, der im Sommer seine Nachfolge antreten wird, nicht aber mit Journalisten. Schon seit Monaten will Stier sich nicht mehr öffentlich äußern. Michael Rödl, Stiers spielender Co-Trainer sagte nach dem Spiel: "Marco will sich mit dem Klassenerhalt verabschieden. Er will mit aller Macht, dass wir das schaffen."
"Wenn wir so spielen wie heute, ist noch alles möglich", sagt BCF-Co-Trainer Michael Rödl
Rödl nahm nach dem Spiel im Vereinsheim dort Platz, wo für gewöhnlich der Trainer des BCF Wolfratshausen sitzt, Stier aber nicht mehr sitzen mag. Der Stuhl des Gästetrainers, der an diesem Wochenende für Christian Wörns reserviert war, blieb gleich ganz leer. Rödl teilte also zunächst allein seine Gedanken und war damit fast fertig, als Josef Gutsmiedl den Raum betrat, einer der Co-Trainer der Münchner Löwen. Gutsmiedl entschuldigte Wörns, der sich gleich nach Schlusspfiff zu einem Spiel der U19 aufgemacht hatte, die er ebenfalls trainiert, und Gutsmiedl entschuldigte sich selbst für das Zuspätkommen. Dann sagte er: "Wir haben es verpasst, uns vom Tabellenkeller abzusetzen. Ein Big Point für Wolfratshausen."
Schon zuvor hatte Rödl mit einem Blick auf den Fernseher im Vereinsheim, der nach Spielen die Ergebnisse der anderen Partien im Videotext zeigt, festgestellt, dass der direkte Konkurrent Landsberg ebenfalls gewonnen hatte. Weil später auch noch Traunstein und Kirchanschöring gewannen, kam Wolfratshausen in der Tabelle trotz des vermeintlichen Big Points nicht voran. Bei einer Niederlage gegen 1860 München wäre der BCF wegen der anderen Ergebnisse gar auf einen direkten Abstiegsplatz gerutscht. So bleibt Wolfratshausen 16., drei Punkte vor den direkten Abstiegsrängen und weiter mit der Chance, den Ligaverbleib sogar direkt zu schaffen. Rödl sagte: "Ich rechne mit der Relegation. Aber wenn wir so spielen wie heute, ist noch alles möglich."
Wolfratshausen überließ den Münchnern mehrheitlich den Ballbesitz, erspielte sich aber die besseren Chancen. Zahlreiche gute Gelegenheiten vergab der BCF. Erst spät gelang Marco Tomicic der Führungstreffer, als er von der rechten Seite in den Strafraum zog und mit links einschoss (73.). Mohamad Awata erzielte kurz darauf den zwischenzeitlichen Ausgleich (79.). Den Siegtreffer schoss Adam Puta am Ende einer Passkombination über mehrere Stationen in der Nachspielzeit (90.+1). Rödl sagte: "Ich muss der Mannschaft ein großes Lob machen, das war eine Willensleistung. Jetzt gehen wir auch die letzten drei Spiele so an, als wären sie Endspiele."