Bayerische Tennismeisterschaften:Die Über-Qualifikantin

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Mit Köpfchen und Plan B in der Hosentasche: Die 16-jährige Schweizerin Nicole Gadient steht im Viertelfinale

Von Matthias Schmid, Ismaning

Dass die Hitze auch Nicole Gadient zu schaffen machte, konnte man erkennen, als sie bei einem Seitenwechsel ihr Handtuch vergaß. Sie war schon auf der Bank angekommen, als sie feststellte, dass es noch auf dem Abziehbesen lag, wo sie es zwei Spiele davor platziert hatte. Der Schweiß rann ihr in Bächen über das Gesicht. Also ging sie zurück, um das Handtuch zu holen. Dabei wollte sie eigentlich jeden Meter sparen an diesem Tag, an dem die Temperatur in Ismaning weit über 30 Grad kletterte. Vor allem auf dem Tennisplatz, wo Gadient am Freitag ihren Dienst verrichten musste. "Chum jetzt", rief sich die Schweizerin immer wieder zu. Die Partie gegen die Qualifikantin Emily Richter hatte sich die 16-Jährige aus Adliswil bei Zürich einfacher vorgestellt.

Gadient hatte am Vortag bei den bayerischen Tennismeisterschaften Aufsehen erregt, als sie die an Position vier gesetzte Sophia Mejerovits vom MTTC Iphitos 6:2, 6:0 besiegte. Wie Richter musste sich auch Gadient erst durch die Qualifikation einen Platz im Hauptfeld erspielen. Es kommt selten vor, dass eine Qualifikantin eine der Turnierfavoritinnen so überlegen schlägt, wie Gadient es getan hat. Mejerovits, eine der besten deutschen Spielerinnen ihres Jahrgangs, wusste aber gleich, dass ihr da keine gewöhnliche Qualifikantin gegenüberstand, sondern eine, der kraft ihrer Spielstärke eigentlich ein Platz im Hauptfeld hätte zustehen müssen. Die beiden waren sich vorher schon bei hochrangigen europäischen Jugendturnieren begegnet. "Das Doppel gegen sie habe ich damals aber verloren", erinnerte sich Gadient.

Duell mit Zukunft: Nicole Gadient (GW Luitpoldpark) setzte sich in der ersten Runde gegen Sophia Mejerovits (MTTC Iphitos) 6:2, 6:0 durch. (Foto: Claus Schunk)

Seit diesem Jahr spielt sie in der deutschen Regionalliga für Grün-Weiß Luitpoldpark München. Da sie als Schweizerin in keiner deutschen Rangliste geführt wird, musste sie in Ismaning erst einmal zwei zusätzliche Spiele bestreiten, ehe sie im Hauptwettbewerb gegen die ein Jahr jüngere Mejerovits antreten durfte. "Ich hätte nie und nimmer geglaubt, dass ich so klar gegen sie gewinnen würde", sagte Gadient: "Sophia spielt so schnell und flach. Aber vielleicht war es ja gut, dass ich schon im Turnier drin war."

Gegen Richter war es dann ein komplett anderes Match. Die Spielerin vom SV Lohhof spielte langsam und hoch übers Netz. Gadient brauchte einen ganzen Satz, um sich auf das unorthodoxe Tennis einzustellen. Als sie diesen 6:4 gewann, applaudierte auch ein Mann hinter dem Zaun, der ihre Partie schon die ganze Zeit über intensiv verfolgt hatte. Er hatte ihr immer wieder aufmunternde Worte zugerufen: "sehr gut gespielt" oder "mehr Spin". Der Mann war Michael Karbacher, Bruder des früheren deutschen Davis-Cup-Spielers Bernd Karbacher. Er und Gadient hatten in der Woche miteinander auf der Luitpold-Anlage trainiert. Karbacher arbeitet bei der Schlägerfirma, die auch Gadient ausstattet und in ihr Förderprogramm aufgenommen hat. "Für ihr Alter ist sie sehr reif und weiß genau, was sie will", sagt Karbacher.

Sophia Mejerovits. (Foto: Claus Schunk)

Gadient hat die Schule nach der Mittleren Reife verlassen und widmet sich nun ausschließlich dem Sport. Im Moment, fügt sie hinzu. "Denn man braucht auch einen Plan B in der Hosentasche", sagt sie. Sich nur auf Tennis zu verlassen, findet sie riskant, sie will deshalb in den nächsten Jahren ihr Abitur nachholen. Deshalb sind sie und ihre Eltern gerade auf der Suche nach einem Alternativprogramm, weil das Schweizer Schulsystem so eine Pause eigentlich nicht vorsieht. Im Tennis hat die Familie dafür schon eine Lösung gefunden. Den Schritt nach Deutschland hat Nicole Gadient bewusst gewählt. Die Schweiz ist ihr zu klein geworden, um so gefördert zu werden, dass es später für die Top 100 reicht. "In meiner Heimat kenne ich jede Gegnerin", sagt sie. Im großen Nachbarland ist sie dagegen eine Unbekannte, ein Niemand. Aber sie wird sich schnell einen Namen machen, wenn ihre Entwicklung weiter so rasant verläuft. "Sie ist ein richtiges Juwel", sagt Jochen Laaß. Der Präsident von Grün-Weiß Luitpoldpark ist glücklich, dass es ihm gelang, Gadient nach München zu holen. Und sie ist glücklich, dass sie in München einen Verein gefunden hat, "der mich so herzlich aufgenommen hat", wie sie sagt. Das hatte sie nicht unbedingt erwartet. Sie hatte sogar mit dem einen oder anderen Konflikt gerechnet. "Bei Mädchen ist das ja immer etwas komplizierter", sagt sie. Das klingt ein wenig altklug. Aber Gadient ist im Kopf schon weiter als manche ihrer männlichen Kollegen in diesem Alter. Sagt Karbacher. Das könne er auf dem Platz erkennen.

"Gegen Richter hat sie schlau gespielt", meint der Experte. Mit 6:4, 6:0 gelangte sie ins Viertel-, mit einem weiteren Erfolg gegen Jessica Regehr (Erlangen) ins Halbfinale. Weltranglistenpunkte bekommt sie dafür nicht, in Ismaning werden keine vergeben. Doch zumindest einen will sie in diesem Jahr noch gewinnen. Gadient sagt: "Ich nehme von hier viel Selbstvertrauen mit."

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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