"Alte Meister"-Serie:Der Seglermacher

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Norbert Wagner hat als Aktiver fast alles gewonnen, was es im Regattasport zu gewinnen gibt - die Krönung war die Teilnahme an den Olympischen Spielen in München. Mittlerweile ist er Trainer des Tutzinger DTYC, den er binnen zwei Jahren zum deutschen Meister geformt hat

Von Ralf Tögel, Starnberg

Das waren noch Zeiten. Vorsichtig greift Norbert Wagner in den antiken Schrank und holt eine riesige, prachtvolle, silberne Schale hervor. Der Preis für den Sieg bei der Travemünder Woche, dreimal hat er diese große Regatta gewonnen, davor steht der Adenauer-Preis, ach ja, und der Ludwig-Erhard-Preis, "ich habe so viele Wettfahrten gewonnen, mehr als 400 glaube ich". So genau weiß er das gar nicht mehr, es ist ihm nicht besonders wichtig. "Heute bekommt man solche Monster-Preise gar nicht mehr", sagt Wagner, "nur noch kleine Anstecknadeln." Er lacht, weil er natürlich weiß, dass das nicht so ganz stimmt. Es ist noch nicht lange her, da hatte er genau so einen Monsterpreis in den Händen. Auf einem Foto an der Wand ist Wagner zu sehen, wie er mit Michael Tarabocchia eine noch größere Schale hält, eine Meisterschale, die es noch nicht besonders lange zu gewinnen gibt.

Seit drei Jahren hat der deutsche Leistungssegelsport einen prestigeträchtigen Klubwettbewerb, die Segel-Bundesliga. Das bei anderen Sportarten übliche Konzept wurde einfach übertragen, um Segeln für Zuschauer interessanter zu machen, mit der selben simplen Idee: 18 Teams aus 18 Vereinen, mehrere Spieltage, am Ende ein deutscher Meister. Beim Debüt 2014 wurde der Deutsche Touring Yacht Club (DTYC) Zweiter, ein Jahr später folgte der Triumph. Der Trainer: Norbert Wagner.

Segler Norbert Wagner ist als Steuermann im Boot. (Foto: Arlet Ulfers)

Selbst segelt der 80-Jährige keine Regatten mehr, als Trainer ist er indes nicht minder erfolgreich. Und er schickt das jüngste Team der Liga an den Start, das ist ihm wichtig, Jugendarbeit ist sein Steckenpferd. Vor allem die Konkurrenz aus Norddeutschland hat bessere Voraussetzungen, mehr Geld. In einem kostenintensiven Sport wie dem Segeln ein sehr wichtiger Faktor. Die Tutzinger gleichen das mit ihrer intensiven Nachwuchsarbeit aus. Manchmal sagen die Konkurrenten, so erzählt Wagner, "wir sind der FC Bayern des Segelsports". Doch der Vergleich hinkt, der Norddeutsche Regatta Verein hat sechs Boote der Bundesliga-Klasse J70, die von einer vierköpfigen Crew gesegelt werden, kann aus einem Reservoir von 35 Seglern schöpfen. Der Berliner Klub Seglerhaus am Wannsee hat immerhin vier Boote, "wir haben eines und jetzt 17 Leute". Aber: "Die anderen haben vielleicht bessere Voraussetzungen, aber wir sind Kämpfertypen." Wagner ist ein zielstrebiger Mensch, nur keine halben Sachen. Als ihn Teammanager Tarabocchia fragte, ob er ihn als Trainer unterstützen wolle, war für Wagner eines klar: "Voraussetzung war ein Jugend- und Juniorenkonzept", er wollte keine erfahrenen Segler coachen, sondern Talente "an diese Art des Regattasports heranführen und an den Klub binden."

Tarabocchia kennt Wagners Qualitäten, er nennt ihn "Kampfsau", im besten Sinne. "Er will immer gewinnen, hat einen unglaublichen Ehrgeiz und ist akribisch im Detail." Und er hat einen sehr guten Draht zu seinen Athleten: "Er ist total begeistert von den jungen Seglern, will ihnen helfen und sie unterstützen." Wobei Wagner natürlich sein immenser Erfahrungsschatz zugute kommt. Manchmal, so erzählt Julian Stückl, Steuermann und Co-Kapitän der Bundesliga-Mannschaft, sitzen die Jungen da und lauschen Wagners Geschichten. "Er kann viele interessante Sachen erzählen." Team-Kapitän Patrick Follmann, selbst Olympia-Teilnehmer, schätzt Wagners "unglaubliches Engagement, er investiert wahnsinnig viel Zeit". Und der Altersunterschied? Die meisten im Team könnten seine Enkel sein: Er wirke ohnehin viel jünger, sagt Follmann, "mental ist er noch total fit". In der Tat, wenn man sich mit Norbert Wagner über seinen Werdegang unterhält, fliegen einem die Daten aus der Vergangenheit mit großer Präzision nur so um die Ohren.

Norbert Wagner machte beim Einmarsch der deutschen Olympia-Mannschaft in München 1972 eine gute Figur. (Foto: privat/oh)

Das Segeln wurde ihm praktisch in die Koje gelegt, "ich glaube, mein Vater hat uns da etwas im Blut mitgegeben". Dass er in Kiel geboren wurde, kann er nicht verbergen, Wagner spricht auch nach vielen Jahren in Bayern einen feinen Holsteiner Dialekt. Vater Johannes war 1939 bereits Weltmeister, hatte sich damit für Olympia 1940 qualifiziert, doch dann kam der Krieg, verhinderte die Spiele und änderte alles. Nach dem Krieg baute er seinen Handwerksbetrieb wieder auf, hielt sich über Wasser, indem er Nebelfässer zu Kanonenöfen umbaute und diese an die Engländer verkaufte, die Kiel besetzt hatten. Von den Besatzern bekam er mit einem listigen Tauschgeschäft auch seine Yacht zurück, die er nie aus den Augen verloren hatte. Diese verkaufte er und erstand ein kleines Boot für seine Jungs, damit ging alles los: "Wir konnten zwar noch nicht segeln, aber wir hatten ein Boot", erinnert sich Wagner. Er habe sofort kapiert, dass man mit so einem Ding schnell vorankommt, "wenn man es richtig macht". Norbert Wagner hatte zwei jüngere Brüder, vor allem der zwei Jahre jüngere Eckart, der 2012 verstarb, teilte seine Leidenschaft fürs Segeln. Und die beiden hatten den bestmöglichen Einstieg: "Mein Vater sagte, dass er uns coachen wird, ich glaube, wir hatten damals den einzigen und ersten Segeltrainer Deutschlands."

Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten, der Sport blühte in Deutschland wieder auf. Der Seglerverband wurde gegründet, die Yachtklubs wuchsen, große Regatten wie die Kieler Woche wurden veranstaltet. Und Norbert Wagner wurde besser und besser. Irgendwann musste der Vater feststellen, dass er den Söhnen nichts mehr beibringen kann. Mit 17 war Norbert Wagner bester Jugendlicher der Kieler Woche, der größten Regatta, es reihte sich Erfolg an Erfolg - nun im Schrank in Feldafing-Garatshausen zu sehen. "Aber bald wollte ich mehr", sagt er, Ziel war Olympia. 1956 schaffte er die Qualifikation, doch er durfte nicht mit nach Melbourne. "Ich hatte alle vier Ausscheidungen überlegen gewonnen", erinnert sich Wagner, doch weil er der mit Abstand Jüngste war, entschied man sich gegen ihn. Der Frust saß tief, Wagner wandte sich ab vom Verband, segelte nur noch lokale Regatten. Und konzentrierte sich auf den Beruf, wurde schon in jungen Jahren kaufmännischer Leiter einer großen Hamburger Schiffswerft.

Norbert Wagner hat einen üppig gefüllten Trophäenschrank. (Foto: Arlet Ulfers)

Bis ihn Bruder Eckart, seines Zeichens Weltmeister und fünfmal für Olympia qualifiziert, an den Starnberger See lockte. Eckart hatte in Feldafing eine Segelmacherei aufgebaut, 1959 folgte Norbert seinem Ruf, die Brüder entwickelten den Betrieb zu einem der größten in Europa. Überall starteten Olympioniken mit ihrem Material, noch heute kommt Norbert Wagner sein enormes Wissen um die Segel zugute. Und er reaktivierte seine Olympia-Ambitionen, 1972 dann der Triumph: "Mein größter Erfolg", sagt Wagner heute, "als ich 1972 die Ausscheidungsregatta in Kiel gewonnen habe und für Deutschland bei den Spielen im eigenen Land gesegelt bin."

Eine weitere Sternstunde in seiner Karriere war, als er seine Nichte Kristin, Tochter seines Bruders Eckart, als Trainer zu Olympia 2004 nach Athen brachte. Beleg für seine Ausbilderqualitäten, doch danach "war im Grunde meine Seglertätigkeit zu Ende". Hin und wieder eine Regatta mit dem kleinen Soling-Kielboot, oft segelte er mit seiner Frau Eva durchs Mittelmeer. Bis 2014 ging das gut, sagt Wagner, "bis mein Freund und Partner Michael Tarabocchia zu mir kam. Das Ende ist bekannt: "Ich bin rückfällig geworden."

Bisher erschienen: Gerd Coldewey (25.8.), Norbert Demmel (19.8.), Gerd Biendl (18.8.), Carlo Thränhardt (9.8.), Rudi Vogt (6.8.), Michael Hahn (4.8.), Monika Schäfer (30.7.), Kurt Szilier (28.7.), Andrea Eisenhut (23.7.)

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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