Special Olympics in München:Zusammen gegeneinander

Lesezeit: 4 min

Wenn Sport den Selbstwert steigert - und die jungen Menschen rausbringt aus dem Trott im Heim: Die Special Olympics in München führen mehr als jedes andere Ereignis den Sport auf seinen Kern zurück. Verlierer? Gibt's nicht.

Thomas Hahn

Das Herz von Gudrun Eder ist gerade wieder ganz voll mit der Freude an ihrem Ehrenamt als Trainerin des Integrativen Sportvereins SG-Handicap Nördlingen, und sie muss ein bisschen aufpassen, dass es nicht überläuft. Sie sitzt etwas abseits des Leichtathletik-Geschehens im Münchner Dantestadion bei den Special Olympics, den Spielen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Sie erzählt von ihren Erlebnissen mit den Sportlern, von ihren Abenteuern, Herausforderungen, Erfolgen, und wie sie so erzählt, merkt Gudrun Eder, wie sehr sie das alles rührt.

Impressionen von den Special Olympics
:Gesunder Sportsgeist

Sie treten zusammen gegeneinander an: Die Special Olympics in München sind ein Ereignis, das mehr als jedes andere den Sport auf seinen Kern zurückführt,

Zum Beispiel diese Geschichte von ihrem 400-Meter-Läufer Markus Protte aus dem vergangenen Jahr: Bei einem Rennen stellte der nach dem Startschuss fest, dass in der Bahn neben ihm ein Freund lief. Er begrüßte ihn, sie redeten beim Laufen. Der Rest des Feldes entfernte sich rasch. Der Sieg war futsch, aber das war Markus Protte egal. "Ach, weißt", sagte er im Ziel, "den habe ich lange nicht mehr gesehen." Gudrun Eder lächelt. "Solche schönen Sachen."

Seit Montag laufen die Special Olympics in München mit 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, als Sportereignis, das mehr als jedes andere den Sport auf seinen Kern zurückführt, aufs Dabeisein, auf die Teilnahme von Menschen mit den verschiedensten Talenten. Und das es gerade deshalb mit den natürlichen Grenzen des Sports zu tun hat.

Denn Sport ist zwar toll, gerade gesellschaftliche Minderheiten können im Sport Zeichen gegen Vorurteile setzen und viel Kraft schöpfen. Bei den Special Olympics kann man hingehen, wo man will, zu den Eheleuten Gisela und Holger Heizenröder aus Groß-Gerau, die ihren 19-jährigen Sohn Daniel bei den Rollerskating-Rennen betreuen, zur Judo-Delegation der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder eben zur Nördlinger Trainerin Eder - alle sagen das gleiche: Sport sei gut für die geistig Behinderten, weil er ihren Selbstwert steigere, Motorik und Fitness fördere, und sie auch mal rausbringe aus dem Trott im Heim oder sonstwo.

Aber zum Sport gehört eben auch der Wettbewerb, und Wettbewerb trennt die Starken von den Schwachen. Er zeigt den Schwachen sogar erst, wie schwach sie sind, und führt die Starken in die Versuchung, nichts anderes wichtig zu finden als das Starksein. Dabeisein ist alles? Gleiche Teilhabe für alle? Im Wettbewerb werden solche Ideale leicht ganz klein, und so versuchen die Veranstalter der Special Olympics mehr als andere Sportveranstalter, den Wettbewerbsgedanken in ein Konzept des Miteinanders zu fügen.

Es gibt vor den Finals in den einzelnen Sportarten Klassifizierungswettbewerbe, in denen das Wettkampfgericht nach den Leistungen der Sportler ermittelt, wer sinnvollerweise gegen wen um Medaillen kämpft, damit keiner überfordert wird. Die Felder sind klein, es gibt 1500 Siegerehrungen, bei denen auch hinter den Medaillenrängen jeder Teilnehmer gewürdigt wird.

Und dazu kommt das sogenannte Wettbewerbsfreie Angebot zwischen Olympiastadion und -halle, ein Stationen-Park mit diversen Parcours oder vereinfachten Spielsportübungen, die auch Leute bewältigen können, die wegen ihrer Behinderung nicht an den Wettkämpfen teilnehmen können.

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:Gesunder Sportsgeist

Sie treten zusammen gegeneinander an: Die Special Olympics in München sind ein Ereignis, das mehr als jedes andere den Sport auf seinen Kern zurückführt,

Leistungbringen und Dabeisein sollen ineinanderfließen, damit der sportliche Anspruch den Sportlern nicht die Freude an der Sache kaputt macht. Immer klappt das nicht. Friederike Breisacher von den Hanauerland-Werkstätten in Kork hatte bei den Special Olympics vor zwei Jahren in Bremen einen Spieler im Fußballteam, der die Niederlagen seiner Mannschaft so schlecht verkraftete, dass er sich in eine Psychose hineinsteigerte. Er riss sich die Haare aus und die Augenbrauen, er konnte nicht mehr weiterspielen und musste in Behandlung. "Er hatte sich selbst so unter Druck gesetzt, da konnten wir reden, was wir wollten."

Solche Extreme sind Ausnahmen. Die meisten Sportler der Special-Olympics scheinen ein entspanntes Verhältnis zu Sieg und Niederlage verinnerlicht zu haben. Der Wettbewerb ist für sie Ansporn und Orientierung, er gibt ihnen einen Weg vor, den sie sonst nicht finden können. Daniel Heizenröder zum Beispiel hat eine Wahrnehmungsstörung, draußen in der Welt kann er sich schlecht orientieren. Auf der Rollerskating-Runde weiß er immer, wo er hin muss.

Für Special-Olympics-Wettkämpfe war er schon in Shanghai und Athen, und die Eheleute Heizenröder stehen im Lichte eines tief empfundenen Elternstolzes, wenn sie erzählen, dass ihr Junge mal von einem Wettkampf mit Nichtbehinderten einen Pokal mitgebracht hat. "So ein Ding." Gisela Heizenröder zeigt eine stattliche Höhe. Daniel Heizenröder selbst nimmt den Erfolg offensichtlich nicht zu ernst. Was ihm die Special-Olympics-Teilnahme bedeutet? Er lächelt. "Viel."

Judo-Kämpferin Tanja Eylander aus Duisburg überlegt lange nach der Frage, was ihr der Wettbewerb bedeute. Dann sagt sie: "Weil ich viel Spaß habe. Ob Rang fünf, vier, drei ist auch gut."

Und Markus Protte, 24, sieht alles sowieso nicht so eng. Der Sport hat ihn sozusagen in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Er hat bei der Eröffnungsfeier den Special-Olympics-Eid gesprochen, er hat einen Special-Olympics-Blog, am Mittwoch hat er das 400-Meter-Finale gewonnen. Er ist groß und strahlt eine leise Fröhlichkeit aus, die ziemlich klug wirkt, wenn man bedenkt, wie ernst manche Profis ihre Niederlagen nehmen.

Markus Protte kommt mit seinem Teamkollegen Mickel Schwab von der Bahn herüber zur Bank, auf der Gudrun Eder sitzt. Gerade hatten sie ihren Klassifizierungslauf über 400 Meter. Wie's war? "Schee war's", sagt Markus Protte. Mickel Schwab schaut zu ihm herüber. "Bestleistung", flüstert er. Bestleistung? "59:38", sagt Markus Protte leise, und bald kommt die Sprache auf das Rennen, in dem er den Freund begrüßte.

Markus Protte lächelt verschämt. Ob ihm Platzierungen wichtig seien? "Gar nicht", sagt er. Gudrun Eder bekämpft ihre Rührung, indem sie ihn in den Arm nimmt, und später schreibt Markus Protte aus einem Gefühl tiefer Zufriedenheit heraus in seinen Blog: "(...) habe meine Bestzeit unter 60 sec. Genau 59,38. Sonst war Tag sehr schön! Am schluss musste ich mich übergeben!!"

© SZ vom 24.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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