Schweinegrippe:Die Angst der Behörden vor der Dunkelziffer

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Täglich werden in München bis zu 200 Schweinegrippe-Fälle gemeldet. Viele Infizierte gehen laut Experten gar nicht zum Arzt.

M. Thurau und M. Tibudd

Die Neue Grippe breitet sich in München weiter aus. Weit mehr als 1000 bestätigte Fälle hat das städtische Gesundheitsamt schon gezählt. "Derzeit laufen wir von Fällen über", sagt Jürgen Zühl, zuständiger Abteilungsleiter im Gesundheitsreferat (RGU). Mehr als 100 neue Meldungen pro Tag, am Donnerstag dann ein Spitzenwert von 200, bilanziert Zühl, im Bayern- und Bundesvergleich sei München überproportional betroffen. "Und das ist nur die abgeschöpfte Spitze des Eisbergs."

Denn viele Kranke gehen nicht zum Arzt, geschweige denn, dass sie einen Abstrich machen lassen - schließlich ist der Verlauf der neuen Grippe bislang in aller Regel milde und von anderen Erkältungskrankheiten oft nicht so recht zu unterscheiden, die derzeit ebenfalls deutlich zunähmen.

Besonders an den Schulen war in jüngster Zeit die Verunsicherung gewachsen. Von den 360 Einrichtungen in München sind laut RGU bislang mehr als 100 betroffen. Doch alle Beteiligten warnen vor überschießenden Reaktionen: Bei Infektionsfällen Klassen nach Hause zu schicken oder die Schule zu schließen und darauf zu hoffen, damit die Infektionskette unterbrechen zu können, sei sinnlos, sagt Zühl: "Das Virus zirkuliert in der Bevölkerung."

Anfangs, als es nur ein paar Fälle gab, habe man sogar noch jeder gesunden Kontaktperson dringend empfohlen, zu Hause zu bleiben. Davon sei man abgekommen, die Anti-Grippe-Strategie werde überdies bei Bedarf weiter aktualisiert. Die "Politik der Eindämmung" sei vorbei, heißt es auch von anderer Stelle. Heute gelte es vor allem, Gruppen mit erhöhtem Komplikationsrisiko vor Ansteckung zu schützen, zu denen gehörten Schüler - anders als zum Beispiel Alte, chronisch Kranke, Schwangere und Kleinkinder - nicht.

Eltern- wie Lehrervertreter reagieren mit großer Gelassenheit auf die Strategie des Gesundheitsamts. "Es ist gut zu sehen, dass medizinische Fachleute diese Dinge entscheiden", etwa über die Frage von Schulschließungen, sagt Thomas Lillig, Vorsitzender der Landeselternvereinigung der Gymnasien in Bayern.

Dieser Logik folgt auch Waltraud Lucic vom Lehrerinnen- und Lehrerverband. "So wie man bei pädagogischen Fragen auf das Urteil von Lehrern vertrauen sollte, sollte man hier auf die Ärzte hören." Eine Schweinegrippe-Hysterie sei an Schulen ohnehin nicht festzustellen. Es fehlten eben immer wieder ein paar Kinder einer Klasse, "aber das ist bei anderen Grippewellen doch auch so".

"Ein Attest ist nicht erforderlich"

Schutz vor Ansteckung sei vor allem geboten, wenn man die allgemeinen Hygieneregeln wie häufiges Händewaschen und Abstand wahren einhalte, sagt Mediziner Zühl. Tatsächlich erkrankte Kinder, so lässt das städtische Schulreferat im Übrigen alle Rektoren mit Mail vom 19.Oktober wissen, könnten wieder den Unterricht besuchen, wenn sie einen Tag fieberfrei seien. "Es genügt die entsprechende Aussage der Eltern; ein Attest ist nicht erforderlich", heißt es dort weiter.

Beispielsweise nach einer Woche einen abermaligen Abstrich zu verlangen, um die Virusfreiheit nachzuweisen, sei sinnlos, da die Konzentration der Erreger früh wieder absinke, sagt Zühl.

Eltern indes, die sich oder ihre Kinder auf die neue Grippe testen lassen wollen, empfiehlt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB), zunächst bei einem Arzt anzurufen. So werde verhindert, dass der Erreger unnötig in Wartezimmer eingeschleppt werde. "Man kann dann einen Termin etwa für den Abend ausmachen, wenn die anderen Patienten weg sind", sagte eine KVB-Sprecherin.

In der kommenden Woche indes beginnt die großangelegte Impfaktion gegen die Schweinegrippe. Sie ist auch unter Ärzten umstritten, die Impfbereitschaft in der Bevölkerung gilt als gering. Die KVB will eine Liste aller Niedergelassenen veröffentlichen, die die Spritze geben.

© SZ vom 24.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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