Schrauben und fahren:Der Kilometer-Millionär

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Ob ans Nordkap oder die Teilnahme am Oldtimer-Corso auf der Theresienwiese: Für Hermann Demuth gibt es nichts Schöneres, als in seiner Werkstatt in Untergiesing an alten Autos zu schrauben - und sie zu fahren

Von Jakob Pontius, München

Ein paar wichtige Ersatzteile fürs Auto, das Routenbuch und der "Buko" - der "Beischlaf-Utensilien-Koffer". Fertig ist die Packliste für eine Oldtimer-Rallye zum Nordkap, sagt Hermann Demuth, ohne zu verraten, was genau in diesen Koffer gehört. Er spricht aus Erfahrung, im März 2003 fuhr der heute 80 Jahre alte Münchner in seinem Mercedes Benz 190 SL den "Arctic Winter Trail" mit. Gestartet wurde in Göteborg, das Ziel hieß Helsinki. Die Reifen musste Demuth mit Spikes aufrüsten, es ging bei minus 27 Grad durch Eis und Schnee. Die Route wand sich teils über schmale, in die Felswand gesprengte Straßen hoch über den Fjorden. Insgesamt 5799 Kilometer. Zeichnet man auf dem Globus die Streckenlänge von München aus Richtung Osten nach, kommt man bis in die Mongolei.

Nicht alle Rallyes, die Demuth in seinem Leben gefahren ist, waren so lang und exponiert. An diesem Sonntag, 19. April, fährt er beim Frühlingsfest auf der Theresienwiese nur den zwölften Oldtimercorso "Unter der Bavaria" mit. Gemeinsam mit seinem Freund Carl Sachon, 80, in dessen französischem Facel Vega. Spikes werden sie nicht brauchen, schließlich ist der Winter vorbei. Und wenn der Frühling kommt, geht auch die Schrauber-Saison endlich los. Denn dann ist es warm genug in der zugigen Werkstatt, und der leidenschaftliche Tüftler Hermann Demuth kann an seinem Benz arbeiten.

Im ölverschmierten Arbeitskittel beugt sich Demuth über sein Schmuckstück und kontrolliert den Lack auf Kratzer. Währenddessen erzählt der Urmünchner von früher: Von 1957 bis 2000 leitete er eine Mercedes-Werkstatt in Untergiesing, dem Stadtteil ist er bis heute treu geblieben. Sein Großvater hatte das automobile Familienunternehmen 1893 gegründet. Vor 15 Jahren dann musste der Betrieb schließlich Eigentumswohnungen Platz machen. Demuth konnte einen kleinen Rest der alten Gebäude behalten, heute werkelt er dort aber nur noch an seinen eigenen Autos.

Den Mercedes 190 SL hatte der Sammler 1990 einem Kunden abgekauft. Damals habe er den Wagen für ein paar tausend D-Mark in schlechtem Zustand erworben - heute ist das Auto ein Vielfaches wert. Bis 1992 dauerte die Rundum-Restaurierung, erzählt Demuth. Nur noch das Fahrgestell und die Zierleisten aus Chrom seien original erhalten: "Das Mercedes- Chrom war schon immer das beste." Die Karosserie ist zum Großteil neu, der Motor ausgetauscht. Ersatzteile kauft der Bastler bei einem Händler in Holland oder sucht sich brauchbare Teile aus nicht mehr zu rettenden Fahrzeugen zusammen. Die Sitze in seinem Mercedes fehlen gerade, Demuth hat den Innenraum neu auskleiden lassen. Aber selbst bei Oldtimern komme es nicht zuerst auf den Schein an, sondern vor allem auf die inneren Werte: "Technisch muss mein Auto also bei 110 Prozent sein."

Der Blech-Veteran ist Baujahr 1962 und absolut verlässlich. Das muss er auch sein: 105 Pferdestärken beschleunigen den Benz bis auf 160 Kilometer pro Stunde. Bei solchen Geschwindigkeiten muss der Enthusiast seinem Auto blind vertrauen können. Denn der Oldtimer ist nach wie vor in Gebrauch - wenn auch nur noch zwei-, dreimal im Jahr. Und nicht mehr im hohen Norden. Oben auf der Fahrertür hat der stolze Besitzer seinen Namen eingraviert. Auf der Beifahrertür ist auch eine Inschrift: "Co-Driver Agnes Demuth".

Seine Frau Agnes war auch damals in Skandinavien dabei. Sie begleitet den Autonarr seit Jahrzehnten auf dem Beifahrersitz - als "lebendes Navi", wie sie selbst sagt. Ihr Mann nickt beifällig und ergänzt mit einem verschmitzten Lächeln: "Mehr als fünf Kilometer weit haben wir uns noch nie verfahren." Mit der gleichen Selbstironie spricht Demuth über sein hohes Alter: "Ich bin schon noch ein raffinierter Fahrer." Hinter dem Schalk blitzt dann doch auch ein kleines bisschen Stolz hervor. Denn Erfahrung hat der Senior hinterm Volant jedenfalls reichlich - er ist überzeugt, längst ein Kilometer-Millionär zu sein.

"Wenn ich noch mal auf die Welt komme, werde ich gleich Privatier", hat Demuth sich vorgenommen. Er genießt das Schrauben und Löten, das Basteln und Pflegen. Damit der Benz schnurrt und glänzt, wenn es wieder auf die Straße geht. Auch ohne "Buko".

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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