"Scho schee":Eine Stadt wie ein Internat

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In Norddeutschland gibt es wohl nichts Unauffälligeres als gelbe Jacken. Die Münchner aber bringt die Jacke aus dem Konzept

Kolumne von Stefanie Witterauf

Foto: Imago (Foto: d)

Meine Lieblingsjacke ist gelb. Es ist kein grelles Gelb, sondern ein warmes Gelb. Trage ich sie, dann habe ich das Gefühl, dass mich alle anstarren. Erst vor ein paar Wochen bin ich die Fraunhoferstraße entlanggelaufen und es ist wieder passiert. Manche Blicke folgen mir unauffällig, manche, ganz ohne es zu verstecken. Am Anfang war ich verwirrt und dachte, ich hätte etwas an der Nase, oder zwischen den Zähnen. Ein kurzer Blick ins Schaufenster zeigte: Nein, daran kann es nicht liegen. Es ist die Jacke, die die Münchner aus dem Konzept bringt. Warum nur? In Norddeutschland gibt es wohl nichts Unauffälligeres als gelbe Jacken. Zumindest nach den Covern von den Ostfriesenkrimis zu urteilen. In München kann ich meine Lieblingsjacke nicht anziehen, wenn ich unerkannt bleiben will. Ich möchte es mir nicht eingestehen, aber: Die Stadt bringt mich dazu, mich anders anzuziehen, als ich will. Deshalb bleibt die Jacke manchmal im Schrank hängen.

Treffe ich jemanden, der eine gelbe Jacke trägt, grüße ich. Auch wenn ich ihn gar nicht kenne. Und dann freue ich mich, dass ich nicht alleine bin. Insgeheim vermute ich, dass es eine Kleiderordnung gibt, die an alle Münchner verteilt wird, und wer sich nicht daran hält, wird beäugt. Vielleicht ist München mehr Internat als Großstadt. Wer sich nicht an die Regeln hält, der fliegt. Womöglich nach New York, Paris oder Mailand. Oder auch Berlin. Städte, in denen man nur schwer auffällt. Egal, wie extravagant das Outfit ist. In München versteckt man sich gerne in der Masse. Ich bin mir aber sicher, dass jeder so eine gelbe Jacke im Schrank hängen hat. Und wenn es eine lila Jeans oder ein wildgemustertes Hawaii-Hemd ist.

Gerade hängt meine Jacke auch im Schrank. Es ist Sommer. Ich habe mir vorgenommen, in diesen Wochen eine Mir-doch-egal-Mentalität zu entwickeln. Um im Herbst dann erhobenen Hauptes die Fraunhoferstraße entlangzuschlendern.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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