René Pollesch an den München Kammerspielen:Menschen, die nicht lieben und sterben können

Lesezeit: 3 min

Uma Thurman kommt vor, Charlie Chaplin und Lolita: René Pollesch inszeniert an den Münchner Kammerspielen "Eure ganz großen Themen sind weg" als Collage bekannter Filmhits - und lässt seine Darsteller in ihre eigenen Köpfe reisen. Das macht Spaß, verstört aber auch gewaltig.

Melanie Staudinger

Wie wäre es, wenn man sich plötzlich in seinem eigenen Kopf wiederfinden würde, wenn man ihn wie ein Externer einfach von außen betreten und die Welt durch die eigenen Augen erleben könnte? Könnte man dann reflektierter mit seiner Umwelt umgehen, ja vielleicht sogar bessere und engere Beziehungen mit ihr aufbauen? Schauspielerin Katja Bürkle durfte diese Erfahrung jetzt machen: Im Theaterstück Eure ganz großen Themen sind weg von Regisseur René Pollesch, das am Samstagabend in den Kammerspielen Uraufführung feierte.

Einen zweistöckigen Totenkopf hat Regisseur Pollesch auf die Bühne gestellt - er symbolisiert Katja Bürkles eigenen Kopf. (Foto: LSD/Lenore Blievernicht)

Der zweistöckige Totenkopf, den Pollesch da auf der Bühne der Münchner Kammerspiele aufgebaut hat und der nun Katja Bürkles Kopf symbolisiert, ist fast leer. Die Schauspielerin kann sie erst einmal setzen und eine Zigarette qualmen.

Wären da bloß nicht diese anderen Menschen, die 200 Mäuse dafür bezahlen, um ebenfalls für 15 Minuten in Katja Bürkles Kopf zu sein, einmal mit ihr auf der Bühne stehen zu dürfen und anschließend irgendwo auf der Schnellstraße nach Feldkirchen ausgeworfen zu werden. Den heimlichen Kopf-Besuchern will es so gar nicht gefallen, dass das Original ihr Geheimnis entdeckt hat. Sie schreien monoton "Bürkle, Bürkle, Bürkle!" Und fordern sie zum Gehen auf.

Pollesch hat sich, zumindest was die Rahmenhandlung betrifft, von Spike Jonzes Tragikkömodie Being John Malkovich Ideen für sein Stück geholt. Der ließ schon 1999 Menschen, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach dem ultimativen Kick oder der Vermeidung des Todes sind, im Kopf des Schauspielers John Malkovich aus- und eingehen und schließlich sogar sein Wesen übernehmen. John Malkovich tut, was die Menschen in seinem Kopf befehlen.

Eure ganz großen Themen sind weg beginnt in einem Schlafzimmer. Besser gesagt, im Untergeschoss von Katja Bürkles Kopf, das ein überdimensionales Bett sein soll. Der Zuschauer sieht die Schauspieler nicht direkt, sondern eine Live-Video-Übertragung auf eine Leinwand, die mit ihren gelben und weißen Streifen mehr an eine Markise erinnert. In diesem Bett nun liegt Katja Bürkle, die mit blonder Lockenperücke und schwarzer enger Lederhose in diesem Moment Maxine mimt. Neben ihr ist Franz Beil, mit Föhnfrisur und schwarzer Lederhose, als Craig und Benny Claessens als Lotti.

Pollesch überhöht den Plot von Being John Malkovich in die Absurdität: Seine Schauspieler tragen die Namen der Hauptpersonen aus Jonzens Tragikkomödie, sehen dabei aus wie die Darsteller der 1950er Jahre Musikkomödie Grease und philosophieren dabei, in einem Schlafzimmer sitzend, das sich in einem Kopf befindet, über das Wesen der Menschen. "Ich denke die Welt teilt sich in zwei Lager, die, die sich nehmen, was sie wollen, und die, die es nicht tun", sagen sie immer wieder. Die drei, später kommt noch Cigdem Teke hinzu, drehen sich thematisch im Kreis. Die großen Themen wie Leben, Liebe oder Tod sind weg, sie zählen nicht mehr.

Schauspieler auf Identitätssuche

Doch was ist dann überhaupt noch wichtig? Wie bekommen Menschen Zugang zum anderen, zur Welt? Die Schauspieler begeben sich auf eine Identitätssuche, wenn gleich es eine ungewöhnliche ist. Das Stück ist voll mit Anspielungen, Katja Bürkle sieht einmal aus wie Uma Thurman in Pulp Fiction, dann wieder wie Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany oder plötzlich wie der Außerirdische E.T. Doch die Rolle passt perfekt zu ihr: Bürkle überzeugt, selbst in Momenten, als die Videocrew das Mikro zu tief hält, bleibt sie cool und schaut genervt ins Publikum, das sich wiederum fragt, ob diese Szene improvisiert oder gewollt ist.

Beil kommt als Charlie Chaplin auf die Bühne und amüsiert die Zuschauer, weil er ständig mit seinem aufgeklebten Oberlippenbart kämpft. Claessens treibt sich lange Zeit mit farbenverschmiertem Gesicht als Joker von Batman herum. Cigdem Teke geht da als verführerische Lolita fast unter.

Pollesch funktioniert zudem den Theatervorhang um: Wird auf der Bühne umgebaut, bleibt er oben, das Publikum kann alles genau verfolgen. Sind die Arbeiten abgeschlossen, senkt sich der Vorhang, die Videoschaltung, die immer dann einsetzt, wenn sich gerade jemand in Bürkles Kopf befindet, kann wieder beginnen. Der Regisseur lässt auch die Souffleuse, die Joachim heißt, ständig auf der Bühne stehen. Und Joachim muss auch öfter aushelfen.

Eure ganz großen Themen sind weg bietet knapp eineinhalb Stunden witzige Dialoge und gute Unterhaltung. Wer nun meint, das Stück sei zu kurz geraten, liegt allerdings falsch. Pollesch verlangt seinem Publikum einiges ab, denn so witzig die Gespräche auf der Bühne sind, so anspruchsvoll sind sie auch. Es geht um Liebe, um Selbstmord, um Tod und das Leben, um Gier und Kreativität, um die verzweifelten Versuche, im Internet eine Art Gemeinschaft herzustellen. Um philosophische Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Der Regisseur selbst, der vorher schon in der Burg in Wien, in der Volksbühne in Berlin sowie in den Schauspielhäusern in Hamburg und Zürich gearbeitet hat, hat seine Lösung bereits gefunden: "Es gibt keine großen Themen mehr, wir können die kleinen aber wichtig und ewig machen, wenn wir sie nur lange genug hochhalten und gen Himmel sagen."

Gegen Ende des Stücks zeigt sich dann der wohl gravierendste Unterschied zu Being John Malkovich: Katja Bürkle tut gerade nicht alles, was die Menschen in ihrem Kopf befehlen. Im Publikum in der ersten Reihe sitzt ein Mann in Anzug und roter Krawatte, ein ganz normaler Zuschauer, den Bürkle scherzhaft als "Manager von McDonalds" bezeichnet. Die Stimme in ihrem Kopf befiehlt ihn zu töten. Doch selbstverständlich wird in den Kammerspielen niemand getötet, erst recht kein Gast.

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