Referendum:Erdoğan spaltet die Münchner Türken

Referendum: Sozialarbeiter Savas Tetik wünscht sich, dass sich seine Landsleute in München politisch mehr engagieren.

Sozialarbeiter Savas Tetik wünscht sich, dass sich seine Landsleute in München politisch mehr engagieren.

(Foto: Robert Haas)
  • In München leben 64 231 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.
  • Das bevorstehende Referendum in ihrer Heimat diskutieren viele immer hitziger.
  • Die einen schwärmen dabei vom "besten Präsidenten der Welt", die anderen haben Angst, dass aus der Türkei eine Diktatur werden könnte.

Von Thomas Anlauf

Hayir heißt Nein. In Großbuchstaben steht das türkische Wort auf dem Flugblatt der Münchner Kampagne "Münih Hayir Kampanyasi". 10 000 schokoladenbraune Zettel haben sie gerade aus der Druckerei geholt. Sie verteilen die jetzt jeden Samstag in der Goethestraße, den Riem-Arcaden, dem Olympia-Einkaufszentrum und dem Pep in Neuperlach. Überall dort, wo sie hoffen, auf möglichst viele Türken zu treffen. Sie, das sind Münchner mit türkischen Wurzeln, die Angst davor haben, was nach dem Referendum am 16. April in Ankara passieren könnte. Wenn die Mehrheit der Türken mit "Evet", mit "Ja" abstimmt.

Çiğdem Şanalmiş ist eine der türkischstämmigen Münchnerinnen, die jetzt jeden Samstag auf die Straße gehen, um ihre Landsleute davon zu überzeugen, das Referendum abzulehnen. "Wir haben alles stehen und liegen gelassen, um uns zu engagieren", sagt sie. Şanalmiş sitzt mit zwei Mitstreitern der Kampagne im Café Retro, an der Wand des Lokals an der Goethestraße hängt eine Zeichnung von Kemal Atatürk, ein Foto von Che Guevara und auch ein Porträt von Willy Brandt. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass die Gruppierung überparteilich ist, von jeder Parteiarbeit distanziert sie sich. "Ich bin eigentlich politisch inaktiv, aber das ist für mich wichtig", sagt die Energieberaterin. Sie hat Angst, dass aus der Türkei eine Diktatur werden könnte. "Schon jetzt hat Erdoğan doch alle Macht", sagt sie. Ihr gegenüber sitzt die Schauspielerin Seba Ünal, seit 47 Jahren lebt sie in Deutschland. "Ich finde es von einem Staatsoberhaupt verantwortungslos, dass man die Menschen so spaltet", sagt sie. Es gebe nur noch die Ja-Sager und die Nein-Sager. Zwei Lager, die sich gegenüberstehen und von Tag zu Tag immer hitziger debattieren. "Die Stimmung ist aufgeheizt", sagt sie.

Cem steht auf dem Gehweg in der Landwehrstraße, der 38-Jährige hat sich gerade beim Süpermarket einen Kebab geholt. "Erdoğan ist der beste Präsident der Welt", ruft er laut und lacht. "Die Türkei wird in den nächsten fünf Jahren sehr stark werden." Cem hält lange die Hand von Savas Tetik, der gerade die Landwehrstraße entlang schlendert, wo sich ein türkisches Geschäft an das nächste reiht. "Ich könnte auch super in der Türkei leben, aber hier fühle ich mich viel wohler. Es kommt doch darauf an, wo man geboren ist", sagt Cem, der wie viele Türkischstämmige in München bei der aufgeheizten Stimmung nicht seinen vollen Namen in der Zeitung lesen will.

Savas Tetik lächelt über die Sätze des Mannes, der sein ganzes Leben in Bayern verbracht hat und trotzdem so leidenschaftlich über die Entwicklung in der Türkei spricht. "Viele junge Leute, die eine gute Ausbildung haben, finden in der Türkei gute Konditionen", sagt der Sozialarbeiter der Arbeiterwohlfahrt. Tetik kam selbst 1982 nach Deutschland, er hilft seit vielen Jahren vor allem Migranten aus Südosteuropa, in München menschenwürdig leben und arbeiten zu können. Als Cem sagt, "hier können wir offen reden, das kannst du in der Türkei nicht", wird Tetik ernst. "Ich wünsche mir, dass sich die Leute auch in der Alltagspolitik engagieren", sagt er. Nicht nur, wenn es um die Zukunft der Türkei gehe. Doch dazu wäre es seiner Meinung nach dringend nötig, dass auch die Türken endlich ein politisches Mitspracherecht in Deutschland haben.

Ender Beyhan-Bilgin engagiert sich seit vielen Jahren politisch. Die 48-jährige SPD-Politikerin ist gerade als Spitzenkandidat der Gruppierung Atlas in den Münchner Migrationsbeirat gewählt worden, die neu gegründete Vereinigung hat mit Abstand die meisten Stimmen bei der Wahl bekommen. Sie hat politische Erfahrung, wurde bereits für ihr langjähriges Engagement im Giesinger Bezirksausschuss ausgezeichnet. Trotzdem sagt auch sie: "Unser Platz ist direkt in der Kommune und nicht im Migrationsbeirat." Eine Integration der türkischen Münchner gibt es ihrer Meinung deshalb bislang nicht wirklich. Beyhan-Bilgin sitzt vor dem Restaurant "Sila" am Sendlinger-Tor-Platz, deren Geschäftsführerin sie ist, und zündet sich eine Zigarette an. "Klar, man redet darüber" - über die angespannte diplomatische Lage zwischen den Niederlanden, Deutschland und der Türkei.

Die Community der türkischen Münchner sei aber eher besonnen "und nicht besonders streitsüchtig". Vielmehr ärgert sie die derzeitige deutsche Politik. Man wolle einerseits nicht, dass die türkische Politik nach Deutschland getragen wird, "aber es gibt uns zu denken, wenn Parteien zum Nein aufrufen", sagt sie. Das treibe eigentliche Nein-Sager des Referendums dazu, für Erdoğan zu stimmen.

Beunruhigt, dass "die Situation so eskaliert"

Beyhan-Bilgin ist in München geboren, sie hat die doppelte Staatsbürgerschaft, sie fühlt sich als Münchnerin. "Sila", der Name des türkischen Restaurants, heißt übersetzt "Heimat". Trotzdem sagt sie über die Türkei: "Wir sind ein großes, multikulturelles Land." Sie ist beunruhigt, dass "die Situation so eskaliert" und findet: "Lasst die Leute doch kommen." Sie meint damit türkische Minister oder Mitglieder der türkischen Regierungspartei AKP, die sich in der kommenden Woche auch für München angekündigt haben. Sie fragt sich vielmehr, "wieso tragen deutsche Politiker türkische Politik nach Deutschland?"

Einer, der offen mit Erdoğans Politik sympathisiert, ist der Münchner Anwalt Serdal Altuntas. "Im Gesamtpaket" sei das 18-Punkte-Paket, über das am 16. April auch Münchner Türken abstimmen können, "durchaus akzeptabel". Altuntas sitzt in seiner Gemeinschaftskanzlei an der Goethestraße und faltet die Hände, in seinem Büro hängt die türkische Flagge. Ihn ärgert, dass "Deutschland Partei bezogen hat für diejenigen, die dagegen sind". Dabei wüssten viele gar nicht, um was es bei der Abstimmung geht. Er glaubt trotzdem, dass in München die Mehrheit für Erdoğan stimmen wird. In München leben nach Angaben des Statistischen Amts derzeit 64 231 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.

Die meisten von ihnen können zwischen 27. März und 9. April in München über die Zukunft der Türkei abstimmen. Bis dahin wollen die Aktivisten der "Nein"-Kampagne für ihre Sache werben. "Es gibt eine Türkei, die der EU viel näher ist als Erdoğan und seine Partei", sagt Ayhan Yilmaz. Der IT-Experte und Philosoph hat auf den Flyer, den er und seine Mitstreiter derzeit an Tausende Münchner Landsleute verteilen, auf Türkisch gedruckt: "Das Nein wird der Anfang der schönen Tage sein."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: