Projekt "reWÖRT":Wörter machen Leute

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Hackepeter, Hagestolz, Polter: Elke Richly und Manuel Boecker vom Projekt reWÖRT drucken alte Worte auf T-Shirts, um sie vor dem Aussterben zu retten.

Ana Maria Michel

"Wörter machen Leute" - das ist das Motto des reWÖRT-Projekts. Auf rewoert.de kann jeder alte Begriffe, die aus der Alltagssprache verschwunden sind, in Form von grafisch gestalteter Wort-Mode als T-Shirt erwerben. Die Münchner Dramaturgin Elke Richly, der Schauspieler Manuel Boecker und der Kölner Medienkünstler und Initiator Peter Schulte stehen hinter diesem Projekt, das im März 2010 an den Start ging. Schulte hatte damals die Idee, im öffentlichen Raum mit alten Worten Sprachwirklichkeit zu gestalten. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der reWÖRT-Shirts werden weitere Kulturprojekte gefördert.

Hackepeter bedeutet eigentlich "Aus jedem Dorf ein Hund". Bei uns steht das Wort für Schweinemett. (Foto: Foto: reWÖRT/oh)

sueddeutsche.de: Woher kommt Ihre Faszination für alte Worte?

Elke Richly: Das hat etwas mit Nostalgiefreude zu tun. Die Geschichten, die man finden kann, erzählen extrem viel über Lebenswelten: der Begriff Hagestolz zum Beispiel. Da geht es um das alte Erbrecht aus dem 19. Jahrhundert. Damals hat nur der älteste Bruder Haus oder Hof geerbt, die anderen Brüder gingen leer aus. Da hieß es, dass diese armen Menschen in die "Hagestalt" ziehen. Gleichbedeutend ist der Begriff "Hagestolz" entstanden. Er steht für einen unverheirateten, unkommunikativen, aber stolzen Typ. Es fasziniert die Leute, wenn sie einen Begriff lesen, von dem sie vorher nur ein atmosphärisches Gefühl hatten.

sueddeutsche.de: Wie kann es passieren, dass ein Wort aus dem Sprachgebrauch verschwindet?

Richly: Ich glaube, dass die Sprache ein sehr lebendiges Wesen ist. Es hat etwas mit der Lebenswirklichkeit zu tun, die wir mit Sprache jeden Tag neu bauen. Wir leben in einer unfassbar schnelllebigen Zeit und brauchen immer neue Worte, um die Dinge zu beschreiben, mit denen wir umgehen.

Manuel Boecker: Als früher noch eine kulturelle Bürgerschicht Kulturträger war, war die Sprachpflege noch vielseitiger. Heute habe ich das Gefühl, dass Werbung, SMS und Internet uns ein wenig aufs Glatteis führen. Diese Medien bringen zwar Innovationen mit sich, sorgen aber für eine Verkümmerung im Sprachbereich.

sueddeutsche.de: Auf Ihren T-Shirts stehen alte Begriffe wie zum Beispiel "Fabulant" oder "Muhme". Wollen Sie, dass diese alten Wörter wieder in die Alltagssprache zurückkehren?

Richly: Wir fühlen uns nicht als wertkonservative Plattform für die Wiedereinführung von alten Begriffen. Das passiert ganz automatisch und das finden wir auch schön. Manche Worte sind auf eine lautmalerische Art und Weise so ansprechend, dass es schade wäre, wenn sie ganz aussterben würden. Jemand, der eines unserer T-Shirts kauft, auf dem zum Beispiel "Fabulant" steht, trägt dieses alte Wort aktiv in die Wirklichkeit hinein und recycelt das Wort damit automatisch, indem es für ihn eine ganz neue Bedeutung bekommt. Das ist ein lebendiger Sprachprozess, der nicht museal verwaltet, sondern aktiv weiterentwickelt werden soll. Das war die Grundidee des Gründers Peter Schulte.

Projekt "reWÖRT"
:Wörter machen Leute

Hackepeter, Hagestolz, Polter: Elke Richly und Manuel Boecker vom Projekt reWÖRT drucken alte Worte auf T-Shirts, um sie vor dem Aussterben zu retten.

Ana Maria Michel

sueddeutsche.de: Wie stoßen Sie auf die alten Worte?

Richly: Die Wort-Funde kommen aus der Community auf unserer Website und es stoßen täglich neue dazu. Heute ist zum Beispiel die "Scharteke" aufgetaucht. Eine Scharteke ist ein großes, dickes Buch. Das kannte ich auch nicht.

sueddeutsche.de: Auf Ihrer Internetseite steht das Motto "Wörter machen Leute". Wie kann man das verstehen?

Richly: Wort-Mode zu tragen, hat immer einen Statement-Charakter. Wenn ich ein T-Shirt trage, auf dem ein Wort geschrieben steht, will ich auch, dass es gelesen wird. Es ist eine Entscheidung, die ich als Käufer treffe, wenn ich das "Muhme"- (Tante) und nicht das "Ohne Scheiß"-T-Shirt nehme. Mit diesem Slogan wirbt gerade ein Baumarkt. Gegen diese Verkürzung von Lebenswirklichkeit, die ständig stattfindet, wollen wir künstlerisch und augenzwinkernd angehen.

sueddeutsche.de: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass die Träger Ihrer T-Shirts die Wirklichkeit verändern. Wie soll das gehen?

Richly: Wenn ich mit einem "Droschke"-T-Shirt nach draußen gehe und jemanden treffe, der sich daraufhin Gedanken darüber macht, was die Droschke eigentlich ist, habe ich die Lebenswirklichkeit von diesem Leser ein wenig verändert. Vielleicht wird der Träger des T-Shirts sogar in der U-Bahn angesprochen.

sueddeutsche.de: Gibt es einen Wort-Fund, den Sie besonders gerne mögen?

Richly: Mein Lieblingsfund ist "saumselig". Der Säumige ist jemand, der Fristen nicht einhält. Ich finde die Verbindung zwischen selig und säumig toll. In einer Gesellschaft, in der es immer darum geht, wer der Schnellere ist, finde ich saumselig als Haltung sehr sympathisch.

Boecker: Ich habe mehrere Lieblingsworte, im Moment ist es "Polter" - das bedeutet Schlafanzug. Ich komme aus dem Westen, da ist dieses Wort noch sehr verbreitet. Es ist ein lautmalerischer Begriff, der passt: "Hast du schon den Polter an?"

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