Harter Polizeieinsatz:"Sie hätten einfach wieder gehen sollen"

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  • Im Dezember vergangenen Jahres kontrollierten Polizisten eine Wohnung eines chinesischen Ehepaares in Gräfelfing, weil sich Anwohner über Lärm beschwert hatten.
  • Die Situation eskalierte, die Polizisten sollen äußerst grob mit den Bewohnern umgegangen sein.
  • Am Ende wurden der Familienvater und seine Frau in Handschellen abgeführt.

Von Christian Rost

Es war nur eine Bagatelle, wegen der eine Polizeistreife am 14. Dezember des vergangenen Jahres zu einem Mehrfamilienhaus in Gräfelfing fuhr. Ein Ehepaar hatte sich über Lärm im Haus beschwert, die Beamten sollten der Ruhestörung auf den Grund gehen.

Als sie dann vor der Wohnung einer vermeintlich lärmenden, aus China stammenden Familie standen, war es vollkommen still. Dennoch eskalierte die Situation: Am Ende wurden der Familienvater und seine Frau in Handschellen abgeführt. Der Mann, ein Betriebswirt, wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Seine Frau, eine Ärztin, wurde zur Polizeiwache gebracht, wo sie wegen Widerstands und versuchter Gefangenenbefreiung angezeigt wurde.

Polizisten waren äußerst grob vorgegangen

Die Ärztin Mai T. ( Namen geändert) war nicht bereit, einen Strafbefehl einfach zu akzeptieren, weswegen der Fall vor dem Münchner Amtsgericht landete. Schon bald zeigte sich bei der Verhandlung, dass die beiden Polizisten erst mit wenig Fingerspitzengefühl und dann äußerst grob vorgegangen waren. Die Einweisung des 48-jährigen Lian X. in das Isar-Amper-Klinikum war völlig überzogen. Als der Mann nach zwei Tagen entlassen wurde, stellte eine Ärztin die Diagnose: "Sie haben zu viel Stress." Eine nicht gerade überraschende Schlussfolgerung nach seinen Erfahrungen mit den Streifenbeamten.

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Ob am 14. Dezember tatsächlich Lärm aus der Wohnung des Paares drang, ist nach wie vor unklar. Die Erstatter der Anzeige hatten der Familie schon mehrmals die Polizei ins Haus geschickt. Hintergrund ist ein Streit mit den Vermietern ihrer Wohnung, die im selben Haus leben und die Familie mit Anzeigen und Mieterhöhungen offenbar schon länger zum Auszug bewegen wollen.

In der Wohnung habe "Chaos" geherrscht

Die Polizisten befragten zunächst die Vermieter und gingen dann zur Wohnung des Paares. Lian X. öffnete die Tür und bat die Beamten freundlich herein. Aus Sicht der Polizisten habe ein "Chaos" in der Wohnung geherrscht - es hätten Kleidungsstücke und Dokumente auf einem Haufen gelegen. Mai T. sagt, sie habe gerade Koffer gepackt, weil sie am nächsten Tag zu ihrem schwer herzkranken Vater nach China reisen wollte.

Als die Polizisten dann erklärten, weswegen sie gekommen sind, wurde Lian X. wütend. Er ärgerte sich, dass ihm die Vermieter schon wieder Schwierigkeiten bereiteten und zeigte den Polizisten den Aktenordner, in dem der Streit dokumentiert ist. Nach der Darstellung der Polizisten hatte sich X. aber nicht bloß geärgert, sondern sei komplett ausgerastet. Er habe auch nicht seinen Ausweis herzeigen wollen. Als er sich dann in Kampfeshaltung vor sie gestellt und erklärt habe, er wolle "bis zum Tod" mit ihnen kämpfen, hätten sie ihn zu Boden gebracht und gefesselt. Da habe sich die Frau dazwischengeworfen und versucht, die Beamten wegzuschubsen. Erst als Verstärkung eintraf, habe man die beiden wegbringen können, so die Version der Polizisten.

Laut der Darstellung des Paares lief alles ganz anders ab: Lian X. sagt, die Beamten seien ihm gegenüber voreingenommen aufgetreten und hätten barsch nach seinem Ausweis gefragt. Er habe ihnen erklärt, dass ihm das Dokument auf einer Dienstreise in Brüssel gestohlen worden war, was er auch bei der Polizei angezeigt habe, und ihnen seinen Führerschein als Ausweisersatz zeigen wollen. Die Polizisten seien darauf aber nicht eingegangen und hätten immer ruppiger reagiert. "Sie zeigten auf ihre Handschellen und Waffen am Gürtel und sagten, ich solle mit zur Wache", berichtete der 48-Jährige.

Auf seinen Vorschlag, er komme am nächsten Tag zur Inspektion nach Planegg und bringe alle notwendigen Papiere mit, hätten die Beamten nicht reagiert. Schließlich habe er das Telefon genommen und den Polizeinotruf gewählt. "Ich hoffte, dass man uns neutralere Beamte schickt, die die Sache klären", so Lian X., der deutscher Staatsbürger ist. Noch während er mit der Einsatzzentrale sprach, packten ihn die Polizisten, rissen ihm das Telefon aus der Hand und brachten ihn zu Boden.

"Die Menschenwürde ist unantastbar, dafür kämpfe ich bis zu meinem Tod!"

Seine Frau hörte das Gerangel aus der Küche und eilte ihrem Mann zu Hilfe. "Ein Polizist hatte ein Knie auf dem Hals meines Mannes, ich dachte, er drückt ihm die Schlagader ab, das ist gefährlich", so die Medizinerin. Sie habe versucht, das Knie vom Hals wegzubringen. Ihr Mann schrie derweil: "Die Menschenwürde ist unantastbar, dafür kämpfe ich bis zu meinem Tod!" Als Lian X. dies vor Gericht berichtete, hielt er eine Ausgabe der Verfassung des Freistaats Bayern in die Höhe, die er bei seiner Einbürgerung erhalten hatte.

Amtsrichter Marco Peißig fragte die Polizisten, ob sie bei der Fesselung des Mannes tatsächlich ihre Knie auf dessen Hals gesetzt hätten, was beide zunächst verneinten. Einer der Beamten musste dann aber doch einräumen, sein Knie auf den Kopf von Lian X. gedrückt zu haben. Die anschließende Einweisung des Mannes in die Psychiatrie sei ihrer Ansicht nach zwingend notwendig gewesen, so die Polizisten.

Auftreten war alles andere als deeskalierend

Eine Einschätzung, die Verteidiger Andreas Geipel aufbrachte: "Der Mann war weder psychisch krank noch hatte er die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet", rief Geipel dazwischen. "Sie hätten einfach wieder gehen sollen, nachdem überhaupt kein Fall von Ruhestörung vorlag", hielt er den Beamten vor. Deren Auftreten und Vorgehen sei alles andere als deeskalierend gewesen, sagte Geipel.

Es gab noch einen weiteren Punkt, der die Beamten in einem nicht besonders guten Licht erscheinen ließ. Nach der Aussage des Ehepaares hatten sie kein Wort dazu gesagt, was sie mit Lian X. vorhatten. Niemand habe ihm erklärt, dass er in die Psychiatrie gebracht werde, so X. Für Richter Peißig war damit klar, dass sich auch der Vorwurf der Gefangenenbefreiung gegen die Ehefrau so nicht halten lässt. Mit Zustimmung der anderen Prozessbeteiligten stellte er das Verfahren gegen die Frau mit einer Geldauflage von 800 Euro ein - zugunsten von Amnesty International.

© SZ vom 12.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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