Platzkonzert auf der Wiesn:Stecher und Pinsler

Beim Platzkonzert unterhalb der Bavaria muss jeder ran, der auf die Bühne gerufen wird. Egal ob Mauerblümchen oder Show-Talent - es gibt keine Ausreden. Die Dirigenten in der Einzelkritik.

Von Stephan Handel

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Musikalische und Unmusikalische, Bewegungstalente und Grobmotoriker, Show-Talente und Mauerblümchen - wer von den Wiesnwirten zum Ehrendirigat beim Platzkonzert unter der Bavaria eingeladen wird, muss ran, es gibt keine Ausreden. Die künstlerischen Ergebnisse sind, wie am Sonntagmittag zu beobachten war, höchst unterschiedlich:

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Toni Roiderer Der Sprecher der Zeltgastronomen entledigt sich seiner Aufgabe - der Kaiserjäger-Marsch war aufgelegt - mit der ihm eigenen Routine, kann sich zwar nicht recht entscheiden, ob er einen Zweiviertel- oder einen Viervierteltakt schlagen will, erwischt aber wunderbar den Übergang zum Trio, wo er sich passgenau zum Publikum umdreht und sich huldigen lässt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Josef Schmid Beim Deutschmeister-Regimentsmarsch gewährt der Zweite Bürgermeister einen Einblick in seine Persönlichkeit. Er macht den Musikern - wohl auch wegen erwiesener Aussichtslosigkeit - kaum strenge Vorgaben, sondern versucht, durch exaltiertes Mienenspiel gute Stimmung zu erzeugen. Das Ritardando bei der Wiederholung des Trios vollzieht er allerdings sehr schön mit, nachdem es ihm die Kapelle vorgespielt hat.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hans Spindler Er ist Leiter des Sachgebiets Veranstaltungen im Wirtschaftsreferat der Stadt und dirigiert den Bozener Bergsteiger-Marsch dementsprechend nüchtern und ohne Firlefanz. Wie die meisten seiner Mitdirigenten lässt auch er es an Agogik fehlen, aber was leichte und schwere Taktzeiten sind, scheint ihm schon mal jemand gesagt zu haben.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Manuel Pretzl Der neu gewählte Stadtrat - und Co-Referent für Wirtschaft - scheint auch beim Dirigieren des Von-der-Tann-Marsches einer JU-eigenen Angewohnheit nicht widerstehen zu können: Er übertreibt's. So hoch, wie er seine Arme hält, würde er bei einer Bruckner-Symphonie schon Mitte des ersten Satzes zusammenbrechen. Vom Schlusston wird er überrascht und schlägt noch einen halben Takt nach, was ihm unter Musikern gewiss den Kommentar eingebracht hätte: Der wird fei nimmer bezahlt.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wilfried Blume-Beyerle Was soll man sagen: Der Kreisverwaltungsreferent wartet als einziger die Locke ab, das achttaktige Schlagzeug-Intro, das beim Marschieren anzeigt, wann's losgeht. Erfahrener Platzkonzert-Dirigent, erinnert Blume-Beyerles Technik beim Mussinan eher an einen Stecher als an einen Pinsler, aber er ist auch der einzige Ehrendirigent, bei dem man wenigstens zwischendurch mal den Eindruck hat, die Musiker würden ihm folgen.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Doris Kuffler Die Wirtin des Weinzeltes erwischt zwar beim Münchner-Kindl-Marsch nicht immer jeden Takt synchron mit der Kapelle, macht mangelnde Technik aber durch Enthusiasmus mehr als wett. Das schaut weniger nach Dirigieren aus, eher nach dem Funkenmariechen, wie es Kamelle unter die Leute wirft.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Georg Schlagbauer Der neue Wiesn-Stadtrat hat noch lange nicht die Abgeklärtheit seines Vorgängers Helmut Schmid erreicht und überdreht beim Erzherzog-Albrecht-Marsch ein wenig an Gestik und Show. Dass die Locke nicht mitdirigiert wird, weiß er beim nächsten Mal.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Andreas Steinfatt Den Vorsitzenden des Münchner Brau-Vereins wirft nichts um, und dass sich die Musiker auch nur im leisesten beeinflussen lassen würden von dem, was er da vorne rumfuchtelt, dieser Illusion sitzt Steinfatt gewiss nicht auf. Also tut er gar nicht erst so, als würde er sich um die Musik - den Tölzer Schützenmarsch - scheren, sondern macht eine Show aus seinem Auftritt: Nutzt die ganze Breite des Podiums, wedelt ins Publikum und ist am Ende doch fast gleichzeitig mit der Kapelle fertig.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Julia Jäckel, Alexandra Stigger, Kristina Gottlöber Weil die drei Frauen mit ihren jeweiligen Organisationen den "Security Point" für Mädchen auf der Theresienwiese betreiben, erhalten sie heuer den Ehrenpreis der Wiesnwirte in Gestalt einer bronzenen Bavaria. Zum Dirigat von "Alte Kameraden" treten sie im Trio an, was ungefähr so nachvollziehbar ist, als würde Chuck Norris plötzlich ein Lob der Teamarbeit singen. Der künstlerischen Bewertung entzieht sich dieser Auftritt, vielleicht jedoch könnten Freunde des Synchronschwimmens daran Gefallen finden.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dieter Reiter Nach überstandenem Zahnweh und zum ersten Mal als Oberbürgermeister: Souveräner Auftritt des Stadtoberhaupts mit dem Bayerischen Defiliermarsch, der eigentlich dem Ministerpräsidenten vorbehalten ist. Wo die anderen Ehrendirigenten ihr Gesicht nach einer nur ihnen bekannten Choreografie mal den Musikern, mal dem Publikum zuwenden, bezieht Reiter alle mit ein: Er dreht sich auf dem Podium langsam im Kreis und schwenkt so das gesamte Panorama des Auditoriums ab - "seht her, ich bin euer aller Oberbürgermeister", soll das wohl sagen. Dirigiertechnisch pflegt Reiter den klaren Schlag, vollzieht die Dynamik der Musik durch die Weite seiner Bewegungen mit, und als der Marsch zu Ende ist, verbeugt er sich erst vor der Kapelle, dann zum Auditorium - eine wahrhaft celibidachehafte Geste.

© SZ vom 29.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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