Ostbahnhof:Die Kultfabrik schließt - zumindest ein bisschen

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Die letzte Partynacht der Kultfabrik 31.21.2015? Das stimmt so nicht. (Foto: Florian Peljak)

Auch wenn eine Plakatkampagne etwas anderes suggeriert: Zahlreiche Clubs haben weiter offen. Dabei gilt das Gelände als abgerockt. Zu Recht? Ein Rundgang.

Von Philipp Crone, München

Es ist ein verwirrender Anblick hinter dem Ostbahnhof. Wer in der Knödelgasse 11, dem kleinen Weg in der Kultfabrik zwischen Club-Eingängen und Imbissbuden, auf eines der hinter Glas gerahmten Silvester-Plakate schaut, kann darauf zum einen lesen: "Die letzte Party-Nacht der Kultfabrik - 31.12."

Im Glas spiegelt sich aber auch das Plakat von gegenüber: "Wir bleiben, wo wir sind!". Das steht vor dem Eingang der Kölsch-Bar, vor dem Americanos oder dem Schlagergarten. Und an der Tonhalle sind sogar bereits Konzerte bis Dezember 2016 im Programm. Die Betreiber sagen, dass sie noch mindestens fünf Jahre bleiben dürfen.

Also was jetzt? Letzte Partynacht oder nicht? Dazu gibt es sehr unterschiedliche Ansichten und ganz besonders unterschiedliche Meinungen, warum das nun so kommuniziert wird.

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Das Werk 2 wird abgerissen, um dem Werksviertel Platz zu machen. Doch nicht alles muss weichen.

Manche Clubs schließen, andere bleiben offen

Es werden Clubs schließen am 31. Dezember, allerdings vorerst nur genau in einem Block, dem Werk 2: der Q-Club, das Herzglut, der Pop-up-Club oder die Mondscheinbar. Das angrenzende Werk 1 mit den Clubs Willenlos und New York Table Dance etwa hat weiter geöffnet, auf der anderen Seite der Knödelgasse bleiben das Americanos und die Nachtkantine offen. Marcus Wiegand, Sprecher des Unternehmens Otec GmbH, das für den Besitzer des Geländes, Werner Eckart, das Areal betreut und das Werksviertel mit entwickelt, sagt: "Die Kultfabrik an sich verschwindet."

Die Webseite der Kultfabrik werde es aber weiter geben, auf der auch der Lageplan für die verbliebenen Clubs und deren Webseiten zu finden sind. "Die Bauten zwischen der Knödelgasse und der Püreelinie werden im Februar abgerissen." Dafür wird bereits im April das Werk 3 eröffnet, auf dem ehemaligen Parkplatz an der Friedenstraße, zwischen Kultfabrik und Optimol-Gelände. Das bleibt ebenfalls völlig unangetastet, wie Betreiber Mathias Scheffel bestätigt. Er ärgert sich, dass wegen der Werbe-Kampagne wohl weniger Besucher kommen.

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Plakatkampagne sorgt für Ärger

Manches bleibt, anderes nicht, dazu eine Plakatkampagne, die suggeriert, dass alles abgerissen wird. Warum nun? Betreiber vermuten, dass durch die Abriss-Werbung bleibenden Clubs die Besucher entzogen werden sollen, damit sie schließen müssen und auch die anderen Areale schnell wieder bebaut werden können.

Bald soll hier ja auch ein Konzertsaal gebaut werden, in dessen Nähe Pommesbuden und Jugend-Clubs stören könnten. Wiegand von Otec sagt: "Es entstehen demnächst neue Nacht-Gastronomien, die mit der derzeitigen Qualität in der Kultfabrik wenig zu tun haben." Offenbar möchte man sich auch von dem leicht abgerockten Image der Kultfabrik distanzieren.

Ist es denn abgerockt? Ein Rundgang an einem Samstagabend, auf dem noch einmal zu erleben ist, was denn die Kultfabrik eigentlich ist und wie sie sich über die Jahre verändert hat.

Samstagabend vor Weihnachten, 23 Uhr. Die Punching-Bälle der Box-Automaten sind noch hochgeklappt, noch ist niemand so betrunken, darauf rumzudreschen. Junge Frauen und Männer kommen über die Zufahrtsschranke. Ticket, durchrollen, parken. In einer Reihe die Kennzeichen: FFB, EBE, M, DAH, TÖL, AÖ, LA, FS. Ein Mann sagt: "Das ist wie damals mit dem P1. Als da die ersten gesagt haben: Schau mal, was da draußen für Kennzeichen an den Porsches sind, war das der Anfang vom Ende des guten Rufs."

In der Knödelgasse tönt aus dem Schlagergarten Wolfgang Fierek, der seine Resi mit dem Traktor abholen möchte. Demnächst kann er das hier sogar mit dem Bagger. Die Schlange der Anstehenden wächst zwischen 23 Uhr und 23.20 um 20 Meter. Wer hierherkommt, hält sich nicht lange auf mit dem Warm-up. Auf einem Party-Gelände wird gleich Party gemacht.

Auch beim Willenlos gegenüber ist die Schlange mittlerweile so lang wie drei Traktoren. In der Nachtkantine schenkt der Barkeeper einer Gruppe sehr junger Besucher Limes ein. "Es ist deutlich ruhiger geworden. Zu Babylon-Zeiten war es um die Zeit schon extrem voll", sagt er. Das Durchschnittsalter liege bei "18 bis 28". Zwei Männer heben die Hand mit ihrem grünen Einlassbändchen und kippen einen Jägermeister.

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Einst eine Experimentierwiese für neue Ideen

Der Kunstpark war, als es 1996 losging, eine Experimentierwiese für Nacht-Konzepte. In der Bongobar konnte man für fünf Mark jemanden mieten, der einem Gesellschaftstänze zeigte. Die Milchbar stand für feine Club-Abende, in der sich die Nacht-Gastronomen nach der Arbeit einfanden, das Ultraschall wurde zu dem weltbekannten Techno-Club, der heute in der Sonnenstraße unter dem Namen Harry Klein firmiert.

Vieles war neu, vor allem auch die Atmosphäre in diesem brachliegenden Industriegelände, auf das sich manche Betreiber erst gar nicht trauten. Heute ist daraus ein Party-Kaufhaus geworden, das man über eine Parkschranke betritt, mit Free-Wlan und Stimmungsgarantie. Wie ein vergilbtes Disney-Land: War angesagt, ist heute irgendwie durch.

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"Es ist so angenehm normal"

23.59 Uhr. Im Willenlos läuft "Happy Birthday", und Tracey, eine 22-jährige Münchner Köchin, sagt: "Ich bin dreimal pro Woche hier, weil es so angenehm normal ist. Nicht so viele Schickis wie in der Innenstadt." Hier geht es ums Wesentliche. Tanzmusik, Trinken und Anbandeln. Die Veränderung in 20 Jahren Kunstpark sieht man nicht an den Clubs, sondern an ihren Gästen. Noch muskulöser die Typen, die Haare so geschwungen wie der Nike-Streifen an ihren Schuhen. Hekuran, 21, im Q-Club, ist "sehr traurig", dass sein Lieblingsladen schließt. Ansonsten geht man hier relativ unbeeindruckt mit dem Abriss von Werk 2 um.

Es entsteht ja wieder Neues, wenn man der Ankündigung der Eckart-Firma Otec glauben darf: "Ein Kultur-Mix, wie es ihn in München bisher nicht gegeben hat." Das Table-Dance übrigens soll demnächst ins Werk 3 ziehen, direkt neben das künftige Konzerthaus. Stripper neben Streichern, ein wirklich einmaliger Münchner Mix.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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