Oktoberfest:Wiesn-Schausteller fürchten um ihre Existenz

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  • Viele Betreiber der Wiesn-Fahrgeschäfte fürchten um ihre Existenz.
  • Durch eine EU-Norm könnten Sicherheitsprüfungen häufiger anfallen.
  • Mit ihnen sind immense Kosten verbunden.

Von Franz Kotteder

Wird es heuer manche Fahrgeschäfte gar nicht mehr auf der Wiesn geben? Oder werden sie zumindest deutlich teurer? Seltsame Fragen, denn eigentlich müsste sich das größte Volksfest der Welt doch besonders rentieren. Ob Achter- oder Geisterbahn, ob Kinder- oder Kettenkarussell, ob Free Fall oder Wilde Maus: Tatsächlich sehen sich viele Schausteller derzeit in ihrer Existenz bedroht.

Und das liegt an der EU-Norm 13814 - zusammen mit dem faktischen Monopol, das die Stadt dem TÜV Süd zugesteht bei der Überprüfung von Fahrgeschäften auf dem Oktoberfest. Denn weil es in Deutschland bislang noch keine einheitliche gesetzliche Regelung für die Anwendung der EU-Norm gibt, können die Prüfstellen momentan viel mehr Prüfungen ansetzen als bisher. Je nach Größe des Fahrgeschäfts kann das bis zu 120 000 Euro kosten. Das klingt, als wäre es eine Gelddruckmaschine.

Wovor die Schausteller Angst haben

Bislang waren solche Sonderprüfungen bei großen Fahrgeschäften nur alle zwölf Jahre erforderlich, bei kleineren alle vier bis sechs Jahre. Derzeit aber können sie sogar jährlich verlangt werden - wenn die Prüfstelle das für nötig hält. Im schlimmsten Fall drohen also im gleichen Zeitraum die zwölffachen Kosten. "Wenn der TÜV will", sagt ein Schausteller, "dann lässt er mich jedes Jahr die gesamte Anlage zerlegen, per Sandstrahl abschleifen und jede einzelne Schraube vorzeigen. Die Kosten dafür sind natürlich immens."

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Genau das könnte für die Fahrgeschäfte in Bayern nun zum Problem werden. Denn hier ist das Oktoberfest das Maß aller Dinge, hier gelten strenge Sicherheitsvorschriften für sogenannte Fliegende Bauten. Das ist der Fachbegriff für Zelte, Marktstände und Fahrgeschäfte, die nicht an einem festen Ort installiert sind. Sie werden auf der Wiesn nach dem Aufstellen jedes Jahr überprüft und formal von der Lokalbaukommission der Stadt abgenommen. Die Überprüfung selbst hat die Stadt schon in den Sechzigerjahren dem Technischen Überwachungsverein übertragen - damals gab es noch keine anderen Prüfungsinstitutionen.

Und so kam der TÜV Süd zu dem lukrativen Geschäft, als sogenannter beliehener Unternehmer hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen, sprich: Änderungen in Genehmigungen einzutragen und diese regelmäßig zu verlängern. Zugleich übernahm er die gesamte technische Prüfung in den zwei Wochen vor Wiesn-Beginn. Laut TÜV Süd sind etwa 20 Sachverständige auf der Theresienwiese im Einsatz - Ingenieure der Disziplinen Bautechnik, Maschinenbau und Elektrotechnik. Dessen Sprecher Thomas Oberst behauptet: "Es gibt kein Monopol - und auch kein Quasi-Monopol - für die Abnahme beziehungsweise Prüfung von Fahrgeschäften."

Warum der TÜV Süd so mächtig ist

Das ist insofern richtig, als es tatsächlich noch andere Prüfstellen gibt. Nur: Für die Genehmigung muss der Schausteller wegen der städtischen Regelung dann doch wieder zum TÜV Süd, und der setzt eigene Prüfungen an, wie er es für richtig hält. Mit neuerlichen Gebühren. Denn letztlich muss er ja für die Sicherheit geradestehen. Und natürlich wird kein Schausteller bei zwei verschiedenen Anbietern zahlen, wenn ihm nur einer was nützt.

Als die Stadt einst den TÜV als "beliehenen Unternehmer" einsetzte, hatte der noch keine Konkurrenz und war so etwas wie eine bundesrepublikanische Instanz. Heute ist der TÜV Süd eine weltweit tätige Aktiengesellschaft mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz und 22 000 Angestellten.

Eine ganz normale Firma wie ihre Mitbewerber auch. Nur eben die größte der Branche. Die Zusammenarbeit mit ihm ist für viele Schausteller Fluch und Segen zugleich. Sie wissen, wie wichtig hohe Sicherheitsstandards für ihre Kunden sind, zugleich aber sind die Prüfungen sehr teuer. Der TÜV erklärt, es gebe einheitliche Gebührenordnungen, an die auch er sich halten müsse. Freilich gilt: Je mehr Prüfungen, desto mehr Gebühren.

Und hier kommt wieder die EU-Norm ins Spiel, die es eigentlich seit 2004 gibt, die aber noch nicht überall in der EU umgesetzt ist. Zum Beispiel nicht in Bayern. Und anders als im Rest Europas gibt es in Deutschland keinen Bestandsschutz für geprüfte Fahrgeschäfte, merkwürdigerweise steht diese Klausel in der deutschen Übersetzung der Norm nicht drin.

Obendrein gibt es unterschiedliche Vorgaben der einzelnen Bundesländer, die für die Bauvorschriften zuständig sind. Bis es einheitliche Regeln gibt, haben die Länder-Bauminister vor Kurzem festgelegt: Die Genehmigungen sollen nur noch jeweils um ein Jahr verlängert werden, und das nach einer Sonderprüfung in einem Umfang, wie sie die Prüfstelle für nötig hält.

Viele Schausteller befürchten nun, zur Melkkuh des TÜV zu werden; die Firma entgegnet darauf lediglich, auch sie müsse die "Verhältnismäßigkeit" wahren. Zitiert werden will keiner der Fahrgeschäftsbetreiber, aus Angst vor Repressalien. "Vom TÜV hängt meine Existenz ab, wenn der sich rächen will, bin ich geliefert", sagt einer. Ein nicht genehmigtes Fahrgeschäft habe nur noch Schrottwert, und mit anderen Prüfstellen komme man nicht auf die Wiesn.

Welche Lösung die Schausteller fordern

"Alle Schausteller machen sich da Sorgen", sagt Wenzel Bradac, der Präsident des Bayerischen Landesverbands der Marktkaufleute und der Schausteller, und er erzählt die Geschichte des Fahrgeschäfts "Rund um den Tegernsee". Da koste die Prüfung nach der neuen EU-Norm 70 000 Euro, für die Betreiber unbezahlbar. "Wir fordern den Bestandsschutz für alle Fahrgeschäfte, die vor 2004 gebaut wurden", sagt Bradac, "so wie es ihn in allen anderen europäischen Ländern auch gibt." Das fordere inzwischen auch der Landtag, auf die Umsetzung warte man aber noch.

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Es gehe gar nicht um die EU-Norm an sich, sagt Bradac: Die Sicherheit der Fahrgäste stehe auch für die Betreiber an oberster Stelle. Er hofft, dass man sich mit dem TÜV noch einigen werde. Derzeit streitet man allerdings vor Gericht. In erster Instanz haben die Schausteller vor dem Verwaltungsgericht Anfang 2015 gewonnen; der TÜV hat Revision eingelegt, darüber ist noch nicht entschieden.

Und so warten die Schausteller auf eine klare Regelung und vermeiden es lieber, den TÜV Süd zu verärgern. Standesvertreter wie Robert Eckl vom Fachbereich der Schausteller geben sich wortkarg. Sie wollen "diese Dinge nicht unbedingt in der Öffentlichkeit verhandeln", man suche den konstruktiven Dialog.

Und warum ist der TÜV Süd auch heute noch ausschließlich für die Prüfung zuständig, obwohl es in der Branche doch längst marktwirtschaftlichen Wettbewerb gibt? Bürgermeister und Wiesn-Chef Josef Schmid spricht von "Synergieeffekten, die entstehen, wenn der zuständige beliehene Unternehmer gleichzeitig auch die vorbereitende technische Prüfung durchführt".

Die Zusammenarbeit habe sich über Jahrzehnte bewährt. Die Befürchtungen der Schausteller seien der Stadt bekannt, sie versuche beim Staat darauf hinzuwirken, "dass unbillige Härten für Schaustellerbetriebe vermieden werden". Letztlich seien aber die Länder in der Pflicht: "Eine gesetzliche Änderung müsste über die Innenministerien der Landesregierungen veranlasst werden."

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Dass Schausteller mit hohen Ausgaben für Sicherheitsprüfungen hadern, wie im Bericht dargestellt, trifft zu. Als falsch hat sich jedoch eine Information des Schaustellerverbands herausgestellt, wonach das Traditions-Fahrgeschäft "Rund um den Tegernsee" deshalb bereits hingeworfen habe. Der Betreiberin wurde im Februar 2016 die Sicherheit für "Rund um den Tegernsee" ohne Beanstandungen testiert, sie hat sich für die Münchner Wiesn 2016 damit beworben. Die Stadt entscheidet im Mai über alle Bewerbungen.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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